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Die Persica.
und das Zukünftige wird durch den Gestus mit einander in Be-
ziehung gesetzt. Und nun beachte man von Neuem das gesenkte
Haupt der Frau; ihr Blick geht gleichfalls vorwärts in die Tiefe,
in die Zukunft; sie gewahrt den kommenden Erlöser, dessen Bild
Jonas ist.
Nimmt demnach Jonas eine Stellung für sich ein, die eben nur
durch den Gestus der Hände und jene Frau in Beziehung zu dem
gedanklichen Gehalt der anderen Sehergestalten tritt, so dürfen
wir unter Diesen drei Gruppen unterscheiden, welche drei Arten
oder Stadien der Geistesarbeit bezeichnen: erstens das Suchen der
Erkenntniss: hier findet sich bloss das Buch; zweitens das Eintreten
der Erkenntniss : die Beschäftigung mit dem Buche wird beendigt,
die Schriftrolle erscheint, und drittens die Verkündigung der Er-
kenntniss : das Buch ist beseitigt und an seine Stelle die Schrift-
rolle getreten.
I. Das Suchen der Erkenntniss.
Die Persica.
Das Bild konzentrirter Vertiefung in ein dem
Denken noch nicht aufgegangenes Geheimniss bietet
uns die uralte, mächtige persische Sibylle dar. Sie liest, von dem
Beschauer abgewandt, in einem kleinen Buche, das ihre starken,
sorgsamen Hände dem kurzsichtigen Auge nahe bringen. Die
milde Kraft abgeklärter Innerlichkeit spricht aus ihren fein belebten
Zügen. Um das Haupt ist ein schleierartiges Tuch gebunden. Ihre
Gestalt ist ganz von einem weiten, faltenreichen Gewände umhüllt,
in grossen, sich stauenden Massen hängt der Mantel, dessen oberes
Ende durch einen Schlitz des Kopftuches über den Kopf gezogen
ist, über die Schulter den Rücken hinab. Regungslos vor sich hin-
schauend verharren die (übrigens bloss skizzirten) Knaben neben
ihr. Noch bedarf sie ihrer nicht, noch ist sie entfernt davon, die
Prophezeiung fixiren zu können. Indem der Künstler ihren Kopf
ganz in den Schatten versetzte, die Seite des Buches aber, in deren
Schrift sie sich versenkt, in hellstes Licht, verdeutlichte er in be-
stimmtester Weise das noch mangelnde Verständniss, zugleich aber
die kommende Erleuchtung. Er gab in der Persica den Typus
einer in geistiger Dämmerung Befindlichen, Erleuchtung Suchenden.
Der Friede weltabgeschiedener Häuslichkeit umfängt uns. Das stille
Die Persica.
und das Zukünftige wird durch den Gestus mit einander in Be-
ziehung gesetzt. Und nun beachte man von Neuem das gesenkte
Haupt der Frau; ihr Blick geht gleichfalls vorwärts in die Tiefe,
in die Zukunft; sie gewahrt den kommenden Erlöser, dessen Bild
Jonas ist.
Nimmt demnach Jonas eine Stellung für sich ein, die eben nur
durch den Gestus der Hände und jene Frau in Beziehung zu dem
gedanklichen Gehalt der anderen Sehergestalten tritt, so dürfen
wir unter Diesen drei Gruppen unterscheiden, welche drei Arten
oder Stadien der Geistesarbeit bezeichnen: erstens das Suchen der
Erkenntniss: hier findet sich bloss das Buch; zweitens das Eintreten
der Erkenntniss : die Beschäftigung mit dem Buche wird beendigt,
die Schriftrolle erscheint, und drittens die Verkündigung der Er-
kenntniss : das Buch ist beseitigt und an seine Stelle die Schrift-
rolle getreten.
I. Das Suchen der Erkenntniss.
Die Persica.
Das Bild konzentrirter Vertiefung in ein dem
Denken noch nicht aufgegangenes Geheimniss bietet
uns die uralte, mächtige persische Sibylle dar. Sie liest, von dem
Beschauer abgewandt, in einem kleinen Buche, das ihre starken,
sorgsamen Hände dem kurzsichtigen Auge nahe bringen. Die
milde Kraft abgeklärter Innerlichkeit spricht aus ihren fein belebten
Zügen. Um das Haupt ist ein schleierartiges Tuch gebunden. Ihre
Gestalt ist ganz von einem weiten, faltenreichen Gewände umhüllt,
in grossen, sich stauenden Massen hängt der Mantel, dessen oberes
Ende durch einen Schlitz des Kopftuches über den Kopf gezogen
ist, über die Schulter den Rücken hinab. Regungslos vor sich hin-
schauend verharren die (übrigens bloss skizzirten) Knaben neben
ihr. Noch bedarf sie ihrer nicht, noch ist sie entfernt davon, die
Prophezeiung fixiren zu können. Indem der Künstler ihren Kopf
ganz in den Schatten versetzte, die Seite des Buches aber, in deren
Schrift sie sich versenkt, in hellstes Licht, verdeutlichte er in be-
stimmtester Weise das noch mangelnde Verständniss, zugleich aber
die kommende Erleuchtung. Er gab in der Persica den Typus
einer in geistiger Dämmerung Befindlichen, Erleuchtung Suchenden.
Der Friede weltabgeschiedener Häuslichkeit umfängt uns. Das stille