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Gesellschaft für Nützliche Forschungen zu Trier [Hrsg.]
Trierer Jahresberichte: Vereinsgabe d. Gesellschaft für Nützliche Forschungen zu Trier — NF 5.1912(1914)

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Schüller, Andreas: Die Volksbildung im Kurfürstentum Trier zur Zeit der Aufklärung, [1]: die Anfänge der modernen Volksschule
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https://doi.org/10.11588/diglit.44041#0053
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43J

A. SCHÜLLER, VOLKSBILDUNG IM KURFÜRSTENTUM TRIER.

Die Volksbildung im Kurfürstentum Trier zur Zeit der
Rufklärung.
(Die Rnfänge der modernen Volksschule.)
Von Andreas Schüller,
Pfarrer a. D., Oberlehrer zu Boppard.
(F ortsetzung.)

VI. Ansätze zu einer Arbeitsschule.
Zuweilen bemerkt man in unserer Heimat zwischen altem Gartengemäuer einen
verkrüppelten und verkümmerten alten Maulbeerbaum. Dieser erzählt, wenn wir ihm
zuhören wollen, von jener Zeit des Sozial-Eudämonismus, der Tendenz allgemeiner
Volksbeglückung, speziell von der Wirtschaftsform des Physiokratismus, der da
den Satz presste, jedes Land müsse das zur Befriedigung der Lebensbedürfnisse seiner
Einwohner Notwendige selbst produzieren. Das dem aufgeklärt-absolutistischen Regimente
so charakteristische humanitäre Streben — Friedrich der Grosse ging mit bestem
Beispiel allen voran — wurde auch besonders eifrig von den kleineren Fürsten betätigt.
Ihnen war Kriegsruhm versagt; hier aber konnten auch sie Unsterblichkeit ernten.
Einen Bienenfleiss in der Sorge für das Volkswohl entfalteten besonders die katholischen
geistlichen Fürsten. Die Jenseitsziele treten verblasst mehr in den Hintergrund. Auf
die Hebung der materiellen Kultur laufen die meisten ihrer Aufklärungsbestrebungen
hinaus. Galt es doch einmal, die tiefe und trostlose Armut erstmalig wenigstens
einigermassen zu besiegen. Dann aber waren seit etwa den 50er Jahren die prote-
stantischen grösseren Staaten politisch, wirtschaftlich und wissenschaftlich stark im
Vormarsche begriffen. Da galt es, in edlem Wetteifer sie einzuholen. Oft schweift
deshalb in Zeitungsartikeln, Büchern und Verordnungen katholischer Staaten, auch des
Trierischen, der Blick hinüber auf die Verhältnisse und Einrichtungen der Rivalen.
Clemens Wenzesläus war hierin glücklicherweise ein Kind seiner Zeit; sein
Volk „industfiös“ zu machen, war sein sehnlichster Wunsch83). Er dachte dabei nicht
nur an die Förderung des Acker- und Weinbaues, des Handwerkes und des kleinen
Binnenhandels, — mehr gab es in seinem Staate nicht — der Gipfel seines Ehrgeizes
bestand darin, das Fabrikwesen, im Kurfürstentum heimisch zu machen.
Er durfte an die Verwirklichung dieses Zieles glauben, denn die ganze Geistes-
richtung war durch sein Bemühen, besonders im Niederstifte, moderner und realistischer
geworden. Betrat man damals sonntags eine Dorfkirche, so durfte man sich nicht
wundern, von einem modern gesinnten Pfarrer, und das waren die meisten, eine Predigt
etwa über das Wesen des Blitzes oder über den Nutzen des Kleebaues zu hören. In
dem Diözesan-Gesangbuche standen Lieder die das Fabrikwesen, das Handwerk
und die Landwirtschaft verherrlichten. Die Reaktion, gegen das früher zu starke
Betonen des Transzendentalen hatte sich schnell und energisch Balm gebrochen und
liess jetzt das Übernatürliche im öffentlichen Leben stark zurücktreten. Helle Be-
geisterung entfachten allenthalben die grossen Erfolge der Naturwissenschaften. In
kindlicher Freude über die eben überwundene naive Naturbetrachtung des Mittelalters
glaubte man mit der Fackel der Empirie und der Ratio in alle Verhältnisse hin-
83) Schon seine erste Verordnung (16. II. 68. Bl. V 70) ist charakteristisch: Er
verbietet bei seinem Einzuge alle Geldverwendung auf Ehrenpforten, Erleuchtungen und
sonstige Freudenspiel wegen „zeitherige betrübte Zeiten (und) denen armen Unterthanen des
Erzstifts Trier bekanntlich zugewachsene harte Nothständ.“
 
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