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Das 500jährige Jubiläum der Heidelberger Universität im Spiegel der Presse: Frankfurter Zeitung — 1886

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https://doi.org/10.11588/diglit.17444#0005
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r. §eite Nr. 218.__

teren Verkchr zwischen den Nationen hin und diese Wirkung
kciiin selbst da nicht oollstündig vertilgt werden. wo die Bah-
nen vielfach zu einem Werkzeug im Dicnste thörichter zoll-
politischer Tendenzcn herabgedrückt werdcn. Die Fortschritte
in Wissenschaft nnd Technik. in Recht und Sitte. knmmern
sich eben nicht uin Zollschlagbänme. sie dienen nuf dem Ge-
biete des Verkehrswesens cinzig und nllcin dem Zwecke der
Knltur. der nicht in der handelspolitischen Verhetzung der Nach-
barvölker. sondern in ihrer wirthschaftlichen Annähernng mit-
telst friedlicher Arbeit zu suchen ist. Hier findet anch seine
Stelle ein einheitliches internutionales Eijenbahnfrachtrccht. das
an seinem Theile. ebenfalls nber aller interncitioncilen Handels-
feindseligkeit stehcnd, wie der Ausfnhr, die nian fördcrn will.
so der Einfnhr. die man hemmcn will. unparteiisch dienen wird.

Atalirn.

-U2 Rom, 2. Ang. Gestern fand die Stichwahl stait
>wischen dem Fürsten Colonna, dem Rcgicrungskandidaten.
^nd Coccapiel ler. dem in den (karaeri nuovo zu Rom
nngekerkerten Manne. der sich „Tribnu" nennt nnd von seinen
Nnhängern auch so gcnannt wird. Coccapieller wurde gewähkt.
So hat das Volk in Jtalien dreimal in kurzer Zeit gezeigt.
daß es wenig Werth auf das Urtheil der Gerichte legt und
den Kranz des Volksvertreters auch aus das Haupt Des-
senigen setzt, den die Richter sür infam crklärt haben. Der
vrastischste Fall war der Fall Cipriani in der Romagna —
-uch Sbarbaro's erinnern sich noch die Leser — nun macht
Coccapieller von sich sprechen. Er bildet in der That das
Lagcsgespräch in Rom. Sein Ruhm ist nichk alt. Ju sei-
nem Organ „Ezio II." (Ezio-Aötius; Coccapiellcr wollte wohl
mit dem Namen seines Organs andcuten. daß er wie Aätius
die alten Hunnen. so als ziveiter Aötius die neuen Hunnen
aus dem Felde zn schlagen gedenke) bckümpfte er wie Sbar-
baro in seinen „k'orolio tlaucllno" die „Corruption" oder
wie er sich ausdrückte, dcn „Llkarismo" (das Krümerthum).
Coccapiellcr, wahrscheinlich von guten Absichtcn beseelt.
bediente sich durchaus nicht urbaner Redensarteu und
kam. indem ihu das Schicksal vieler moderner Tribunen er-
eilte. auf Betreiben der Angegriffencn. insbesoiidere der Nadi-
kalen. deren Ehre er verletzt hatte. vor die Assisen. Cocca-
pieller ward zu dreijährigem Kerker vcrurtheilt und seit ge-
raumer Zcit schmachtet er in den Oaroori nuovo zu Rom.
Sein Namc war besonders in letztcr Zeit viel gcnannt. dcnu
Eoccapieller hat eigentlich das Verdienst. das Urtheil des
krsten Gerichtes über die an dem Millionen-Diebstahl vou
Ancona Bctheiligten und Unbetheiligtcn als ungerecht hinge-
stellt und eiu zweites Gericht übec die Frevler nachdrücklichst
verlangt zn haben. Er hat namentlich das Treiben des nun-
mehr vor den Assisen zu Ancona stehenden Lopez anfgedeckt.
Jn diesem Falle hat er sich ein unbestrittcnes Verdienst cr-
worbcn. Allein immerhin ist seine Wahl ein bedenkliches
Zeichen der Zeit in Jtalien. cin Zeichen, daß man die Ge-
richte nicht respektirt, ein Zeichen auch. daß in Rom die so-
zialistischc Propaganda große Fortschritte macht. Coccapieller
ist monarchischcc Sozialist. Er proklamirt die Erlösung
des Proletariats durch das Haus Savoyen. Sein Gegen-
kandidat war der Fürst Colonna aus dem berühmten
historischen Geschlcchte. das nebcn dcm Geschlechte dec Orsini
tinen so großen Einfluß auf die Geschicke der ewigen Stadt
geübt hat. Es werden nun iin Parlament die verschiedensten
Meinungen im Kreise der Depntirten Roms vertrcten sein.
Uni nur einige bekanntere Namen anzusühren. Dertreten nun
neben Coccapieller. dem Feinde der Regierenden und der Na-
dikalen. der Sindaco von Rorr Herzog von Torlonia von .
der Regierungspartei und der einstigc Unterrichtsminister und
berühmte Arzt Prof. Baccelli von dcr Oppositionspartci
die Stadt Nom im Parlament. — Jm Ministerium der öf-
fentlichen Arbeiten hat der dortsclbst tagendc 6onsiAlio sups-
riore ckei lavori publioi das von dem Jngenieur Tagliacozzo
mtworfene Projekt. Rom znm Seehafen zu machen. ernst-
lich in Erwägung gezogen. Durch einen Kanal von 80 Meter ,
Breite und 10 Meter Tiefe soll nümlich das Tyrrhcnischc
Meer nach Rom geleitet werdcn. Wenn die gegeuwärtige Re-
giernng das gewaltige Projekt realisirte. dann würde sie sich
gewiß ein Verdienst erwerben, das man mit goldenen Lcttern
vuf jenem Blatte der Geschichte Jialiens vcrzeichneu würde.
auf dem die Thatsache dcr Bebauung der Campagna stünde.
Denn anch diese Riesenaufgabe möchte die Regierniig durch-
sühren. Man hält all das in einer Zeit und in eiuein Lande
sür möglich. wo die Anstrocknung dcs Lago di Fucino unter
den größten Schwicrigkeiteu erfolgt ist. Freilich war dies das
Werk eines reichen Privatinannes, des jüngst verstorbenen
Fürsten Ton Alessandro Torlonia. Es sragt sich, ob die
guten Vorsätze der Regiernng nicht an dem mangclnden Xorvus
>-erum scheitern tverdcn.

Tttrkrl.

* Ueber den beretts in unscreni Konstantinopeler Privat-Telegr.
bom 3. d. M. erwähiiten Mordanfall gegen den Groß-
wessier werden dem Neutcry'chen Bureau noch nachstehende
Einzclheiten berichtet: „Am vorigen Svnntag Mittag, als der
Eroßwessier seine Equipage verließ, um sich in einen Minister-
rath zu bcgeben, seuerte ein A! uselmann 3 Revolverschüsse
»ilf ihn ab. Der Ntteniäter versuchte noch zwei weitere Schüsse
abzugebeii, abcr die Patronen versagten. Die drei Kugeln hatten
die Seite der Equipage durchbohrt, ohne indeß Kiamil Pascha
zu berühren. Der Uebelthüter wnrde sofort verhastet, und es
stellts sich heraus, daß cr eiu Mouhadjir aus Adrinnopel ist, d. h.
rin Flüchtling aus der Zeit des lehten russisch-türkischen Krieges,
und seines Gewerbes ein Uhrmacher. Er erklürte, daß er wegen der
Ungcrechtigkeit, die er erlitteu habc, Kiamil Pascha zu tödten
wünschte. Letzterer hatte Hnssan Fehmi Pascha während dessen
Abwesenheit in London im Jnstiz-Ministerium vertreten. Der

Morgenlllalt drr Frankfurter Iertnng.

Sultan ließ sich den Mann vorführen, und befragte ihn selber,
um festzustellen, ob seins That nur rein persönlichen Motiven
entsprang, oder einer Verbindung unter deu Mouhadjirs zuzu-
schreiben war, die schvu seit geraumer Zsit Erbitterung gezeigt
haben, da vorgeschlagen wurds, sie zum Militürdienst heranzu-
ziehen, von dem fie bisher befreit waren. Andere Berichte stellen
den Attsntäter als einen Menschen dar, dessen Verstand schon
vor mehreren Jahren durch den Verlust eines Prozesses gelitten
hat. Die Mitglieder des diplomatischsn Corps haben dsn Groß-
Iveffier zu seiuem Entrinnen aus der Eefahr beglückwünscht.
Konstantinopeler Journalen ist es absolut untersagt worden,
irgend Etwas über den Gegenstaud zu vcröffentlichen; auch durfte
kein daranf bezügliches Telegraniin uach dem Auslande abgehen."
Deshalb langte auch unser Privat-Tekegramm vom Dienstag erst
am Mittwoch hier an.

Amerlka.

^ Washingtott, 4. Aug. Jn hiesigen guk unterrich-
teten Kreiseu verlantet, daß im Falle die mexikanische
Negierung das erneucrte Verlangen der Vereinigten Staaten
aus Freigebung Cutting's ignnriren sollte, der amerikanische
Gcsandte in Ätexiko abberufen und wahrscheinlich eine außer-
ordcntliche Sessiou des Kongresses abgehalten toerden würde,
nm die in diescr Angelegenheit weitcr zn ergreifenden Schritte
zn crwägcn.

DeulschöStrreiWikr uud Dentschek Klub.

Die „Frankfnrter Zeitung" brachte in Nr. 193
Beilage, eincn Artikel aus der Feder eines hervorragenden
österrcichischen Politikers, iu tvelchcm ausgesprochen wurde, daß
die Führer des „Deutschösterreichischen Klubs",
insbesondere Hcrbst und Plener, auf dic Zertrümmerung des
„Deutschen Klnbs" hinarbeiteteu, um die Zweitheilung
der Opposition zu beseitigen und diese zugleich regierungsfähig
zn machen. Jn dem Ärtikel war das Vorhandensein dieser
Absicht durch Belege dargethan und die gauze Aktion mit zu-
stimmenden Worten begleitet. Die „Frankf. Ztg." sclbst leitete
den Aussatz mit der Bemerknng ein, daß sie keine Stellung
zn der Angelcgenheit nehme. Es war nicht verwunderlich, daß
diesc Aiislassungeii Aufsehcn errcgten und in die österreichische
Presse ribergingcn; zumal die „Deutsche Zeitung", das Organ
des Dentschen Klubs, beschüftigte sich in hervorragender Weise
mit der Angelegenheit. Dagegen wurde iu den verflossenen
drci Wochen vcn keiner irgcnd zustündigen Stelle der Versuch
unternommen, die in dem in Nede stcheudcn Artikel gemachten
Angaben zn widerlegen. Jetzt endlich kommt der Abgeordnete
Dr. Jnlins Magg, Mitglied des Deiitschöstcrreichischcn
Klubs, in einer in Leibnitz vor scinen Wühlern gchaltenen
Nede anf den erwähnten Ärtikel zu sprechen, und zwar in
folgendcr Weise:

„Bevor ich versuche, Jhnen eins Darslellung der politisLcn
Lage uud der Ausgabe Jhres Abgeordneten, so wis ich sie er-
keniie, zu gcbcn, erlauben Sie mir, mich über ein Vvrkooimniß
der jüngsten Zcit rückhaltlos uud entschicden auszusprechen. Ein
Artikel der „Frankfurter Zeitnng", der dieser angeblich von einer
der „ersten politischen Perjönlichkeiten Oesterreichs" zugesendet
worden ist, wird in der „Deutfchen Zeitung" nnter dem Titel:
„Die Hvffnungen des Teutichösterreichischen Klubs" abgedruckt.
Jn diesem Artikel wird behanptet, Herbst und Plener hätten
schon im Abgeordnetenhause dem Dentschen Klub „den Fehde-
handschnh hiugeworfen"; die Neden Stnrm's und Plener's seien
„die Fortsetzung und fchärfere Accentuirnng" dieser angeblich
„schon seit längerer Zeit beschlosscnen u»d im Parlamente auf's
Glücklichste eingeleiteten Nktion", jetzt werde „der Kampf in die
Devölkerung hiueingctragen", und wenn derselbe siegreich beendigt
sei, dann „dürfle man wohl maßgebendcnorts nicht länger mehr
säumen, sich dankbar zu erweisen." n. s. w. Diese Angaben
nber die Beschlüsse und Absichten des Deutschösterrei-
chischen Klubs und seines Vorstandes erkläre ich hiermit
für ersunden von Anfang bis zu Ende. Eine
solche Aktion ist niemals weder beschlossen, noch eingeleitet,
noch fortgesetzt, uoch schärfer acccntuirt wordcn. Nicht ein
einziges Vorstandsmitglied hat jemals irgend dergleichen an-
geregt oder eine svlche Gesinnung zu erkenncn gegebcn. Nichts
liegl dem Dciltschösterreichischen Klnb uiid seinem Vorstande
ferner, als die Absicht eincs Knmpfcs gegen den Deutschen Klub,
dessen Programm von feinem cigenen nur schwierig zu untsr-
scheiden ist, in desscn Mitglicdern wir Genosscn unscrer Hanpt-
grundsütze, politische und nationale Freunde und Verbündetc er-
blicken. Jch gebc diese Erklürung ab in voller Nebereinstinim-
ung mit nllcn Vorstandsmitgliedcrn, dic ich einzuvernehmen ver-
mochte. und iu der festeu Neberzeugung, daß die nicht Befragten
dem Gesagten vollständig zustimmen. Die „Frankfurter Zeitung"
und die „Teutsche Zeitung" sind also mystificirt worden. Es
schmerzi mich, daß die Chef-Redaktenre der „Deutschen Zeitung",
welche doch die Personcn kennen, die Fülschung nicht durch-
schaut und die Reden eines Plener, Herbst, Sturm, die Charak-
tere von uns Allen so wenig verstanden haben. Es schmerzt inich
auch, tatz sie nicht ihr llebersehen als ehrliche deutsche Wiener
als cin solches erklürt haben. Aber die Sache hat uoch eine
andere Seite. Wer sich für „eine der ersten politischen Persön-
lichkeiten Oesterreichs" hält, kann ich nicht wissen; nur daß der
Verfasser mit dem Vorstande des Deutschösterreichischen Klubs
oder mit den hervorragendeu Münnern des Klubs nichts zu
schaffen hat und über diescn vom Nnfang bis zu Ende nur Un-
wahres berichtet, kann ich vcrsichern. Wir haben unS aber Mühe
gegeben, dem Urspninge dieses Aufsahes nachzugeben. Die „Frank-
furter Zeitung" hat in Wien „gute" Beziehlingen >n dcm Sinne,
daß sie öfters in der Lage ist, nber Absichten und Haiidlungeu
des Ministeriums Taaffe aus erstcr Ouelle zu berichten. Cs ist
zwar nicht eine heute schon vollständig bewiesene Thatsache, aber
es ist auch keineswegs eine bloßc Kombination, daß der fragliche
Artikel auf Anreguiigen nnd Gedankcn des österreichischen Preß-
bureaus zlirückzuführsn ist. Und darin, meine Herren, spiegelt
sich die politische Lage. „Sie sind eine kläglich in Fraktionen
gefpaltene Minorität!" hat uns ein Parleiführer der Rechten im
Äbgeordnetenhause zugcrufen. Und kaum haben sich die Abge-
ordneten nach allen Weltgegenden zerstreut, so wird der eins Klub

der freisinnigen Deutschen gehetzt, der andere verleumdet, Miß-

trauen, Haß und Zwietracht gesäet. Wem zuliebe — nnd wem
zuleide? — Die Antwort darauf geben Sie fich selbst."

Zunächst ein Wort gegen die in den Schlußfätzen der Magg-
schen Rede liegende Verdächtigung. Die Behanpkung, „daß der
sragliche Artikel auf Anregungen und Gedanken des österrei-
chischen Preßbureaus zurückzuführen sci", ist allerdings keines-
wegs eine „bloße Kombination", sondern sie ist eine L ü g e.
Daß die „Frankf. Ztg." über „Absichtcn und Handlungen
des Ministeriums Taaffe" öfters aus „erster Quelle" bedient
wird, ist richtig; dafür hat sie gnt unterrichtete Korresponden-
ten. Die „Frankf. Ztg." aber in irgenö welche Verbiudung
mit dcm österreichischcn Preßburean zu bringen, ist ein um so
lächerlicheres Uuterfangen, als dasselbe schon dnrch unsere ganze
Haltung in österreichischen Fragcn läglich Lügen gestraft wird.

Was den Artikel anlangt, der Herrn Magg so anfgeregt
hat, so ist in der ihm s. Z. von uns gegebenen Einleitung
ausdrücklich gesagt worden. daß er von einer der erstcn poli-
tischcn Pcrsönlichkeiten Oestcrreichs stammt, welche in derLage
ist, die Stimmung in den maßgebenden politischen Kreiscn
genau zu kennen. Daß er von einem Mitgliede des Vorstau-
des des deutsch-österreichischen Klubs herrühre, ist von uus an
keiner Stelle behanptet worden. Zudem hat der Artikel nicht
von förmlichen „Beschlüssen" gesprochcn, durch welche der
Deutschösterreichische Klub seinen Feldzug gegen den Deutschen
Klnb eingeleitet habe; es gibt Beschlüsse, die stillschweigend
gefaßt werden und erst durch entsprechende Handlimgen iu
Kraft treteu. Daß man es aber niit eiuer seitens des deutsch-
österreichischeu Klubs beschlossenen Nktiou iu diesem Sinne zu
thun hatte, geht aus dcn Rcden Herbsts und Sturms sowie
aus anDeru Thatsachen mit wünschenswerther Deutlichkeit her-
vor. Ist es vielleicht nicht richtig, daß die Organe des rechtcn
Oppositionsflügels mit wenigen Ausnahmen tagtäglich die
Spaltung beklagen, die durch die Gründung dcs „Deutschen
Klubs" in die Linkc hineingetragen worden ist? Jst es nicht
richtig, daß dic Teutschliberalen seit gcrauiner Zeit sich dem
Ministerium minder schroff gegenüberitcllen alsfrüher? Jst esserner
nichtrichtig.daßfie durchBewilligungdesBudgetsdieStellungeiner
striktenOppositionspartei anfgegebenhnben.wie siedenn mchrfach —
so z. B. in der Augclegeiiheit des Sozialistcngesetzcs der Re-
giernng wciter entgegcngekommen sind, als diese wohl selbst
crwarlet hat? Uud hat nicht angcsichts der jüngsten Verän-
dernngen im Kabiuet in den Reihen dcs deutsch-österreichischen
Klubs die Hoffnung Platz gegrisfcn,, cs bcrcite sich cine Wnnd-
lung der Dinge vor? Wer das lüugnet, der hat cntweder die
letzten Monate verschlascn, oder er stellt es widcr bessercs Wiffen
in Avrcde.

Wenu Herr Magg heute wiedcrum Fühlung mit dem
deutschen Klub fucht und die beiden Oppositionsflügcln geniejn-
samen Punkte hcrvorhebt, so ist nicht zu vergessen, daß sür
den Angcnblick die Hoffuungen auf eine Schwenknng des
Kabinets Taaffe nicht unwejentlich zurückgegangen sind, wo-
mit der dentschösterreichische Klub vorläufig iu jeincr Oppo-
sitioiisstellung fcstgebannt ist. Wir weisen demnach das Demeuti
dcs Herrn Magg ebcnso entschieden znrück ivie seine gegen
uns geschlenderte Verdächtignng nnd wiederholen, daß dcr von
nns veröffentlichte Artikel von cinem hervorragendcn, über die
Verhältnisse in Oesterreich wohl unterrichteten Politiker her-
stammt; wenn die Ausführungen unseres Gewührsmanns
diescm oder jenem Politikec nicht angciiehm waren, so kann
das ihiem Werthe nicht das Mindeste rauben.

Der Kgzialistenprozeß in FreUlerg.

( S P e z i a l b e r i ch t der F r a n k f. Zeitung.)

T Freiberg, 4. August.

In der bekannten sensationellen Strafsache gegen eine Anzahl
sozialdemokratischer Parteiführer hat, wie schon durch ein Tele-
gramm mitgeiheilt ist, das Freiberger Landgericht uiiter dem
Vorsitze des Präsidenten Vollert heute ein vcrurtheilendes
Erkenntniß nbgeasben; Bebel, Vollmar, Auer, Frohme, Ullrich
und Viereck sind zu je neun, Heinzel, Müllcr und Dietz zu je
sechs Monaten Gesüllgniß und zur Tragung der Kosten, die bei
der ersten Verhandlung der Sache in Chcmnih entstanden sind,
vcrurtüeilt. Dieses Urtheil wird voraussichtlich von weitreichen-
dcr Vcdeutuiig, viclleicht vou verhüngnißvolleii Folgen fnr nnser
politisches Lebsn in Dentschland sein.

Die Freiberger Nichter haben ihr Urtheil sehr ausführlich
begründet; dio Verlesung währte eine volle Stunde. Der Ge-
richtshof hielt es für nöthig festzustellen, daß nicht die Parteiqn-
schauuilgen der Angeklagten und nicht deren hcrvorragende Eigen-
schaft in der Partei, sondern ihrs den bestehenden Gesetzen zn-
widerlaufenden Handlungen unter Anklage gestellt seien. Die
Staatsanwaltschaft habe augenommen, daß die sozialdemokratische
Organisation durch das Sozialistengesetz nicht völlig bescitigt sei ;
cs gehe dieses hervor aus der Thalsache, daß die sozialdemo-
kratische Reichstagsfraltion die Leitung der Partei in den Händen
habe, ein offizielles Parteiorgan „Der Sozialdemokrat" bestehe,
Gruppenbildungen, Landes- und Provinzialkomites, Vertrauens-
männer, gut ausgestattete Fonds vorhanden seien, daß dic Ver-
waltung von besonders angestellten Personen geschehe, die Rechnung
ablegen, daß strenge Disziplin herrsche und die Parteileitung
mit großer Machtvollkommenheit ausgerüstet sei. Aus diesen
Thatsachen folgere die Anklage eine strafbare Verbindung, die
als eine Fortjetzung dcr vor dem Sozialistengesetz bestandcnen
angesehen werde.

Die Urtheilsgründe sühren nun aus: Es sei nicht zu ver-
kenncn, daß die Aussagen der Angeklagten nicht allgemein den
Eindruck der Wahrheit machten und bei dem völligen Leugnen
der Angeklagten über einzelne Punkte sei es nicht gelungen, diese
des Näheren festzustellen. Eine Thatsache sei es, daß seit Jahr-
zehnten und schon vor dem Sozialistengesetz eine Organisation
der Partei bestanden habe; wenn nun feststeht, daß zu einer Ver-
bindung keine greisbare äußere Form nothwendig ist , sondern
anch schon durch Wort und Agitation der Begriff eincr Ver-

6. Altgust 1888-

bindung vollendet ist, so besteht kein Zweifel, daß auch nach Er

laß des EesctzeS eine Verbindung bestand und bssteht, die hie
bcstraft wird.

Die heimliche Verbreitung des „Sozialdcmokrat" und an-
dercr verbotener Druckschriften hat Thatsachen ergeben, die mit
unzweifelhafter Nothwendigkeit anf eine bestehende, fortdauernde
Verbindung schließen lassen; bei der systcmatischeii ?lrt u«d
Weise der Verbreitung jener Vcrbvtenen Drnckschristen kann nicht
angcnommen werden, daß diesclbe auf reiue Zufälligkeiteu oder
aus die Thütigkeit einer allgewaltigen Persou zurückzuführen
sei und wenn auch zugegeben werden kann, daß einzelne Ver-
breiter nicht einmal gewnßt habcn, daß sie den „Sozialdemokrat"
verbreitet und daß sie überhaupt eine verbotene Haiidlnng be-
gangen haben, wenn Einzelne auch jener Verbindung nicht an-
gehören, so ift doch dem Eericht klar, daß eine sehr große Anzahl
Pcrsonen sich verbnndct haben, um jene strafbaren Drnckschriftcu
in dauernder Thätigkeit zu vertreiben, denu joust wärs eine so
große Verbreitnng, wie sie feststcht, dauernd nnmöglich gewesekl.
Die Beweisaufnahme hat uicht ein Moincut geliesert, dnrch
das Zweifel an der Nichtigkeit dieser Thatsache eriegt
wurden. Die Angeklagtcn — und iiamentlich Aebcl —
wie ihre Vertheidiger haKcu das Bestehcn ciner solchen Verbin-
dung zuui Verbreiten verbotener Druckschriften zum Theil selbst
zngestanden und das Landgericht hat es als thatsüchlich
seststehend erachtet, daß seit Jahren, nnd schon vor dem
Wydener Kongreß, eine solche Verbiudung im Sinue der An-
klags bestanden hat und noch befteht. Die Centralleitung der-
selben liegt in Zürich, von dort erhalten die deutschcn Mit-
glieder derselbcn ihre Weisungeu nnd aus dicser Thatsache ist
wiedcrum anzunehmen, daß nur e i n e solche Verbindung
besteht.

Diese Derbindung zeigt sich als eine solche im Sinne des
Strafgesetzbuches. Eine Verbindung ist nicht nnr dann vor-
handen, wenn durch Wort oder Schrift eine ausdrückliche
Willenserklärung abgegcben wurde, eine Verbindung im Sinue
des Gesetzes kann anch schon durch Ilnterordnung des Einzel-
willens unter den Willen ciner Gesammtheit, durch Handlnngen,
denen eine ausdrücklichc Willenserklärnng nicht vorausgegangen
zn sein braucht, geschaffen werden.

Alles, was den Vegrisf dcr Verbindnng ausniacht, war hier
vorhanden. Die Vereinigung der Mitgliedcr war auf längere
Tauer berechnet, dic Verbindung hatte zuni Zweck der Vcr-
breitung verbotener Schriften ic. einc sehr spezielle Organisatiou.
der Einzelwille wurdc dem Gesainintwillen untcrgeordnet, und
daß der Zweck der Verbindnng war, auf öffentliche politisch
Angelegeuheiten cinzuwirken, kann — cs ist bewiesen eben dnrch
die Verbreitung des „Sozialdemokrat" — nicht zweiselhaft fcin.

Es hnndelt sich nun um die Frage: Haben die Angeklagtcu
an dicser strafbaren Verbindung Thcil gcnomineii? Zur Be-
antwortung dicser Frage ist es nöthig, die Protokolle, welche
übcr den Wydener nnd Kopcnhagener Kongreß vorhandcn sind,
ins Auge zn fassen. Nimmt inan den in der Vcrhandlung ver-i
lesenen Jnhalt dcrselbcn zur Kenntniß und hält inan damit die
gleichfalls zur gerichtlichen Feststellung gelangten Erklüningen,
Äufrnfe und Aeußerungen dcr Angeklagten iin „Sozialdcmokrat"
zilsammen, die darauf gerichtct warcn, die Vcrbreitung dieses
verbotenen Blattes zu fördcrn, um dadnrch das Sozialistengesetz
wenigstens theilweise nnwirksam zu machen, so ist ihre strnf-
bare Theilnahme an ciner gesetzwidrigen Verbindung bewiescn.
Obgleich man aus den Verhandlungeu den Verdacht schövsen
könnte, daß einer der Angeklagten der Begründcr oder der Dor-
steher jener Verbindung sei, fo ist dieses doch bei deni Leugnen der
Angeklagten nicht erwiesen nnd es muß dahingestellt bleiben;
erwiesen ist für den Gerichtshof jcdoch dic Thcilnahme der zn
neun Monaten Gefüngniß Bernrtheilten a» den Kongressen, die
Gutheißung der dort gefaßten Beschlüsse und die Bekanntgebnng
dcrselbcn, erwiescn ist bei den zu scchs Monaten Verurtheilten die
Thcilnahme an dem aus den Wydcner gefolgtcn Kopenhagner
Kiugrcß, die Entheißung der dort gefaßten Beschlüsse und ti:
Bekanntmachung derselben, erwicsen sind auch Erklärungcn der
Nngeklagten im „Sozialdemokrnt". Durch alle diese Handlungen
traten die Angeklagten der Verbindung bci, wnrdcn Mitglieder
dcrselbeii und ordneien sich als solche dauernddem allgemeincn Willcn
der innerhalb dieser Verbindung herrschte, unter; die te de i
Kongresse find im Nuslande abgehalten, daß jedoch die An..e-
klagten ihre Mitglicdschaft auch im deutschen Neich habcn forl-
dauern lassen, kouute nnch Nllem sür den Gerichtshof nicht zwei-
felhaft lein uud ist bewiesen durch ihre Bekanntmachungen im
„Sozialdemokrat", dem vfsiziellen Organ der sozialdemokratischen
Partei. Die Angeklagten haben sich der Theilnahme an einer
verbotenen Verbiudung schuldig gemacht. Daß es ihre Nbsicht
gewesen, diese Verbindung g e h c i m zn halten, wie die Ankllige
annimmt, hat dcr Gcrichtsbof nicht erkcnnen können, dcnn obgleich
die inneren Verhältnisse dicser Verbinduiig, die Vertheilung des
„Sozinldemokrat" in den Einzelheiten uud die Vertheilcr augen-
scheinlich nicht bekannt werden sollten, so ist durch die allgemcine
Verbreitung des verbolencn Blattcs doch soviel über die allge-
meinen nnd äußeren Umrisse dieser Verbindnng bekannt gewor-
den, daß man daraus schließen kann, eine Geheimhaltung der
Verbreitung selbst und damit der Vcrbiiidung sei nicht beabsich-
tigt worden.

Bei Abmessttng der Strafe ist die Gemeingefährlichkeit der
sozialdemokratischen Bestrebungen mit berücksichtigt. Bebel, Auer,
von Vollmar, Frohme, Ullrich und Viereck mußten höher als
Heiuzel, Müller und Dietz bestraft werden, da es erwiesen ist,
daß sie jener Verbindung länger nls die letzten drei Angeklagten
zugehörten.

Soweit die Gründe des Urtheils, die wir selbstverständlich
nur im Auszuge wiedergebcn. Von den Angeklagten war keiner
anwesend, ebeu'so fehlten die Vertheidiger, doch bemerkte man den
Reichstagsabgeordneten Liebknecht. Erwühncnswerth ist, daß die
Verhandlungen nicht nur für die Berliner politische Polizei,
sondern auch sür das sächsischeMinisterium stenographirt wurden.
Heute waren jedoch beide Behörden nicht vertreten, ebenso war
die Zahl der Geheimpolizisten nicht so ausfällig, wis währeud
der Verhandlungen, da man jedenfalls von der Absicht der Änge-
klagten, zu der Urtheilsverkündigung uicht zu erscheinen, Kennt-
niß hatte.

Rerulischtes.

* Berlin. Die Untersuchung wegen Landesver-
rath gegen dcu ehemaligen Lieutenant Alfred v. Hartung
> uud seine im Gefängniß ihm angetraute Ehefrau (geb. Teich

vollendet, aber alkMühe war nmsonst. „Es kanndecFrömmfle
nicht im Fricdcn bleiben, wcnn es dem böscn Nachbar nicht
gefällt." Karl Ludwig sticg in die Grust seincr Väter mit
dcm Vorgesühl dcs heraiinahcndcn Vcrderbens. Als sein
Stamm erloschen war nnd ein Jahr darauf die Universität
ihre dritte Säkularseier bcging, stand das Verderben schon vor
der Thiir nnd wollte herein. Ein bcnachbarter Herrscher, der
gcwaltigste seincr Zeit, bcgehrte dicses Land, nnd da cs ihm
nicht freiwillig ausgelicsert wurde, befahl cr dic völlige Ver-
hccrnng dcr Pfalz, die Verbrennung ihrer Städte nnd Dörscr,
die gänzlichc Zcrstörung unscrcr Stadt, die im März 1689
ins Werk gesetzt und in den Schreckciistagen des Atai 1693
zn Ende gcsührt wurdc. DieStadt sank in Asche, dasSchloß
wurde zerstört. Zur Verhcrrlichung dieses Triumphes licß
Ludwig XIV. eine Tciikmiinze prägcn mit dcm Bilde eincr
brennendcn Stadt und dsm Wort: bleickelborAa clo-
I e t n!" »klex cüxit ct laelum est." Diescr Erdengott
sprach's, nnd die Flammen lodertcn! Al- rührend schönes
Wahrzcichcn grüßt oie ini Verfall noch herrliche Schloßruine
uiedcr ins Thal, „dic gigantische schicksalsgewaltige Burg" wie
Hölderlin sie gcnannt hat.

Von dcm Tage ihrcr Stiftung bis zu dem ihrer zweiten
Begründung im Änfang dicses Jahrhundcrts hat dic Univer-
sitüt allc jene hervorragcnden Wcligeschicke, die wir die Epochcn
und Zeitalter der Gcschichte lienneii, nicht blos erlebt, sondcrn
sie ist in den Gang dcrsclben cng verflochten nnd an ihrcr
Erfüliung so bctheiligt gcwescn, daß sie, wie kaum einc andere,
den Zeitlauf und scine Geschicke crfahren uud in der cigencn
Geschichte von ihrcm Ursprunge an dargestellt hat: die große
abendländische Kirchenspaltung, die rcformatorischcn Concile,
die Nenaissance, die Nesormation, die Vereinigung beidcr in
melanchthonischem Geist. die Entzwciung der kirchlich-reforma-
torischen Richtnngeii nnd ihrc Cntgcgensetznng, erst den aus-
gcprügten Calvinisinus, dniin das ansgeprägle Luthcrthuni iu
der Tendenz jener Eintrachtsformel, die uicht blos Zwingli
und Calvin, sondcrn auch Mclanchthon anssticß, dann dcn
wiederernculen iind siegrcichen CalviniSmus, den nach einein
vierzigjührigen Höhcngangc dic Gegcnrcforination ini Sinne
des tridentinischen Concils ausrottet, bis ihn dcr wcstphälische
Fricde durch den tvlcrantcsten der Fürsten wicdcrhcrstcllt und
zwar in dem erwcitcrteii Gcist, dcr einc Wiedervcreiuigung
der christlichcii Kirchen wüiischt nnd die Unioi'. der reforma-
torischcn Bek.mntnisse anstrebt. Nnch dcm Orleans'schcn Krieg
und dem Fricden von Rysmijk, nnter deni neuen römisch-
katholijchen Herrjchergejchlcchl aus den Häusern Psalz-Neuburg

und Sulzbach sicgt die Gegenreforniation und gelangt durch
die Einsührung nnd das System der Väter von der Gesell-
schaft Jesu auf die Tauer eines Jahrhunderts zur Herrschast,
bis die sranzöfische Revolution, dic Revolutionskriege und der
Siegeslauf Napoleons den scchshundertjährigen Bestand der
rheinischen Pfalz vernichten.

Aber nicht die Heidelberger Schloßruine allein ist ein still-
warnender Mahncr an die Zeitcn politischer Zerrissenhcit und
Schwächc: anch cine der herrlichstcn und kostbarsten Biblio-
thcken der Welt, die Codices dcr „Vaticana" in Nom, die
einst Heidelbergs Nnhm ausniachte, ist ein solches Wahrzeichen.
Von Jnteresseist, wasKnno Fischerspeziell über derenSchicksal sagt:
Die kurfürstliche Bibliothek war nach dem Tode Otto Hcinrichs
gewachsen, sie war namentlich durch das Vermächtniß des
Freiherrn Ulrich Fugger von Kirchberg und Weißcnhorn, der
von Augsburg nach Heidelberg übergesiedelt war und seine
herrliche Sammlung handschriftlicher Schätze dein Kurprinzen
Friedrich hinterlasscn hatte (1584), vermehrt worden. Dazu
kamcn die Erwerbungen, welche Prinzen und Prinzessinnen des
Kurhauses zu machen liebten, insbesondere Friedrich IV. selbst,
der ein leidenschastlicher Bücherfreund war. Die Schätze der
Palatina bestanden nicht blos in einer großen Zahl orienta-
lischer, griechischer nnd römischer Codices höchst seltener und
werthvoller Art, sondern in einem ivichtigen und mit Liebe ge-
pflcgten Theilc auch in einer Sammlung von Handschristen
aus imserer älten vatcrländischen Literatur. So hatte Otto
Heimich eine Handschrift des Nolandsliedes voni Pfaffen
Konrad, Ulrich Fugger eine der Evangelienharmonie des
Mönches Otsrid, Friedrich IV. dje sog. Maneffe'sche Samm-
lung von Liedern dcr Minnesüngcr erworben. Mit Rccht hieß
diese Bibliothek „opkimus Oermspius litorstss Uissaurus".
Sie war der Stolz dcr Fürstcn. der Universität und des
Landes. Damals diente sie der klassisch-philologischen Forschung,
wie sie in nnscrem Jahrhundert der germanistischen gedicnt
hat. Sie wurde von vorzüglichen Bibliothekaren geleitet, nicht
blos ausgezeichneten Professoren, wie Mikyllus und Xylander,
sondern von Gelchrten, die sich ganz dcr Nufgabe widmeten,
einc solche Bibliothek zu verwallen und zu verwerthen, wie
Sylburg uud Janus Gruterus, dcr lctzte Bibliothekar der
Palatiua. Um ihretwillen kam dcr juuge Claude Saumaise
nach Heidelberg und wurde den 4. Oktober 1606
als „Claudius Salmasius Burgunde Gallus" imma-
trikulirt. Er vertieste sich Nächte lang in die Alterthums-
schätze der Bibliothek imd konnte seiu Glück, aus einer
solchen Quelle zu schöpsen, picht p;nu/ preffen. , Jch frcue

mich mit dir", schrieb der berühmte Philologe Jsaak Casau-
bonns, ..aber cmpfinde cs peinlich, daß ich solche L-chütze nicht
mitgenießen kann." Wider alles Necht und selbst wider den
Befehl des Kaisers machte der Herzog von Baiern diese
Bibliothek, die hier in der Heiliggeistkirche aufgestellt war, zuc
Kriegsbeute nnd schenkte sie dem Papst Gregor XV. (aus deni
Hause Ludovisi). Jn den Tagen vom 16.—19. September
1622 hatte Tilly Heidelberg crobert; schon den 8. October
dankt der Kardinal Ludovisi, den 21. October der Kardinal
Scipio, der Präsekt der Vaticana, dem Herzog Maximilian
für sein Geschenk. Der Präfekt sendet den Brief durch einen
seiner Bibliotheksbeamten, den Dr. Leo Allatius (Allazi), der
beauftragt war, die Bibliothek zu holen nnd nach Rom zu
bringen. Jm December 1622 kam Allatins in Heidelberg an,
im Februar 1623 wurde die Bibliothek von cinigen hunderl
Maulthieren fortgesührt und über die Alpen geschleppt. Ur-
ban VIII. ließ sie ordnen und in dreißig Schränken der Va-
ticana ausbewahren. „Xobilis ÜeickLlbsrZioas viotorias ms-
nubiss" nennt eine Marmortafel den Jnhalt dieser Schränke.
Maximilian hatte 8800 Etiketten verfertigen lassen, damit
jedes der geranbtcn Wcrke seine Hcrknnft vcrkünden sollte.*)
Da nach der Angabe des Allatius der Codices gegen 3000
waren, so muß nach dcr Zahl jener Etiketten die der gedruckten
Bücher über 5000 gewesen sein. Die Zahl der gricchischen
Handschriften betrng 432, die der lateinischen (1956) imd
sranzösischen 1973, die der hebräischen 289, die der deutjchen
843. Äbgesehen von einer gewissen noch nicht näher bekannten
Zahl arabischer nnd türkischer Handschriften betrug demnach
die Gesammtzahl aller Codices 3542. Vergeblich ließ Karl
Ludwig vierzig Jahre spätcr die Bibliothek in Rom zurück-
fordcrn. Nach dem Frieden vcn Tolentino zwischen dem Papst
imd Frankreich (1797) kamen 500 Handschriften der Vaticana
nach Paris, darunter 26 griechische und 12 lateinische, diezur
Palatina gehörten. Nach dcm zweiten Pariser Friedcn (20.
November 1815) erhielt unsere Bibliothck diese 38 Codices
zurück, Dank den Bemühungen preußischer und badischer
Staalsmünncr, Dank vor allem dcm Siege von Waterloo,
ohnc welchen cmch die Vaticana ihre 432 Codices nicht wieder-
gesehen hättc. Jm Februar 1816 richtete die Universitüt an
Papst Pins VII. ein ehrsurchtsvolles Schreiben, verfaßt von

*) ,8nm cks 'oibliotbseu. gunin Ilsiäslbsrz-n.

oLptn spaüuio ksoit st l'. N. OrsZorio XV tropbueuiu misit
bluxiiniliLnuz, utriusizns Lnvurins ckux, 8.11.3. urebiäupitor
öt oiiuesi" qlsetor,"

dem Philologen Fr. Creuzer, unterzeichnet von dem Theo-
logen K. Daub als Prorcktor, worin sie uni die Rückgabe
der noch übrigen oockiees pLlutini bat. Doch wurden nnr
jene 848 deutschc Handschriften imd vier lateinische, welche die
UniversitätHeidelbergbetrafen, im Mai 1816 zurückerstattet, sodaß
diehiesige Universitütsbibliothek iin Ganzcn 890ihcerhandschriftli-
chen Schützcwicdcrbekommen imd die Valicana 2652 zurückbchalteu
hat, ungercchnet dic arabischen nnd türkischen Handschristen. Es
heißt, daß die püpstliche Regierung im Jayre 1816 schon ent-
schlossen war, die ganze Sammlimg znrückzngebcn, nls ihr von
dem Abbnte Carega, einem Scrittore der Vaticaua, dcr Ein-
wurf gemacht wurde, daß die Palatina kein Geschenk, sondcrn
nur der Ersatz für die Snbsidien gewesen sei, die der Papst
damals der katholischen Liga in Deutjchlnnd geleistet habe.
Jndessen ist dieser Eimvurf unbegründet, da in den urknud-
lichen Zeugnissen nicht von der Bezahlung einer Schuld, son-
dern nur von einem Geschenk die Rede ist. Es war seit lange
zn wünschen, schloß Kuno Fischer diesen Rückblick, daß wir
durch einen genancn und gründlichen Katalog, der sowohl
die Codices als die gedrnckten Bücher nmfaßt, die Schütze der
Palatina, die noch in Rom sind, wenigstens bibliographijch
kennen zu lernen vermöchten. Ein svlches nnteriichteiiöes nnd
den schönsten Bildungszustand unserer altcn Univcrsität erleuch-
tendes Werk hat Papst Leo XIII. mm von kundigster Hand
ausführen lassen, um mit diesem hochivichtigcn Geschenk den
Großherzog und Rektor zu dem füiifhimdeitjährigen Jnbiläum
seiner Universitüt zn erfreucn imd anch dieser selbst sich hnld-
reich zu erweiscn. Daß Professore Stevenson (ein Sohn dcs
Bibliothekars der Vaticana) dies Wcrk gestcrn überreichte,
haben wir schon gemcldet.

Die neue Blüthezeit der Universität datirt von dem Be-
ginn des nencn badischen Staatswescns. Das Jahr 1803
bildet in der Entwickelnngsgeschichtc unserer fünfhimdertjährigcn
Universität eine Grenzscheide nnd theilt ihren Lebcii-gaiig iir
zwci sehr ungleiche Abschniite: bis hierher rsicht die alte Uni-
versität, die in dem ganzen Umfange nnd der Mannigfaltig-
keit ihrer Epochen der Vergangenheit angehört, welche ansge-
lebt ist; von hier mi beginnt die neue, moderne Uinveisitüt,
die das Lebcn dieses Jahrhundcrts und dcr Gegenwart in sich
trägt. Jene begann ihren Lauf als kicchliche WelänstMt imd
hat ihn als eine pfälzische Landesschnle beschlosse»; „diek wird
als badische hohe Landesanstalt begründct. aber so zeitgemüß
eingerichtet, so weise und wohlwollend gcleitet, daß sie die Bc-
deutung einer deutschen Hochschulc, wclche die alte Universilät
verloren hatte, gleich in ihren erstm Zeiten wkdeierob.tt mig
 
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