B. Kritik der Denkmäler.
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von ausnahmsweisem Rang und nur in der Theorie fanden sie etwa Ver-
allgemeinerung, weil nach dem ästhetischen Dogma die moderne Skulptur
die antike überhaupt nicht erreichen könnte1).
Allmählig erwuchs daneben die neue ästhetische Forderung der Stil-
reinheit, d. h. daß bei einer Restaurierung oder sonstigen Ergänzung nicht
ein neuer Gesamteindruck, sondern eine möglichste Herstellung des ursprüng-
lich beabsichtigten Eindrucks angestrebt werde. Vereinzelte Beispiele solchen
Strebens hat es schon im 17. Jahrhundert gegeben, Bauherstellungen, bei
denen auch der gewiegteste Kenner von heute nur mit großer Mühe die Er-
gänzung vom ursprünglichen Kern loslösen kann2). Die Fälle mehren sich
im 18. Jahrhundert, das auch in seiner zweiten Hälfte bereits zur theoretischen
Forderung der Stilreinheit gelangt3), die aber zunächst mehr durch ein Streben
nach dem vermeintlichen ursprünglichen Gesamteindruck, als durch ein
sorgfältiges Nachbilden der alten Detailformen angestrebt wird; also eine
ähnliche Auffassung wie bei den Fälschungen jener Zeit. Voll ausgebildet
wurde die Forderung nach Stilgerechtigkeit im neunzehnten Jahrhundert;
dieses forderte überall, „daß die ursprüngliche Erscheinung des alten Werkes
und dessen eigenartiges Gepräge in seinem ganzen Umfange erhalten bleibe,
gleichviel, ob diese Restaurierungsarbeit ein einfaches Ausbessern und Her-
stellen oder ein Ergänzen oder ein Wiederherstellen und Erneuern oder ein
Ausbauen und Erweitern in sich begreift"4). Die ästhetischen und ethischen
Grundlagen dieser Auffassung, von der die Denkmalpflege seitdem energisch
abgerückt ist, stehen hier außer Diskussion; hier handelt es sich nur darum,
daß durch derartige Restaurierungen eine Täuschung über den alten Bau-
bestand angestrebt und vielfach auch erzielt wurde5) und daß sie vom rein
wissenschaftlichen Standpunkt, der ja für die ästhetische Beurteilung
der Frage nicht präjudizierlich sein muß, nur als Verfälschungen bezeichnet
und verworfen werden müssen. Zumindest muß die Wissenschaft darauf
bestehen, daß die in alten Formen vorgenommenen Ergänzungen deutlich
als solche charakterisiert werden; konsequenter aber handelt sie, wenn sie
sie auch an Architekturen ebenso unbedingt ablehnt, wie es bei Skulpturen
9 Mariette schließt seine Mitteilung über eine Restaurierung, die Francesco Fiam-
mingo an einer antiken Bacchusstatue vorgenommen hatte, mit der Betrachtung: „La sculp-
ture moderne risque trop d'etre mise en parallele avec la sculpture ancienne." Mariette,
Abecedario.
2) Sehr instruktive Beispiele bei Bezold, Übereifer in der Denkmalpflege in Denkmal-
pflege XI, S. 10.
3) Besonders Blondel im Cours d'Architecture (II, pag. 311) und Cochin in den Me-
moires inedits (Paris 1880, pag. 32) bemühen sich um diese neue Forderung. Vgl. auch Tietze,
Wiener Gotik im 18. Jahrhundert im Kunsthistor. Jahrbuch der Zentralkommission 1909,
S. 175.
4) Aus den „Grundsätzen für die Wiederherstellung der Baudenkmäler", die Tornow
auf dem Dresdener Denkmalpflegetag 1900 aufstellte. Öchelhäuser, Denkmalpflege, 1909, S.49.
5) Gurlitt auf dem Trierer Denkmalpflegetag 1908; Öchelhäuser a. a. O. S. 115.
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von ausnahmsweisem Rang und nur in der Theorie fanden sie etwa Ver-
allgemeinerung, weil nach dem ästhetischen Dogma die moderne Skulptur
die antike überhaupt nicht erreichen könnte1).
Allmählig erwuchs daneben die neue ästhetische Forderung der Stil-
reinheit, d. h. daß bei einer Restaurierung oder sonstigen Ergänzung nicht
ein neuer Gesamteindruck, sondern eine möglichste Herstellung des ursprüng-
lich beabsichtigten Eindrucks angestrebt werde. Vereinzelte Beispiele solchen
Strebens hat es schon im 17. Jahrhundert gegeben, Bauherstellungen, bei
denen auch der gewiegteste Kenner von heute nur mit großer Mühe die Er-
gänzung vom ursprünglichen Kern loslösen kann2). Die Fälle mehren sich
im 18. Jahrhundert, das auch in seiner zweiten Hälfte bereits zur theoretischen
Forderung der Stilreinheit gelangt3), die aber zunächst mehr durch ein Streben
nach dem vermeintlichen ursprünglichen Gesamteindruck, als durch ein
sorgfältiges Nachbilden der alten Detailformen angestrebt wird; also eine
ähnliche Auffassung wie bei den Fälschungen jener Zeit. Voll ausgebildet
wurde die Forderung nach Stilgerechtigkeit im neunzehnten Jahrhundert;
dieses forderte überall, „daß die ursprüngliche Erscheinung des alten Werkes
und dessen eigenartiges Gepräge in seinem ganzen Umfange erhalten bleibe,
gleichviel, ob diese Restaurierungsarbeit ein einfaches Ausbessern und Her-
stellen oder ein Ergänzen oder ein Wiederherstellen und Erneuern oder ein
Ausbauen und Erweitern in sich begreift"4). Die ästhetischen und ethischen
Grundlagen dieser Auffassung, von der die Denkmalpflege seitdem energisch
abgerückt ist, stehen hier außer Diskussion; hier handelt es sich nur darum,
daß durch derartige Restaurierungen eine Täuschung über den alten Bau-
bestand angestrebt und vielfach auch erzielt wurde5) und daß sie vom rein
wissenschaftlichen Standpunkt, der ja für die ästhetische Beurteilung
der Frage nicht präjudizierlich sein muß, nur als Verfälschungen bezeichnet
und verworfen werden müssen. Zumindest muß die Wissenschaft darauf
bestehen, daß die in alten Formen vorgenommenen Ergänzungen deutlich
als solche charakterisiert werden; konsequenter aber handelt sie, wenn sie
sie auch an Architekturen ebenso unbedingt ablehnt, wie es bei Skulpturen
9 Mariette schließt seine Mitteilung über eine Restaurierung, die Francesco Fiam-
mingo an einer antiken Bacchusstatue vorgenommen hatte, mit der Betrachtung: „La sculp-
ture moderne risque trop d'etre mise en parallele avec la sculpture ancienne." Mariette,
Abecedario.
2) Sehr instruktive Beispiele bei Bezold, Übereifer in der Denkmalpflege in Denkmal-
pflege XI, S. 10.
3) Besonders Blondel im Cours d'Architecture (II, pag. 311) und Cochin in den Me-
moires inedits (Paris 1880, pag. 32) bemühen sich um diese neue Forderung. Vgl. auch Tietze,
Wiener Gotik im 18. Jahrhundert im Kunsthistor. Jahrbuch der Zentralkommission 1909,
S. 175.
4) Aus den „Grundsätzen für die Wiederherstellung der Baudenkmäler", die Tornow
auf dem Dresdener Denkmalpflegetag 1900 aufstellte. Öchelhäuser, Denkmalpflege, 1909, S.49.
5) Gurlitt auf dem Trierer Denkmalpflegetag 1908; Öchelhäuser a. a. O. S. 115.