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Das geometrische Liniengefüge.

Wie bekannt, ist die künstlerische Urform der Einheit das
Dreieck, da in ihm sich der Ausgleich der beiden Hauptrichtungen:
der Vertikale und der Horizontale vollzieht und in ihm die Normen,
wie der Proportionalität, so auch der Symmetrie enthalten sind.
War in den Stichkappen diese Form von Vorneherein als Rahmen
gegeben und galt es hier nur bei Bildung der sie ausfüllenden
Familiengruppen die Vertikalen und Horizontalen zu verdeutlichen,
so bedurfte es künstlicherer Konstruktionen bei dem System der
Throne mit den Sehergestalten und den krönenden Jünglingen.
Mit weisester Berechnung wurde in die Vertikale der Thronpfeiler
durch die Gliederung in einen unteren, einen mittleren und einen
höheren Theil die Horizontale mit starker Betonung eingeführt.
Hierdurch erhielt auch die sitzende Figur eine Abmessung in drei
Theile, denn der unterste Block des Thrones, in der Höhe des
Sitzes, bezeichnet die Höhe des Unterkörpers, das Gesims des
mittleren Würfels die Brusthöhe, das Gesims des oberen ungefähr
die Scheitelhöhe.
Das Postament unter den Füssen giebt einen klar bestimmten
unteren Abschluss. In der verschiedensten Weise, besonders deut-
lich bei den frühesten Figuren (die strengsten Beispiele sind: Joel,
die Delphica und Zacharias), werden diese Horizontalen nun in den
Gestalten selbst betont, die untere durch die Kniee, durch seitlich
gesehene Oberschenkel und durch lagernde Gewandfalten, die obere
durch quer gehaltene Arme, Ellenbogen, Gewandbegränzungen,
Gürtel, Ärmelfalten, Schriftrolle, Lesepult. Vertikale Bestimmungen
ergaben sich im Kopf, in der Haltung eines Beines und eines Armes
und in Gewandfalten (auch in den aufrechten begleitenden Putten),
die vermittelnden Diagonalen, parallel angeordnet, in Armen, Beinen,
Gewandsäumen und Falten. Dieses Liniengerüst in dem Flächen-
bilde jeder einzelnen Figur zu entdecken, die Motive der orga-
nischen Bewegungen auf einfache lineare Formen, gleichsam auf
ein geometrisches Schema, zurückgeführt zu sehen, ist für Den,
welcher auf Erkenntniss des Gesetzmässigen in der Kunst bedacht
ist, von unvergleichlichem Werthe. Überrascht wird er gewahren,
welche Bedeutung in diesem Hinblick der Anordnung, dem Schnitt
und den Falten der Gewandung zukommt, die doch zugleich dem
künstlerischen Willen, alle wichtigen Funktionen des Leibes zu
zeigen, sich anpassen muss. Bedeutet jenes Schema nichts anderes,
als die ursprüngliche belebende Eintheilung einer Fläche in sich
 
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