Die Farbengebung.
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es vorsichtiger ausdrücken will, diesem nicht hinderlich zu sein.
Dies zeigt sich vornehmlich in der Abtönung der einzelnen Farben,
die nur in dem Schatten ihren Charakter bewahren, um im vollen
Lichte ins Helle, ja Weissliche überzugehen, so dass also etwas einer
Grisaillemalerei Verwandtes entsteht, aber auch in der Beschränkung
auf wenige und nicht laut sprechende Töne, nämlich: hellblau,
hellkirschroth, hellviolett, grau, gelb und grün, denen sich nur
seltener orange oder zinnoberroth gesellt.
Aus dieser Wahl und dem noch immer nachklingenden Ghir-
landajoschen Prinzip einer Modellirung des Fleisches in bleigrau
wirkenden Tönen resultirt ein gedämpfter Gesammteindruck, wie er
der Unterordnung der Farbe unter die plastische Form einzig ent-
sprechen konnte. Die politurartige Glätte des Farbenauftrages, bis
zu welcher es der Pinsel behufs einer ersichtlichsten Rundung aller
Formen in der Modellirung gebracht hat, uns schon aus der
Madonna Doni bekannt, muss hier in der Freskotechnik füglich
das grösste Erstaunen hervorrufen. Auch dies Verfahren, dem aut
äusserste Vollendung bedachten Marmorarbeiter eigenthümlich, steht
zu einem dekorativ malerischen Gestalten in grösstem Gegensatz.
Unter so geschaffenen Bedingungen konnte nun der grosse
Bildner den Reichthum seiner Anschauungen vom bewegten mensch-
lichen Leibe in wunderbar mannigfaltigster Weise in stehenden,
liegenden und sitzenden Gestalten ausströmen lassen, seine Meister-
kenntniss der Struktur und des organischen Lebens frei bewähren.
Man weiss nicht, worüber man sich mehr verwundern soll,
über die unbegreifliche Fülle von Motiven, über die Grösse des
Schauens oder über die geschlossene Einheitlichkeit in dem
Eindruck von einzelnen Gestalten und Gruppen. Mit welcher un-
trüglichen Sicherheit sind selbst bei komplizirtesten Bewegungen,
wie sie namentlich die Jünglinge in der Nähe der Altarwand zeigen,
die Körpererscheinungen zu einem Flächenbilde gebändigt, mit
welcher Deutlichkeit alle Funktionen veranschaulicht, mit welcher
unbegreiflichen Berechnung die Rhythmen geregelt! Eine feste Ge-
setzmässigkeit liegt dem natürlich Wirkenden zu Grunde, die Figuren
sind in ein ideelles Liniengefüge einfacher, eben als
Einheiten empfundener regulärer, geometrischer
Formen einbezogen, und zwar spricht sich auch dieses strenger
in den östlichen Bildern aus, indessen in den westlichen es mit
grösserer Freiheit gehandhabt wird.
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es vorsichtiger ausdrücken will, diesem nicht hinderlich zu sein.
Dies zeigt sich vornehmlich in der Abtönung der einzelnen Farben,
die nur in dem Schatten ihren Charakter bewahren, um im vollen
Lichte ins Helle, ja Weissliche überzugehen, so dass also etwas einer
Grisaillemalerei Verwandtes entsteht, aber auch in der Beschränkung
auf wenige und nicht laut sprechende Töne, nämlich: hellblau,
hellkirschroth, hellviolett, grau, gelb und grün, denen sich nur
seltener orange oder zinnoberroth gesellt.
Aus dieser Wahl und dem noch immer nachklingenden Ghir-
landajoschen Prinzip einer Modellirung des Fleisches in bleigrau
wirkenden Tönen resultirt ein gedämpfter Gesammteindruck, wie er
der Unterordnung der Farbe unter die plastische Form einzig ent-
sprechen konnte. Die politurartige Glätte des Farbenauftrages, bis
zu welcher es der Pinsel behufs einer ersichtlichsten Rundung aller
Formen in der Modellirung gebracht hat, uns schon aus der
Madonna Doni bekannt, muss hier in der Freskotechnik füglich
das grösste Erstaunen hervorrufen. Auch dies Verfahren, dem aut
äusserste Vollendung bedachten Marmorarbeiter eigenthümlich, steht
zu einem dekorativ malerischen Gestalten in grösstem Gegensatz.
Unter so geschaffenen Bedingungen konnte nun der grosse
Bildner den Reichthum seiner Anschauungen vom bewegten mensch-
lichen Leibe in wunderbar mannigfaltigster Weise in stehenden,
liegenden und sitzenden Gestalten ausströmen lassen, seine Meister-
kenntniss der Struktur und des organischen Lebens frei bewähren.
Man weiss nicht, worüber man sich mehr verwundern soll,
über die unbegreifliche Fülle von Motiven, über die Grösse des
Schauens oder über die geschlossene Einheitlichkeit in dem
Eindruck von einzelnen Gestalten und Gruppen. Mit welcher un-
trüglichen Sicherheit sind selbst bei komplizirtesten Bewegungen,
wie sie namentlich die Jünglinge in der Nähe der Altarwand zeigen,
die Körpererscheinungen zu einem Flächenbilde gebändigt, mit
welcher Deutlichkeit alle Funktionen veranschaulicht, mit welcher
unbegreiflichen Berechnung die Rhythmen geregelt! Eine feste Ge-
setzmässigkeit liegt dem natürlich Wirkenden zu Grunde, die Figuren
sind in ein ideelles Liniengefüge einfacher, eben als
Einheiten empfundener regulärer, geometrischer
Formen einbezogen, und zwar spricht sich auch dieses strenger
in den östlichen Bildern aus, indessen in den westlichen es mit
grösserer Freiheit gehandhabt wird.