Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Thode, Henry; Thode, Henry [Editor]
Michelangelo und das Ende der Renaissance (Band 3,1): Der Künstler und seine Werke: Abth. 1 — Berlin: Grote, 1912

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.47068#0325
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Die Anordnung der Hauptbilder.

301

Gewölbezwickel bedingte die Eintheilung der Decke in neun Felder,
welche der Künstler einer belebenden Abwechslung wegen mit
breiten und schmalen Bildern schmückte. Je drei Bilder fasste er
zu einer gedanklichen Einheit zusammen: die drei ersten stellen
die Schöpfung der Welt, die drei folgenden die Schöpfung von
Adam und Eva und den Sündenfall, die drei letzten Ereignisse aus
dem Leben Noahs dar, und zwar auffallender Weise nicht in
historischer Reihenfolge, sondern so, dass das Opfer Noahs der Sünd-
fluth vorangeht und dann die Verspottung des Patriarchen folgt, was
schon Condivi zu einer falschen Deutung der Darstellung als Opfer
Kains und Abels geführt hat. Was veranlasste Michelangelo zu
dieser Anordnung?
Was man zu finden erwarten sollte, wäre der Todschlag Abels
durch Kain, die erste furchtbare Folge des Sündenfalles. Dem hätte
sich die Sündfluth angeschlossen, und ihr wäre das Dankopfer mit
seiner Bedeutung eines neuen Bundes mit Gott gefolgt. Dann aber
hätte es an einer Erklärung des fortdauernden Sündenelends und
der durch dieses bedingten Erlösung gefehlt. Es musste gezeigt
werden, dass auch nach der Sündfluth das menschliche Treiben ein
sündliches bleibt. Und dies zu verdeutlichen, bot sich, wie auch
Ghiberti und Quercia es gezeigt, die Frevelszene der Verhöhnung
Noahs dar. Die Grösse dieser Schandthat springt in die Augen nur,
wenn der Beschauer daran gemahnt wird, dass sie unmittelbar auf
den Bund folgt, den Gottvater, Gnade ausübend, mit Noah geschlos-
sen hat. Eben dieser Bund ist an sich von so entscheidender Be-
deutung für das grosse Mysterium der Erlösung, dass er in einem
umfassenden Zyklus, wie dem der Sixtina, nicht fehlen durfte.
Seiner Darstellung musste der Todschlag Abels Platz machen. Und
hierin lag nichts Bedenkliches: fasst doch die Sündfluth die Ge-
schichte aller menschlichen Fehle seit dem Sündenfall in sich und
hatte sich doch auch Ghiberti, was für Michelangelo, den Be-
wunderer der Paradiesesthüren, entscheidend geworden sein dürfte,
auf jene drei Geschichten aus dem Leben Noahs beschränkt. Nur
die chronologische Reihenfolge wurde gestört: aber- dies kleine
Opfer war höheren Rücksichten gegenüber ohne Weiteres zu bringen.
Aus solchen Reflektionen erklärt sich das zunächst Befremdende
ohne Schwierigkeit.
Als „wunderbare Rettungen Israels“ von vorbildlicher Be-
deutung für die dereinst kommende Erlösung konnten für drei
 
Annotationen