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Thode, Henry; Thode, Henry [Editor]
Michelangelo und das Ende der Renaissance (Band 3,1): Der Künstler und seine Werke: Abth. 1 — Berlin: Grote, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.47068#0428
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Das Schema der Propheten und Sibyllen.

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kreuzenden Parallelen von Senkrechten, Wagerechten und Diago-
nalen, wie sie, der einfachen Ornamentik zu eigen, unmittelbar
ästhetisches Wohlgefallen erregt, indem sie die Einheit in der
Mannigfaltigkeit und zugleich in der Aufhebung der Richtungs-
kontraste offenbart, so hat aber auch diese Fläche selbst, in welche
die Gestalt einbezogen ist, ihrerseits die Form eines Dreiecks.
Freilich: die ganze Figur war, wie dies leicht begreiflich, nur
ausnahmsweise (der Hesekiel) aus dem Dreieck zu konstruiren, wohl
aber durfte es einer genialen künstlerischen Intuition gelingen, den
Oberkörper (bis zu den Knieen) dieser Form anzupassen, und zwar,
indem innerhalb ihrer wieder besonders noch der oberste Theil
des Körpers: Brust und Kopf als Dreieck markirt wird. Hierzu
dienten jene horizontalen Gliederungen: die Basis des grossen
Dreiecks wird durch die Horizontale des Sitzes, die des kleinen
durch die mittleren Gesimse der Thronpfeiler verdeutlicht. Dies
gilt für alle Propheten und Sibyllen, aber eine interessante Ent-
wicklung in der Lösung des Problems ist auch hier erkenntlich.
Bei den frühen Gestalten: Zacharias, Delphica, Joel, Jesajas, Eri-
thraea, auch noch bei Ezechiel wird eine wirksame Andeutung,
wenn auch nur eine solche, auf ein die ganze Figur einzeichnendes
Dreieck gegeben, in dem hier sehr breit gebildeten, als Basis ge-
dachten Postament, auf dem die Füsse aufstehen; bei den späteren,
da dies Postament schmal wird, ist dies nicht der Fall. Auch die
strenge Einbeziehung der Figuren in das Throngehäuse wird dann
aufgegeben: den Raum möglichst ausfüllend, breiten sie sich nach
den Seiten über die Thronpfeiler, deren vertikale Innenlinie ver-
hüllend , aus, und zugleich wird, wenigstens in einzelnen Fällen
(David, Jonas, Libica, Jeremias) an der früher streng betonten Ver-
tikale des aufrechten Oberkörpers nicht mehr festgehalten. Zu
Gunsten kühner, eindrucksvoller Bewegungen wird die Gesetz-
mässigkeit gelockert. Unwillkürlich entzieht sich der Künstler, da
er der ihm als Maler vergönnten Freiheiten sich bewusst wird,
mehr und mehr dem Zwange der plastischen Normen. Ist es doch
auch bezeichnend, dass Licht- und Schattenwirkungen in der Nähe
der Ostwand einen starken malerischen Charakter gewinnen.
Das Schema der thronenden Figuren, das demnach als ein
von einem rechteckigen Rahmen eingeschlossenes, horizontal drei-
getheiltes Gebilde, unten aus einem Rechteck (gleich einem Posta-
mente) darüber aus einem Dreieck (Oberkörper), bestehend,
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