B. Kritik der Denkmäler.
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und daß dann die innere Identität der beiden bisher nur gegensätzlich charakte-
risierten Methoden erkennbar sein wird.
Denn alle diese Einzelelemente sind ja zweifellos die Ausflüsse eines
individuellen geistigen Zentrums, der besonderen Natur des einzelnen Künst-
lers, die sich nicht nur in der Konzeption im großen, sondern auch in der
Ausführung bis ins kleinste konsequent äußert. Nichts von der Technik
eines Künstlers oder seiner Ausdrucksweise ist „als eine zufällige, imitierbare
Formalistik und rein äußerliche Gewohnheit" anzusehen, sondern in allem
und jedem haben wir es mit einem „kontinuierlichen Informtreten geistiger
Vorgänge" zu tun1). „Im flüchtigsten wie im intimsten Vortrage drückt sich
demnach ein Lebensgehalt aus, der von der einen individuellen Künstler-
natur bedingt und beherrscht ist, uns dieselbe scharf begrenzen hilft und
das beste Erkennungsmittel für dieselbe bleibt." Wenn Bayersdorfer hier
schon 1872 den Finger auf den Punkt legte, wo psychologische Interpretation
und induktive Phänomenologie einander entscheidend berühren, so muß der
sich anschließende Satz, in dem die analytische Aufgabe zerlegt, die Be-
stimmung des geistigen Ideenkreises der Meister, ihres Kompositions- und
Farbengeschmacks, ihrer Naturerfassung, ihrer Formengebung, des Kolorits,
der Lichtbenutzung als erreicht bezeichnet wird, doch mehr als ein Zukunfts-
programm gelten. Denn es wäre eine Selbsttäuschung der Kunstgeschichte
zu meinen, daß sie in all diesen Kategorien bereits zu jener Feststellung ob-
jektiv beweiskräftiger und nachprüfbarer Merkmale gelangt wäre, die als
eine Übertragung der Morellischen Methode auf die innere Konzeption der
Kunstwerke bezeichnet worden ist2).
Eine solche Erweiterung des objektivbehandelbaren Bereichs stilkritischer
Forschung ist aber nur dann zu erzielen, wenn alle isolierbaren Probleme mit
Konsequenz und — wer könnte das in Abrede stellen! — Selbstverleugnung
auf ihren objektiven Ertrag hin untersucht werden. So einseitig die Fest-
stellungen einer solchen Problemerforschung zunächst erscheinen müssen,
so führt doch nur dieser Dornenpfad zu einer wissenschaftlichen Versöhnung
psychologischer und induktiver Stilkritik. Deshalb ist es unratsam, einer
Eingebung der Ungeduld folgend, mit C. Neumann diejenigen „eines end-
losen Geredes über Raum" zu bezichtigen3), die einer methodisch bedeut-
samen Anregung H. A. Schmids4) und der besonders von August Schmarsow
eingeschlagenen Richtung folgend5), aus einer Auseinandersetzung mit dem
L Bayersdorfer, Der Holbeinstreit, 1872; in Leben und Schriften, München 1902,
S. 146.
2) Dvorak in Kunstgeschichtliche Anzeigen 1911, S. 95f.
3) Vgl. dagegen Riegl, Holländisches Gruppenporträt, S. 207, Anm.
4) H. A. Schmid, Über objektive Kriterien der Kunstgeschichte, im Repertorium für
Kunstwissenschaft XIX, S. 269.
5) I. Kern, Die Grundzüge der perspektivischen Darstellung usw., Vorwort. — Vgl.
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und daß dann die innere Identität der beiden bisher nur gegensätzlich charakte-
risierten Methoden erkennbar sein wird.
Denn alle diese Einzelelemente sind ja zweifellos die Ausflüsse eines
individuellen geistigen Zentrums, der besonderen Natur des einzelnen Künst-
lers, die sich nicht nur in der Konzeption im großen, sondern auch in der
Ausführung bis ins kleinste konsequent äußert. Nichts von der Technik
eines Künstlers oder seiner Ausdrucksweise ist „als eine zufällige, imitierbare
Formalistik und rein äußerliche Gewohnheit" anzusehen, sondern in allem
und jedem haben wir es mit einem „kontinuierlichen Informtreten geistiger
Vorgänge" zu tun1). „Im flüchtigsten wie im intimsten Vortrage drückt sich
demnach ein Lebensgehalt aus, der von der einen individuellen Künstler-
natur bedingt und beherrscht ist, uns dieselbe scharf begrenzen hilft und
das beste Erkennungsmittel für dieselbe bleibt." Wenn Bayersdorfer hier
schon 1872 den Finger auf den Punkt legte, wo psychologische Interpretation
und induktive Phänomenologie einander entscheidend berühren, so muß der
sich anschließende Satz, in dem die analytische Aufgabe zerlegt, die Be-
stimmung des geistigen Ideenkreises der Meister, ihres Kompositions- und
Farbengeschmacks, ihrer Naturerfassung, ihrer Formengebung, des Kolorits,
der Lichtbenutzung als erreicht bezeichnet wird, doch mehr als ein Zukunfts-
programm gelten. Denn es wäre eine Selbsttäuschung der Kunstgeschichte
zu meinen, daß sie in all diesen Kategorien bereits zu jener Feststellung ob-
jektiv beweiskräftiger und nachprüfbarer Merkmale gelangt wäre, die als
eine Übertragung der Morellischen Methode auf die innere Konzeption der
Kunstwerke bezeichnet worden ist2).
Eine solche Erweiterung des objektivbehandelbaren Bereichs stilkritischer
Forschung ist aber nur dann zu erzielen, wenn alle isolierbaren Probleme mit
Konsequenz und — wer könnte das in Abrede stellen! — Selbstverleugnung
auf ihren objektiven Ertrag hin untersucht werden. So einseitig die Fest-
stellungen einer solchen Problemerforschung zunächst erscheinen müssen,
so führt doch nur dieser Dornenpfad zu einer wissenschaftlichen Versöhnung
psychologischer und induktiver Stilkritik. Deshalb ist es unratsam, einer
Eingebung der Ungeduld folgend, mit C. Neumann diejenigen „eines end-
losen Geredes über Raum" zu bezichtigen3), die einer methodisch bedeut-
samen Anregung H. A. Schmids4) und der besonders von August Schmarsow
eingeschlagenen Richtung folgend5), aus einer Auseinandersetzung mit dem
L Bayersdorfer, Der Holbeinstreit, 1872; in Leben und Schriften, München 1902,
S. 146.
2) Dvorak in Kunstgeschichtliche Anzeigen 1911, S. 95f.
3) Vgl. dagegen Riegl, Holländisches Gruppenporträt, S. 207, Anm.
4) H. A. Schmid, Über objektive Kriterien der Kunstgeschichte, im Repertorium für
Kunstwissenschaft XIX, S. 269.
5) I. Kern, Die Grundzüge der perspektivischen Darstellung usw., Vorwort. — Vgl.
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