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Tietze, Hans
Die Methode der Kunstgeschichte: ein Versuch — Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.70845#0087

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§ 4. Einteilung der Kunstgeschichte.

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finden, das mit seinem Stoff, der doch irgendwie aus der Natur genommen
sein muß — denn sogar das Unnatürliche ist ja nach Goethes Wort auch noch
Natur — nicht einen dem Natureindruck vergleichbaren Eindruck machte.
Legt man das Hauptgewicht nicht auf die Sinnestäuschung, wie sie uns in
hundert Künstleranekdoten von Zeuxis bis in die späteste Zeit bezeugt ist,
sondern auf die bloße Möglichkeit, an den Natureindruck zu erinnern, so
ist diese allen Kunstwerken gemeinsame Eigenschaft kein Unterscheidungs-
merkmal für einzelne Gruppen mehr. Die ursprüngliche Intention und
die ursprüngliche Wirkung bieten uns keine Hilfe, weil sie sich selbst der
Kontrolle entziehen.
Infolgedessen ist auch dieser Unterschied nicht leicht genug handhabbar,
um als Grundlage für eine praktische Einteilung zu historischen Zwecken
zu dienen; und dasselbe gilt von der Sonderung von Erlebniskunst und
dekorativer Kunst, Bildkunst und Raumkunst usw.1). Welches immer die
wertvollen Eigenschaften dieser Einteilung für die Ästhetik sein mögen,
für den Zweck rascher Orientierung und klarer Klassierung jeden Objekts,
wie dies die Kunstgeschichte braucht, fehlt ihnen die Unmittelbarkeit und
sichere Faßlichkeit, die in den objektiven Eigenschaften der Kunstwerke
vielleicht leichter zu finden sind. Eine Unterscheidung des Flächenhaften
und des Körperlichen wird sich in der Regel mit voller Bestimmtheit vor-
nehmen lassen und auch eine Sonderung der Raumbildung und der Unter-
ordnung unter praktische Gebrauchszwecke anderer Art meistens keine
Schwierigkeiten bereiten. Obzwar sich auch hier leicht Zwischenformen
finden lassen, bei denen die Einordnung eine schwankende sein kann, so
reicht die sich daraus ergebende Vierteilung der bildenden Künste in Malerei
und Plastik, Architektur und Kunstgewerbe um so mehr aus, als sie die
traditionelle ist und die Gepflogenheit der bisherigen geschichtlichen Behand-
lung wie die Regel der künstlerischen Praxis in ihr zum Ausdruck kommen.
Eine solche Einteilung von Gesichtspunkten der Praxis bestimmen zu
lassen, scheint mir aber deswegen vorteilhaft zu sein, weil sich der Stoff
der wissenschaftlichen Behandlung ja tatsächlich als ein einheitlicher prä-
sentiert und erst die spezielle Aufgabe einer Einzelarbeit eine Lostrennung
irgendwelcher Gruppen nötig macht. Die vielfache Möglichkeit wissenschaft-
licher Behandlung gestattet mannigfache Gruppierung des Stoffes, so daß
nur ein Einteilungsschema, nicht aber eine erschöpfende Systematik möglich
sein dürfte2).

9 Die meisten Einteilungssysteme, wie in abstrakte und konkrete, in ideale und reelle,
imitative und effusive Künste, in solche, die Energien und die Werke hervorbringen usw.,
können füglich übergangen werden, da sie die bildenden Künste nicht als eine eigene Klasse
aussondern, sondern auf Grund jener verschiedenen Prinzipien das ganze Kunstgebiet zu
gliedern versuchen.

2) Ich folge hier der von Bernheim S. 46 ff. vorgenommenen Einteilung.
 
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