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Thode, Henry; Thode, Henry [Hrsg.]
Michelangelo und das Ende der Renaissance (Band 3,2): Der Künstler und seine Werke: Abth. 2 — Berlin: Grote, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.47069#0206
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Pietro Aretinos Schmähbrief.

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meisseln, lassen sie mit den Händen die Körpertheile verdecken,
die man nicht enthüllt, und ein Christ, bloss weil er die Kunst
höher achtet als den Glauben, macht sowohl Mangel an Schicklich-
keit in den Märtyrern und Jungfrauen, als auch die Geste, dass
Einer an jenen Theilen hinabgezogen wird, zum öffentlichen Schau-
spiel. Etwas, was nicht zu sehen man selbst im Bordell die Augen
verschliessen würde. Einem wollüstigen Baderaum, nicht einem
vornehmsten Kirchenchor ist solch’ Euer Vorgehen angemessen.
Es wäre weniger sündhaft, hättet Ihr überhaupt keinen Glauben,
als mit einem solchen Glauben den Anderer zu vermindern. Nicht
ungestraft aber bleibt die Vortrefflichkeit so waghalsiger Wunder-
dinge, denn das Wunder, das sie selbst bewirken, ist der Tod
Eures Ruhmes. Wollt Ihr diesen wiedererwecken, so thut es, in-
dem Ihr durch Feuerflammen die Scham der Verdammten und durch
Sonnenstrahlen die der Seligen verhehlt, oder ahmt die florentinische
Züchtigkeit nach, welche jene des schönen Kolosses unter goldenen
Blättern verbirgt; und der steht dort auf öffentlichem Platze, und
nicht an geweihtem Ort. So verzeihe Euch Gott, als ich dies nicht
etwa aus Zorn über die (als Geschenk von mir) gewünschten Dinge
sage; denn Eurer Verpflichtung, sie mir zu senden, hättet Ihr mit
allem Eifer nachkommen sollen, da Ihr hierdurch die neidischen
Zungen zum Schweigen gebracht, welche behaupten, nur die
Gherardos und Thomasse könnten über solche Gaben verfügen.
Aber wenn selbst der Schatz, den Euch Giulio hinterliess, damit
seine irdischen Reste in einem von Euch skulpirten Grabmal unter-
gebracht würden, nicht genügte, Euch Euer Versprechen halten zu
machen, was kann ich erhoffen? Obgleich nicht Eure Undankbar-
keit, grosser Maler, nicht Euer Geiz die Schuld daran trägt, sondern
die Huld und Würde des höchsten Hirten. Gott will, dass Dessen
ewiger Ruhm, ihm selbst nur verdankt, in einem einfachen Grabe
weiterlebe und nicht durch Eure Kunst in einem hochfahrenden
Grabgebäude. Immerhin wird Euch als Diebstahl angerechnet, dass
Ihr Eure Verpflichtung nicht erfüllt. Da aber unsere Seelen mehr
danach verlangen, zur Devotion gestimmt, als durch die Kunst der
Zeichnung beeindruckt zu werden , so gebe Gott Seiner Heiligkeit
dem Papst Paul das Gleiche ein, wie er es Gregor eingab, der lieber
Rom des Schmuckes seiner stolzen Gottesstatuen berauben, als die
Verehrung der bescheidenen Heiligenbilder durch jene beeinträch-
tigen lassen wollte. Zum Schlüsse sage ich: hättet Ihr Euch bei
 
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