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374

Daniel.

und den bewegt abstehenden Haaren sich zu erkennen giebt, hat,
da er eilig ist und es bequem haben will, den Knaben heran-
gerufen, dass er ihm seinen Folianten stütze. Er entnimmt diesem
Etwas und verzeichnet es auf einem Papier, das auf ein Pult geheftet
ist. Dass es sich hierbei um Berechnungen oder um das schnelle
vorläufige Notiren einer Traumesvision (Kapitel 7) handle, wie man
angenommen hat, ist nicht wahrscheinlich. Eine unbefangene Be-
trachtung lässt keinen Zweifel daran, dass Daniel das Resultat
seiner eifrigen Lektüre in wenige kurze Worte zusammendrängt,
die Quintessenz des eben Gelesenen giebt oder, besser gesagt, dass
er die ihm gewordene Erkenntniss: die Prophezeiung aufschreibt.
Denn dass es kein blosses Abschreiben oder Exzerpiren ist, ver-
räth die im Kopfe sichtbare geistige Anstrengung, verräth die Er-
regung, in der er sich befindet.
Diese Erklärung ergiebt sich mit Nothwendigkeit aus der Wahr-
nehmung, dass es ein Schriftzettel, wie ein andrer solcher unten im
Pulte liegt, ist, den er beschreibt. Nirgends wie hier, scheint mir,
wird die verschiedene Bedeutung, welche Buch und Schriftrolle in
diesen Darstellungen haben, so klar gezeigt: das Buch bedeutet
die gesammte Gedankenarbeit der Propheten, der Schriftzettel —
durchaus im Sinne der ganzen früheren Kunst — die einzelne
Prophezeiung, die durch geniale Intuition gewonnene Erkenntniss
künftigen Heiles. Das Eintreten der intuitiven Erkennt-
niss, der Enthusiasmus gewonnenen Wissens also wird
in dem Jüngling veranschaulicht; das wie in Flammen lodernde
Haar ist der Ausdruck des geistigen Vorganges. Was er nieder-
schreibt, ist gewiss eine der Weissagungen, die wir auf früheren
Darstellungen aufgezeichnet finden: „Und nach den zweiundsech-
zig Wochen wird Christus getödtet werden“ (9, 26) oder „aber
das Reich, Gewalt und Macht unter dem ganzen Himmel wird dem
heiligen Volk des Höchsten gegeben werden, dess’ Reich ewig ist,
und alle Gewalt wird ihm dienen und gehorchen“ (7, 27). In dem
zweiten Knaben, der, ganz im Schatten gehalten, nur mit seinem
Kopfe aus Daniels Mantel hervorschaut, dürfte ein Hinweis auf die
Orakelträume des Sehers gegeben sein.
Die Cumaea.
Leidenschaftliche Willensgewalt, die sich in den stark aus-
geprägten, durchfurchten Zügen, in der vordringenden Stirne, der
 
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