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Tietze, Hans
Die Methode der Kunstgeschichte: ein Versuch — Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.70845#0335

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B. Kritik der Denkmäler.

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ganzen Serie von Denkmälern auf Grund einer vorgefaßten Ansicht die
prinzipielle Verjüngung der ganzen romanischen Architekturentwicklung durch
A. Marignan1). Auch an die sicher zu weitgehende Verdammung der Haupt-
werke der Alt-Kölner Malerei sei erinnert und besonders betont, daß man ein
Denkmal nicht für falsch erklären darf, um eine unerwünschte Diskussion
abzuschneiden, sondern, daß eine solche Bestimmung, so gut wie eine andere,
nur mit dem vollen Bewußtsein der Verantwortlichkeit ausgesprochen werden
darf; einesolcheWarnung dürfte bei dem gegenwärtigen starken Selbstbewußt-
sein kritischer und hyperkritischer Kunstkennerschaft nicht überflüssig sein.
II. Bestimmung der Denkmäler (Stilkritik).
Die Bestimmung von Ort, Zeit und Autor eines Kunstwerkes, also die
Aufgabe der sogenannten Stilkritik, gehört zu den wichtigsten Tätigkeiten
der kunstgeschichtlichen Kritik2); streng genommen umfaßt sie ja auch alles
von uns im Zusammenhang mit Fälschung und Irrtum Erörterte. Denn auch
das nachgebildete oder gefälschte Werk ist offenbar nach Zeit, Ort und Autor
bestimmt und bestimmbar und ein prinzipieller Unterschied zwischen den
aus fraudulösen Gründen entstandenen Nachbildungen und den zu Studien-
zwecken oder sonst aus ästhetischen Motiven vorgenommenen ist nicht vor-
handen; der graduelle Unterschied, daß der Fälscher die eigene Persönlichkeit
unterdrückt, um ein vermeintliches Werk der nachgeahmten hervorzubringen,
gilt auch für den Kopisten. Wie diesem trotz aller Mühe die Unterdrückung
nicht völlig gelingt, so bleibt auch der Fälscher irgendwie außerhalb der Zeit
und der Individualität, in die er sich versenkt. Allerdings bleibt der Unter-
schied der Tendenz nicht ohne Einfluß auf die Wirkung; der Kopist bringt
ein Werk hervor, in dem der Widerspruch eines Teils seiner Eigenschaften
mit einem andern Komplex seiner Merkmale zum Verräter der Abhängigkeit
wird; der Fälscher versucht den ganzen Komplex von Assoziationen aus-
zunützen, die dem alten Werk Wert verleihen. Mit dem Aufhören der Asso-
ziativwirkungen, das mit der Entlarvung der Fälschung sogleich eintritt,

L) A. Marignan, Les methodes du passe dans l'archeologie frangaise, Paris 1911. Dazu
E. Lefevre-Pontalis, L'Ecole orthodoxe et l'archeologie moderniste in Bulletin Monumental,
Paris 1911, pag. 1 ff., der den Satz Quicherats (in Revue des Sog. savantes 3. ser. T. V,
pag. 428) zitiert: „Une fausse doctrine qu'on a dans la tete suffit ä faire passer ä l'etat de
lettre morte les temoignages les plus apparents qu'on a devant les yeux." Schon früher
sagte Vöge (Der provengalische Einfluß in Italien und das Datum des Arier Portikus im
Repertorium f. Kunstwissenschaft XXV, S. 409) über Marignan, er habe das Zeug zum
Arzte; „er verjüngt, was er anrührt".

2) Mit wunderbarer Klarheit hat Goethe in seiner Schrift über Winckelmann diese
Aufgabe der Kunstgeschichte umrissen: „Wie man nicht lange mit Kunstwerken umgehen
könne, ohne zu finden, daß sie nicht allein von verschiedenen Künstlern, sondern auch aus
verschiedenen Zeiten herrühren, und daß sämtliche Betrachtungen des Ortes, des Zeitalters,
des individuellen Verdienstes zugleich angestellt werden müssen, also fand auch Winckel-
mann mit seinem Geradsinne, daß hier die Achse der ganzen Kunstkenntnis befestigt sei."
 
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