I 50 Die Madonna von Manchester.
Florenz, den Karton vollendet, wird durch den erneuten Ruf seitens
Julius’ II. an ihr verhindert. Das Schicksal hat es nicht gewollt, daß
die Nachwelt kritisirend den einen Großen auf Kosten des anderen
rühme. —
Das älteste uns erhaltene Zeugniss der Thätigkeit Michelangelos
als Maler, das, im Anfang des XIX. Jahrhunderts in Rom aufgetaucht,
später nach England kam und zuerst durch die Ausstellung in Man-
chester 1858 allgemein bekannt wurde, befindet sich in der National-
galerie zu London. Das Gemälde, die sogenannte Madonna von
Manchester, das unvollendet blieb, stellt die Maria mit dem Kinde
und Johannes, von vier Jünglingen umgeben, dar. Die Jungfrau
hat sich auf einem Felsensitz niedergelassen und unterbricht sich
soeben in der Lektüre, da der Christusknabe, an ihr rechtes Knie
gelehnt und den Fuß in eine Falte ihres Mantels setzend, mit der
Hand in das Buch, das sie hält, greift. Ihre Gewandung ist sehr
eigenthümlich: das Kleid, ein wenig von der rechten Schulter ge-
rutscht, läßt in einem Ausschnitt die rechte Brust frei, der Mantel
ist an seinen Enden über der Schulter geknüpft und um die Beine
gezogen, ein schön drapirtes, vorne durch ein Schmuckstück ge-
haltenes Tuch bedeckt die über den Ohren breit gewellten, herab-
fallenden Haare. Der Johannesknabe, in seinem mit einem Strick
umgürteten Fell, ist der Gruppe seitlich beigefügt. Die zwei Jüng-
linge rechts, mit reichem Lockenhaar und in einer, den Körper
halb nackend lassenden Art Hirtentracht, lesen gemeinsam in einem
aufgerollten Blatt, die beiden links, (nur in den Umrissen angelegt),
scheinen im Gespräch miteinander.
Der Eigenartigkeit der Komposition entspricht die des Kolo-
rites und der Technik. Das Fleisch ist grünlich untermalt und in röth-
lichen, grauen und weißen Tönen modellirt. Die Schattenparthieen
der Gewandung sind in zeichnerisch strichelnder Weise ausgeführt.
Das Gelock der Haare erscheint durch helle Aufhöhung mit spitzem
Pinsel bronzeartig scharf detaillirt. In dem kühlen Lichte ge-
winnen die Farben metallische Leuchtkraft. Das Gewand der Maria
und der Rock des vorderen Engels rechts ist roth, ihr Mantel, tief
schwarz, wie mit Tusche, untermalt, sollte offenbar blau übergangen
werden. Schillerstoffe begegnen bei den beiden Jünglingen: grün
und orange in dem Tuche des vorderen, gelb und orange in dem
Gewand des hinteren. Das Haar der Engel und der Kinder ist
gelbbräunlich. Die starke Herausarbeitung der belichteten Theile
Florenz, den Karton vollendet, wird durch den erneuten Ruf seitens
Julius’ II. an ihr verhindert. Das Schicksal hat es nicht gewollt, daß
die Nachwelt kritisirend den einen Großen auf Kosten des anderen
rühme. —
Das älteste uns erhaltene Zeugniss der Thätigkeit Michelangelos
als Maler, das, im Anfang des XIX. Jahrhunderts in Rom aufgetaucht,
später nach England kam und zuerst durch die Ausstellung in Man-
chester 1858 allgemein bekannt wurde, befindet sich in der National-
galerie zu London. Das Gemälde, die sogenannte Madonna von
Manchester, das unvollendet blieb, stellt die Maria mit dem Kinde
und Johannes, von vier Jünglingen umgeben, dar. Die Jungfrau
hat sich auf einem Felsensitz niedergelassen und unterbricht sich
soeben in der Lektüre, da der Christusknabe, an ihr rechtes Knie
gelehnt und den Fuß in eine Falte ihres Mantels setzend, mit der
Hand in das Buch, das sie hält, greift. Ihre Gewandung ist sehr
eigenthümlich: das Kleid, ein wenig von der rechten Schulter ge-
rutscht, läßt in einem Ausschnitt die rechte Brust frei, der Mantel
ist an seinen Enden über der Schulter geknüpft und um die Beine
gezogen, ein schön drapirtes, vorne durch ein Schmuckstück ge-
haltenes Tuch bedeckt die über den Ohren breit gewellten, herab-
fallenden Haare. Der Johannesknabe, in seinem mit einem Strick
umgürteten Fell, ist der Gruppe seitlich beigefügt. Die zwei Jüng-
linge rechts, mit reichem Lockenhaar und in einer, den Körper
halb nackend lassenden Art Hirtentracht, lesen gemeinsam in einem
aufgerollten Blatt, die beiden links, (nur in den Umrissen angelegt),
scheinen im Gespräch miteinander.
Der Eigenartigkeit der Komposition entspricht die des Kolo-
rites und der Technik. Das Fleisch ist grünlich untermalt und in röth-
lichen, grauen und weißen Tönen modellirt. Die Schattenparthieen
der Gewandung sind in zeichnerisch strichelnder Weise ausgeführt.
Das Gelock der Haare erscheint durch helle Aufhöhung mit spitzem
Pinsel bronzeartig scharf detaillirt. In dem kühlen Lichte ge-
winnen die Farben metallische Leuchtkraft. Das Gewand der Maria
und der Rock des vorderen Engels rechts ist roth, ihr Mantel, tief
schwarz, wie mit Tusche, untermalt, sollte offenbar blau übergangen
werden. Schillerstoffe begegnen bei den beiden Jünglingen: grün
und orange in dem Tuche des vorderen, gelb und orange in dem
Gewand des hinteren. Das Haar der Engel und der Kinder ist
gelbbräunlich. Die starke Herausarbeitung der belichteten Theile