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Asi-. SL8. Morgenblatt

Or»is»iK«t«r cksiu-xsnx.

Aeitag, 6. August 1Sr»S

Lvonvsmövtsxrsis;

Ltii VlSiNol). i. i?rLiilLk>irt
u. Lliiiiiri b. ci. Lxx. ^ 7.56
b. 6. Lßsntnrsn—8.25
bei 6si> kostiiintsrii in:
veotssbiLiili, Osstsrrsiob
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Liisk b. 6.2sitiiliösbiirss,ii

VVoUWiio k) .,« g.—

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Lslirisii ii. Ita,Iisii I'r.14.56
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AmMf«rterIei1«na

kröiss äsr Lll^öi^sv;

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o<Isr llersn Itanio 35 bt.,
im I'ebl.iiiisiltbsil <Iis
l-sxsitigs 2eilo i. 25.
LnLsiZsn nöliiLsii ü.i:
Hnssrs Uxpsitition, ilis
I'iliLls in LlLiiir. Ontsii-
bsrssiilxt^ 16, 6is Lx^en-
tnrVsrlin.V, I>sipiriAsr-
str^sss 127, soivis <UIs

, . » » imssro übriKöii »nsivürt.

I i I l «W Hxsntnrsii u. äis bslWnn-

b^isltnostvsrsin./!I8.—: I LivM tsn ^iinoneon - LnrsLnx.

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il^enos ÜiivLS. üariö.^' E« ^ 6r. Dsobsnlieiinsrstr. 37.

Irauüfurl, 5. Augnst.

Auch Strafprozesse können ihre Schicksale haben
und der dieser Tage vor der Strafkammer der säch-
sischen Stadt Jreiberg verhandelte hat deren so seltsame
gehabt, daß es sich lohnt, einen Angenblick bei denselben
zu verweilen. Das: Sage mir. wie du entstanden, und
ich werde dir sagen, wer du bist — findet anch anf
Geschehnisse sehr ost Anwendung, ja die Genesis ist meist
ein besserer Schlüssel zum Verstündniß, als alles Andere.

Die Svzialdcmokraiie hielt ihren ersten Parteikongreß
nach Erlaß des Sozinlistengesetzes auf dem Schloß Wyden
in der Schweiz im Jahre 1880, also anßerhalb des.Be-
rciches der deutfchen Polizei und auch ohne überwachende
Präsenz derselben, denn man hatte sie über den Ort des
Kongresses zn täuschen gewußt. Jndeß die Namen der
Besucher der Versammlnng und die dort gepflogenen Ver-
handliingen wurdcn bald bekannt, da die Sozialdemo-
kratie selbst einen ausführlichen Bericht veröffentlichte.
Alsbald erhob die Staatsanwaltschaft zu Elberseld gegen
mehrere Theilnehmer an dem Wydener Kongresse, gegen
Oppenheimer. Hillmaim und Geiioffen, eiue Anklage und
stützle dieselbe in ihrer Findigkeit auf die Artikel 128
und 129 des Strafgesetzes, diesclben also, auf Grnnd
deren daS Freiberger Gericht gestern iieun sozialdemokra-
tische Führer verurlheilt hat. Schon damals also be-
hauptete die Anllagcbehörde die Exisienz einer auf unge-
setzliches Thun aiisgehciiden Verbindung inncrhalb der
Sozialdemokratie, fand aber damit bei Gericht kein Ge-
hör. Die llntersnchuiig führte zu keinem Rcsuliat und
auf Beschluß des Elberfelder Landgecichts ivnrde das
Verfahren eingestellt. Ob die StaatSanwaltschaft dagegen
das Oberlandesgericht angernfen hat, ist uns nicht be-
kannt; sollte es der Fall gewesen scin, so war die Be-
rufuug erfolglos, denn dcr Prozeß blieb in den Unler-
°iuchungsakten begraben.

Der zweiie soziatdemokraiische Kongreß wurde im
Frühjahr 1883 in Kopenhagcn abgehnlten; abermals
'var die dcntjche Polizei über den Ort dcr Zusamincn-
luift irregeführt worden. Auf der Rückreise von 5kopen-
7-agen wurden mehrere Kongreßmitglicder, daniiiter die
Reichstagsabgeordneten v. Vollmar und Frohme in Kiel
oerhastet, dcr Neichstag hat später diese Maßregel, so-
weit sie seine Mitglieder betras, fnr eine verfassnngs-
widrige und imgesetzüchr- Handlung erklärt nnd der hohe
Bundesraih davon gebnhrend Akt genommen. Den Ver-
»,aftiingen in Kiel folgte eiiieUntersuchung gegen verschie-
dene AUtglieder desKongresses; auch die Kieler Staatsan-
waltschaft erhob Anklage auf Grund der Artikel 128
und 129 des Sirafgesetzcs, mnßte aber dasselbe erleben,
was zwei Jahrc vorher dcr Elberfelder Behörde passirt
war: das Gcricht lehnte den Verweisnngsbeschluß ab und
daS Berstiyre» wmde eingcstellt.

Jn Preußen licß man es bei diesen Versuchen be-
wenden. Envagt maii, daß sür die preußische Pvlizei
die öffenttiche iind geheime Thätiakeit der Sozialdemo-
kcatie sortgejetzt Gegensiand der eifrigsten Ueberwachnng
war, so darf man wohl zn dem Schlnß kommen, daß
die Bchörde nicht >», Staude gewcsen ist, die Exisienz
einer strafüare» Verbindung innerhnlb der Svzialdemo-
kcalie nachzuweisen, obgleich ihr das gesammte Material
vorlag, das später in Chemnitz und jüngst in Frelberg
von Seiten der Vertreter der Anklage beigebrncht wnrde.

Nunmehr wnrde Sachsen Versuchsfeld. Tie Leipzigec
Staatsanwaltschast eröffnete die Aktivn mit einer Anklage
gegen Bebel, dec auf dem Kopenhagener Kongreffe den
Vorsitz geführt hatte; dieselbe lantete auf Hochverrath,
Majestütsbele'idiguiig und auf Verletzung der Art. 128
nnd 129 des Strafgesetzes. Der Erfolg war der gleiche
wie in Elberfeld und Kiel, die Untcrsnchuiig wurde nieder-
geschlagen, woraus hervorgeht, das; die Strafkamiiier die
Eröffnung des Verfahrens abgclehnt hat. Nach Leipzig
trat Chemnitz auf dc» Plan, in dessen Gcrichtsbezirk da-
malS der Abg. v. Vollmar ansässig war, woraus sich
die Zuständigkeit begründen ließ. Gegen Vollmar erhob
die dortige Stnatsanwalischaft die Anklage, durch den

Besuch des Kopenhagener Kongresses an einer Verbin-
dung theilgenommen zu haben, „deren Dasein, Verfaffung
oder Zweck bor der Staatsregierung geheim gehalten
werden soll oder zu deren Zwecken oder Beschäftignngen
gehört, Maßrcgcln der Verwaliuiig oder die Vollziehung
von Gesctzen dnrch ungesetzliche Mitiel zu verhindern oder
zu entkrästen" (Art. 128 und 129 des StrafgesetzbuchS)
und dehnte diese Anklage zugleich auf die Hirren
Bebel, Auer, Dietz, Frohme, Viereck, Heintzel (Kiel), ^
Ullrich (Offenbach) und Müller (Darmstadt) aus. Warnm
sie sich anf diese Nennzahl beschränkte, ist nicht klar;
koiisequenter Weise hätte sie sämmtliche Besucher des
Kopenhagcner Kongresses vor Gericht ziehen niüsseu

Die Chemnitzer Anklagckamnier fand aufkGrund der
staatsanwaltlicheii Schrift die Angeklagten hinreichend ver-
dächüq, das ihnen zur Last gelegte Vergehen begangen
zu haben und eröffnete das eigentliche Verfahren. Das-
selbe nahm gcranme Zeit in Ansprnch, da verschiedeue
Angeklagte formelle Einsprachen, namentlich gegen den
Gerichtsstand Chemnitz erhvben, die erst crledigt wcrden
nivßten. Erfl im September borigen Jahres wurpe der
Fall, der niiltlerweile die öffentliche Meinung lebhaft be-
schäftigt hntte, spruchreif, und es konnte gegen sieben bon
den neun Angeklagten — Vollmar undViereck waren durch
Krankheit am Erscheinen verhindert — verhandelt wer-
den. Die Sache nahm mehrere Sitznngstage des Gerichts
in Anspruch; da die Angeklagten sämmtüch ihre Thcil-
nahme an e'mer Verbindimg nnd zngleich auch das Da-
sein einer solchen innerhalb der Parlei bestritten, so war
die Staatsanwaltschaft genöthigt, ihre gegentheilige Be-
hcmpiiing durch einen nmfaffenden Jndizienbeweis zu er-
härten. Mau war auf Enthüllimgen sensaiioneller Art
gesaßt, wurde aber anfs Stürkste enttänscht, als die An-
Uagebehörde nnr die Dinge vorbrachte, die längst
aller Welt bekanut nnd schon offenkuiidig gewesen
waren, als die Gerichte in Elberfeld, Kiel imd
Leipzig sich mit der gleichen Anklage zn befassen gehabt
hntien. Die Nngcklagten, sür die Bebel mit gewohnter
Energie und Klarheit gewandt das Wort führie, hatten
cine» leichten Stand, sie brauchten nnr die Dentmig,
wclcke die Anklage den einzelnen Jndizien gnb nnd die
Verbiiidung, in welche sie dieselben zu bringen suchte,
zu eiitliMe», eine Aufgabe, der sich in dcn Plaidoyers
anch die Verthcidigiing, die in bewährten Händen lag,
zn uitterzichen haitc. Dcr Chemnitzer Ger'ichtshof füllte
nnter eingehender Rekapitulirung des ermittelten That-
bcsiandes und ausführlicher Erörterung der einschlägigen
Rcchtsgrmidsätze e'm freisprechendes Erkenntniß, wel-
ches zu dem Schluffe gelangie, „es sei weder alS erlvie-
sen zu erachte», daß innerhalb der sozialdemokratischen
Partei eine gege» die erwähnte» Gesetzcsparagraphen ver-
stoßende Verbindung bestanden habe, noch daß st'ie "sti-
geklagten elner solchen Verbindnng angehört haben."

Wührend dieses Urtheil von der öffeiillichen Meinung
sowohl, wie auch von namhasten Juristen beifällig be-
grüßt imirde, sah sich die Ehemnitzer Slaatsanwaltschnft
veranlaßt, gegcn dnffelbe Berufnng beim Neichsgcricht
einznlcgen. Die Revisionsschrift rügte es als Nechts»
irrthnm, dasz das freisprechende Urtheil dcn Begriff „Vcr-
biiidung" insofern nicht richtig anfgefaßt habe, als es
anßer Acht lasse, daß dersclbe nicht nur dnrch ausdrück-
liche Beitriiis- und Willenscrklüruiig der e'inzeliien Per-
sonen, svndern anch ohne solche dnrch Handlungen, die
a»f einen bestimmten Willen schüeßen ließen, gegeben sei.
Nu» habe aber, wie auch der erste Nichter anerkcniie,
der Kopenhagener Kongreß sich mit der gesetzwidrigcn
Verbreitung bes verbotenen „Sozialdemokrcit", folglich
mit der Verhinderung oder Entkräftung der Vollziehnng
eines Gesetzcs durch ungesetzliche Mittel beschüftigt mid
aus diesem Umstand könne, wenn der Begriff „Verbin-
dnng" richtig erfaßt werde, ein Beweisgrund für eine
bereits vorhanden gewesene Verbindung oder für die auf
dem Kongreß erfolgte Bildnng einer Verbindnng ent-
iwmmen werde».

Das Ncichsgericht berhandelte am 23. Dezember 1885
in der Sache nnd irat in dem weseiitlichsten Punkte, in

der Rüge eines Rechtsirrthums des ersten Richters in
Betreff dec Definition des Wortes „Verbindung", der
Revisionsbeschwerde der Staatsanwaltschaft bei. Jn die-
ser Hinsicht führt das mehrere Bogen umfaflende Er-
kenntniß des höchsten Gerichtshofs wörtlich folgendes aus:

„Der Jnstanzrichter siellt bezüglich der Mitgliedschaft
der Verbindung formelle Erforderniffe auf, welche das
Strafgesetz nicht kennt. Zwar wenn die Revisionsschrift
ausführt, indem das Uriheil von dem Erfordernisse der
Abgabe einer Willenserklürung des Eintretenden sprcche,
schließe es die Willenserklärung dnrch konkludente Hand-
limgen aus, weil durch letztere ein Wille erklärt, aber
uicht eine Willeuserklärung abgegeben werden könne, so
ließe sich diese Uiiterscheidnng beaiistanden. Jndem jedoch
der Jnstaiizrichter die in der Anklageschrift gegebene De-
fiiiition der Verbindmig, daß sie eine nach Organisation
und Zweck auf dauernden Vestaud berechnete Vere'niigmig
von Persouen sei, als zu weit bezeichnet, da sie auch die
politische Partei nmfasse, und indem er sich das im Ur-
theile des Neichsgerichts vom 8. Januar 1885 gegen
Btahr und Genossen hervorgehobene Begriffsmerkmal der
Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den der
Gesammtheit aneignen zn wollen erklärt, fordert er „eine
durch die vor dem Eintritt in die Verbindung abzuge-
bende Willenserklärung des Eiiizelnen, sich dem Gesammt-
willen nnterordnen zu wolle», bedingte Wechselbeziehnng
des Einzelnen zu dem Einzelncii und somit zu dem
Ganzen." Jn doppelter Richtung ist diese Forderung
bedenklich. Einerseits läßt sie ffch, wie die Revisions-
schrift rüat, kanm anders verstehen, nls so, daß eine
Willenserklärung des erwähntsn Jnhalts durch aus-
d r ü ck l! ch e Worte verlangt werde, we'il sie
einen in sich selbststnndigen mit dem Eintritt in
die Veibindnng nicht zusammenfallenden Akt als
nothwendig bezeichnet, andererseits geht die auf solche
Weise formulirte Forderung auf zwei Willeuserklä-
rungcn, die der Unterordnung und die des Beirritts.
Es ist aber »icht abzusehen, wcshalb d!e Erklärnng, sich
unterordnen zn wollen, nichi auch dnrch konkludente
Handlungen, wie jede andere Erklärnng, für wclche
das Gesetz nicht bestiiiimte Formen anordnet, sollte
abgegeben werden können, und ebenso wenig ist ein
Grund crkennbar, weshalb diese Erklärnng mit dcm Ein-
trüt in die Verbindung nicht sollie zusanimenfallen, den
Eintrilt in die Verbiiidung nicht sollte cinschließen, oder
weshalb umgekehrt die Erklürung, der Verbindnng bei-
zutreten, nicht zugleich die Erkärung, sich unterordnen zu
wollen, sollte eiilhaltcu können. Daß der Jnstanzrichter
für seine Ansicht das erwühnte reichsgerichtliche Urtheil
citirt, kann nur auf einem Mißverständiiiffe desselben be-
ruheii; denn wedcr bo» ciner Erklürnng durch ansdrück-
liche Worte, noch von zwci Erllärnngeii neben einander
ist darin die Nede. Dic soebeu erwähnte Anforderung
des Jnstanzrichters, ansdrücküche Abgabe einer Unterord-
iiungS-Erklärmig bor dcm Eintritt in die Verbindnng,
welche im aiigefochteiien Urilieil an dic Spitze aller übrige»
Dcduktione» gestellt worden ist, bez'ieht sich nach ihrer For-
mnlirmig sowohl auf die Frage mich dem Znstands-
kommen nnd der Existenz ciner Verbindimg überhanpl,
als anch anf die Frage, ob die Angeklagten Mit-
glieder ciner etwa vor ihrem Beitritte schon vorhmi-
deneii Verb'mdung geworden seieu. Veide Fragen hat
der Jnstanzrichter berncint, aber die Verneiniing steht
in nntreniibarem Zusainmenhaiig mit der Aufstellnng
jener Anforderung; für den Fall, wenn man die An-
fordernng fallen läßt, wie dies nach dem Vorsiehenden
gesetzlich nothwendig ist, hat der Jnstanzrichter eine Vcr-
neiiiung der beiden Fragen nicht ausgesprochen, und es
wird aus den Urtheilsgründen auch sonst nicht ersichtlich,
welches für diesen Fall das Ergebniß der Beweiswürdi-
gnng gewesen sein würde. Daher liegt die Möglichkeit
vvr, das; das Urtheil anf der in der Anforderung sich
kundgebende» irrige» Rechtsansicht beruht (Z 376 der
Strasprozeßordiiiuig)."

Vornehmlich anf Grund dieser Deduktion kam das
Reichsgericht zn dem Beschlnß, daß das sreisprechende

Urtheil des Chemnitzer Gerichies auszuheben und 'der
Prozeß zu anderweitiger Verhandluug und Cntscheidung
an die erste Jnstanz nnd zwac an daS Landgericht zu
Freiberg zurückzuberweisen sei. Vor diesem Foriun hat
sich denn nun in den letzten Julitagen der neneste Akt
der merkwürdigen Prozeßgeschichte abgespiclt, den wir
noch einer weiteren Bctrachüuig zu unterzichen habcn.

Mentsches Nerch»

N Berlln, 5. Aug., 8 Ubr AbcndS. lTelegramm.)
Das Urthcil im Freibcrger Sozialistenprozes; hat
hier, sclbst in denjciiigeu Krciscn, die sich nn das »il -arlmi-
imri bercits gcwöhnt habcn, eiiieu gcradezn verbliisscndcn Ein-
druek gemacht. Man erinue.t sich dcr Ac»s;cru»g, die der
eiuc derBertheidiger, Munkel, in scinem Ptädoycr gemacht hat. daß
ähutiche Anklagen mit dcmselbe» Nccht auch gegeu audcre poli-
tische Parteieu erhobeu wcrdeii könnten. Die Blätier iegen
sich iu der Besprechimg dcs Urlheils uoch eiue gewisse Zuriick-
haltuug auf, bis der Wortlaut der A<otiviruug dessclbcn be-
kaimt sein wird. Die „Gcri'.iania" mciiit, daß diescZ Urihcil
im Effckt den sogcnaiinteu Diätcnprozesscn glcichkomme. —
Dic „Hambm-ger Nachrichien" erfahn'ii, daß der prcnßijche
Gcsnndte beim Vatikan, Herr v. Schlözer. Aufang Augast
Rom mit Urlaub verlasseu wcrde. Dadurch widerlegt
sich die in mitiouallibcrakeu Blaiteru augestellte Kombiuation, daß
dcr Gesandte diesen Sommer iu Rom blcibe, um in direktcn
Verhcmdlimgen mit dcr Kuric die wcitere Revision der Mai-
gesetzc vorzuberathen. Es iväre auch schmer eiiizuschcu. wes-
halb dicse Unterhandlimgen die Anwescuhcit des Kciaudlen
währeud dcs gauzeu Sommers iu Rom uoihweudig machcn
sollten. Daß dem preußischen Landtnge in dcr nüchsleu Ses-
sion eine Vorlnge zur defiuitiveu Rcvisiou der Maigcscbe zn-
geheu wird, mitcrliegt keinem Zweifell — Zu dem Eiitschlus;
der Nationalliberaleu iu Laueuburg, bei dcr bevorstchendeu
Ersatzwahl zum Reichstag sich nichi zu betheiligcn >md
ihrcn Mitgliedcrn anhcimzngehen, ob sie sür dcn louscr >alivc>i
Kandidatcu stimmeu wolleu odcr nicht, bcmerkt bie „Krcnzztg.":
„Also eiuc halbe Maßregcl, welche die Aussichten dcs frei-
siimigcu Kandidaten eher verbcsscrt als vcrschlcchtcrt. Wenii
dieKonservativen in Grauöenz dassclbeVersahren bcobach'c -, sv
Ivcrdcn dieNationallibcralen die unfchlbare Wirkmig desselbcu nn
ihrem cigcncn Leibe gcuügcnd crproben köimeii." Dic Tcvhung
ist ziemlich dcutlich. — Tcm Beruehmeu uach wird der
König von Porlugal auf seincr Nimdreise Endc dieses
Mvnais auch in Berlin cintrcffen nud u. A. auch der großen
Herbstparade dcs Gardccoips am t. Scptcmbcr auf dcm
Tempclhofer Felde bciwohnei!. — Jm „ReichSauz-'irec" ivird
das auf Grnnd dcs SozialistengesctzeS erfolgle Berbot dcr
Nr. 1 des „Offenbacher Lokalanzci gcrs". Anzcigc-
und Lokalniisgabe dcs „Offeubacher Souutagblatts" (Verlag von
Karl Ullrich in Offenbach) publizirk.

k'tk Berlin, 4. August. Das nach langjnhrigen Vor-
arbeiten mid Verhandlimgen anf ciner drittcn Koufcreiiz in
Bern ausgearbcitete internationale Ucbcreinkom-
men iibcr den Ei sen b a h n sr a ch tv er ke h r wird,
wenn cs demnachst, wie zu hosfcn steht, von dcn betheiligten
Staaten defiintiv nngenommcn tvird und in Krnft tritt, cincn
wichtigim Fortschritt in dcn Vcrkehrsbezichimgen bcsondcrS der
mittclcuropäischen Länder einfiihren. Jede Verschiedenhcii nnd
Unsicherhcit in den Rechtsverhältnissen dcr TranSporlwege,
welcheu hcuie eiuc so große uud mcht seltcn cntschcidcndc Nolle
im iuterunüomile» Waarenvcrkchr zngcfallcn ist, wirkt als eine
Hemmmig des Handels, uud die Einführuug glcicher, fcstec
Rechtsnormeu wird umgekehrt auf cine wcseutlichc E r-
leichterung des Handelsverkehrs von Land
zu Land hinauskommeii. Erschcint aber uicht, wird man
mit Nccht fragen, in ciner Zcit, wo sast alle Lander dnrch
immcr höhcre Zollschranken die sremdcn Erzeugnisse von ihrcn
Märktcn scrnzuhaltcn suchen, eine solche Neform, wclche direkt
der Sichcrung und Förderimg des iiiteriiaüonalcn Waarcn-
anstausches zu dieneii bestimmt ist, geraüezu als cin 'A n a-
chr on is m us? Jn dcr That retchcn anch die Vorberci-
tnngen zn dem nach so vielcn Miihen nnd Untcrbrcchmigen
endlich zn Stande gcbrachten Werk in einc Zeit znrück, in
welcher nicht cinc immer zimehmende Abschlicßimg, soudern cine
stetig fortschreitende wirthschaftliche Amiähernug der Nationen
als eine im Jiiteresie Aller gclegene HnndelSpolitik angcschen
wurde. Diese Anschaiiungcn sind hcutzntnge großeiithcils vcr-
lcugnet, aber immer wieder bricht die dcni Eiscnbahnwcscn
emmal imiewohnende Tendcnz der Verkehrscrlcichterung durch.
Wie die anderen von der modernen Technik geschaffenen ge-
waltigen Verkehrsiustrnmente drängen dic Eiienbahncn natur-
gemäß iu nllen Bcziehimgeu auf einen leichteren nnd gesicker-

UeuiUeton.

Das Heidelberger Ilniversttltts-
Iubiliimn.

pr. Hcivclberg, 4. August.

Seitdem die offizicllcn Fcstlichkeiten bcgonnen haben, tritt
mmer deutlicher der nationale Charakter, der die Heidelberger
i Iniversitütsseier ganz bescmders auszeichnet, hervor. Der
eierliche Empfang der Deputationen gestern in derAnla durch
)cn Rektor Großhcrzog imd die Aniprache, welche dabei der
deutsche Kronprinz als Vertreter dcs Kaisers hielt, waren ebenso
von diesem Charnkter dmchdrungen wic hcule die Festrede
Kuno Fischer's in der Heiliggeistkirche, deren Jnhalt und
Tendenz bereits unser Tclegramm im Abendblalt kirrz skizzirt
hat. Es ist nicht nur der Umstand, daß der Lcmdesherr Ba-
dens persönlich seines Nckloramts in jcner lcutseüg-sicheren
Weise waltet. die diescm populären Fürsten eigenthümlich ist,
auch nicht di'e Auwesmhcit deS dentschcn Kronprinzen, was
den nationalen Gedantcn bei dieser Heidelbergcr Universiläts-
tcier mit so großer Bestimmtheit hervortretcn läßt, vielmehr
ist diese lebendige Theilnahme jener Fürsten am Feste selbst
erst das Produkt des ganz besonderen Bcrufs dicser Hoch-
schule, an ihrem Jubelfcste des Umschwungs der Zeiten mit
patriotischem Stolz zu gedenken. Daher hat die vielfach her-
vortretcnde Anknüpfuiig an die deutsche Reichsidee auch nichts
Gemachtes; darum konnte auch der Prorektor der Universitüt
dicser Situation ungekünstelten Ausdruck geben, ohne byzanti-
nische Wendungen und chaiwinistische Phrascn, sondern im
Einklang mit dem schlichten Bekcmitniß, daß die höchste Blüthe
der Reichseinhcit nur dcr Fortschritt auf allen Gebieten des
Ncchts und dcr Sitte, des Staatslcbens und der Wissenschaft
jein köime nnd dürfe.

Heidelbergs Geschichte spiegelt eben zu deutlich den großen
Fortschritt wieder, der zwischen den Tagen der Zerrissenheit
und den Zeiten im neuen Reich besteht, als das; nicht auch
der freisinnigste Deutsche, der ohne Jllusionen über die Ge-
hrechen dieser hentigen Zeit denkt, dankbar und freudig des
Gewonnenen sich sreuen sollte bei Gelegenheit eines Jubiläums,
das ouf die triibsten Zciten deS Verfalls deutscher Kraft und
Würde mit mahnendem Ernfle zmückweist. Und nachdem wir
in unserem ersten Arlikel den friedlichen Charakter des

Festes gepriesen, der die Eintracht der Völker auf dem Ge-
biete des geistigen Strebens znm Ausdruck bringt, als ein
Fest der Freundschaft und Liebe, wollen wir hente an
der Hand der Festredc Kimo Fischer's auch der weiteren
Pflicht gciiiigen, die nationale Bedentung des Jubiläums
zn schildern, und möglichst mit dcn Worten des bestellten
Jnbilänmsfestredners unsere kürzeren Berichte und den gliick-
wiinschenden Leitariikcl dcr „Franks. Ztg."> vom Sonntag in
dieser Richtung näher ansfiihren.

Das schöne Heidclberg ist nach dcn Worten des Redners
der Schanplatz einer mehr als siebenhundertjährigen
Geschichte: bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts die
Hauptstadt der rheinischen Pfalz, dic Nesidenz von dreißig
Pfalzgrafen und Kurfürsten, wärend dreier Jahrhunderte die
stets bcwvhnte; die ersten Fürstengeschlcchier ihrer Welt sind
die Begründer imd Träger der Gcschichte der rheinischen Pfalz,
wclche die Geschichte Heidelbeigs in sich schließt: die Hohen-
staufen, die Welfen und die Wittelsbacher, die in
ihrem vierten Gliede, den beiden Söhnen Ludwigs II., den
inaii den Strengen genaimt hat nnd, eingcdeiik der häuslichen
Tragödie, die scin granenvolles Werk war, schlimmer hätte
bezeichncn sollen, zngleich Enkel des crsten Kaisers aus dem
HauseHabsburg sind. Ein langjühriger Bruderkrieg entzweit
diese beidcn Enkel, Rnd olf und Ludwig den Baier, der
als deutschcr König Ludwig IV. heißt. Nudols stirbt flüchtig
und heimathlos. Sein zweitcr Sohn Ruprecht wird der Stifter
uuserer Umversität, seit 1353 Allenircgeut der Pfalz, iu der
Reihe dcr Pfalzgrnfen bci Rhein der neunte, in der Reihe
der Pfalzgrafcn aus dem Hause Wittelsbach der sechste,
nach dem Reichsgesetz der goldcnen Bulle der erste Kursürst
der Psalz, uuter welchem die Kurwiirde mit diesem Lande
untremibar vereinigt wird, er ist der erste weltliche Kur-
fürst des Rcichs und als solcher der Vicar des Kaisers im
westlichcn Rciche. Es war eine kriegerische Natur, cin ritter-
licher Hcld aus den wildesten Zeiten des Faustrechts, an
Lhatkraft und Gcsinnung ein Typus dieser sturmbewcgten,
chaotischen Zeit, darin seinem Nachbar in Württemberg ver-
gleichbar, der bald sein Bundes- und Streitgenosse, bald sein
Gegner war, „Graf Eberhard der Greiner, der alte Rausche-
bart", dem er bei Döffingen half, die Städter besiegen, zwci
Jahre nachdem die Schweizer bei Sempach über die Ritter
gesiegt hatten. Aber Nuprccht I. von der Pfalz mar zugleich
ein Herrscher, ein Mehrer seines Gebiets, ein Staatengriiiider,
der, selbst ungelehrt, doch die Bildungsbedürsnisse seiner Zeit
^ und seiues Landes zu würdigen wußte. Er hattc m Böhmcn

und Ocsterrcich dic beiden ersten Univcrsitäten des Reiches ent-
stehen sehen, er war politisch ein Anhänger, persönlich etn
Bcivmiderer Karls IV., der die gelehrte Bildimg seiner Zeit
besaß uud sördertc, iu Paris siudirt und in Prag die erste
Universität des Reiches gestiftet hatte. Diesem Vorbilde folgte
Nuprecht, als. er fast vierzig Jahre später, schon cin sieben-
midsiebzigiähriger Greis, die Universität Heidelberg ins Leben
rief und dieser friedlichen Schöpfung, die er seine geliebte
Tochter naiinle, seinen Namen gab und alle väterliche Sorg-
salt widmete. . . .

Nach dem Tode König Ruprechts, der uebst seincm Vater
die Universitat (seinem Ohcim) mitbegri'mdeii half, — er war
der dritte seines Namens nntcr dcn Kursürsten der Pfalz, der
erste und einzige dieses Nnmens unter den dentschen Königen,
der dcn Reichsadler in das Hcidelbergcr Schlof; gebracht, aber
zehn Zahre vergeblich gerungen hat, daS Reich zu ordnen —
verzweigtcn sich die Linien des psalzischen Hanses, die von
seinen Söhnen abstanmien. Der Begriinder der ältestcn regie-
rendcn Linie war Ludwig III. Sein Haus hat in sicbcn
Gliedern regiert (1410—1559): er selbst, seine beiden Söhne
und sein Eukel Philipp, diescr, seine beiden Söhne und sein
Enkel, ein Mann besouders glänzenden AndenkenS: Otto
Heiiiri ch. Mit ihm wnr sein Stamni erloschen. Es folgte
das Haus Sinimern, unter den ffingeren Linien, die von
Stephan, dem dritten Sohne Ruprechts, abstammen, die älteste.
Auch dicscsHaus hatin siebenGliedern regiert(1559 —1685):
Fricdrich III., seinc beiden Söhne imd sein Enkel Friedrich IV.,
dann folgte Friedrich V., sein Sohn und sein Enkel Karl, der
Söhn Karl Ludwigs, der Bruder der Elijabeth Charloite imd
der letzte seines Stammes, der letzte verkümmerte Sprößling
eines erhabencn Gcschlechtes.

Drei Jahrhmidcrte sind vergangen seit der Stiftung der
Universität bis zu dcm Eude dcs Hanses Simmern. Gemein-
sam, wie der Schnuplatz ihres Wohnens und Wirkens, sind
die Schicksnle gewesen, welche die Universität mit ihren altcn
Kurfürsten von Rnprecht I. bis zn dem Sohne Karl LudwigS
erlebt und gctheilt hat. Höchst wcchselvolle Schicksale, zuletzt
höchst tragische und leidensvolle! Doch behält bis in ihr
drittes Jahrhnndcrt die Universitüt trotz alleu äußcren und
imieren Hemmimgcn ihren ruhigen Fortbcstnnd, sie wird von
den geistigcn Umwülzungen dcr Zeit erst widerstrebcnd ergrisfen
nnd sortgctricben, nolLiilsm traliunt, dann durchdrungen und
freiwilüg in neue Bahnen gclenkt; auch ihre Einrichtungen
werden den Bedürsnissen und Forderungen der Zeit angepaht
nnd zu wiederhvlten Malcn unter der Uirsorge ihrer väterlich

gesinnten Fürsten umgestaltet; sie schreitet vorwärts, sie steigt
von dem Höhepunkt, den sie unter Oito Heinrich gewounen
hat, höher hinanf und errcichi trotz alleu iimeren Erschütterungen,
die ihren Lanf unterkrcchcn, dcn Glanz und die Bedcutnng
einer weithin leuchtenden europäischen Hochschnle.
Die Zeit dieser Blüth: ift knrz, zwei gedcihliche Menschenaljer,
die Jahre von 1559 bis 1619. sie ist im Wachsen begriffen:
da kommt der verhängnißvolle Moment, wo „die Pfalz nach
Böhmen geht" und der dreißigjährige Krieg hereinbricht, den
in allen seincn Schrecknisscn, in dcr ganzen unsäglichen Fülle
seines Elends kein Land nnd keine Stadt so griindlich, so
vollanf erlitten hat als diese gesegnete Psalz nnd dieses schöne
Heidclberg. Jn den Tagen des 16.-19. September 1622
wnrde Heidelberg, Stadt und Schloß, von Tilly erobcrt. Die
Geschichte dicser Tage bcrichtet ein Blutbad. Die Universität
hört auf zu pulsiren. Jn den vicr Jahren von 1622—1625
sind sechs immatriculirt worden. Als der Herzog Maximilian
von Baycrn die Universität im Jahre 1629 im Sinne der
Gegenreformation wiederherstellen woilte, wurden zwei Faknl-
täten, die theologische und philosophischc, dnrch zwei Jesuiten
ausgemacht und repräscntirt. Ucber zehn Jahre dnncrt die
crste Periode der bayerischen Herrschast (1622—1638). Nach-
dem Gustav Adolf seinen Siegeslanf bcgomicn und bci Liitzen
vollendct halte, wurde Heidelbecg im Mai 1633 vvn den
Schweden genommcn, und nun sollte die Universiiät im Geiste
der Reformation, ihren alten Traditionen gemäß, wiedcr er-
ncnt wcrden. Nber kanm hatte die Rcsorm begoimen, so machte
die Niederlage der Schweden bei Nördlingen am 6. September
1634 allen Hoffnungen ein schreckliches Ende. Nun kamen
die Zeiten des wachscnden imbeschreiblichen Elends: erst die
Plündcrungen der flüchtiaen zuchtloseu Schwedcnschaaren, dann
Belagerimg durch die Fcinde, weitcr Eutsctzung durch die
Fcanzosen, die Wiedcreroberung durch die kaiscrlichen Truppen,
die Wiederhcrstellung der bayerischcn Hercschast, Sencheu,
Hnngersnoth, kurz sedcs Elend. das der Krieg im Gefolge hat.
lliachdem die Damouen des Kriegcs ihr drcißigjührigcs Zcr-
störungswerk vollbracht hattcn, gab es in diesem Garten Deutsch-
lands nur noch wenig Bauern. aber sehr viele Wölfe. Nach
dem Frieden kamcn einige Jahrzehute der Erholuug uud des
Ausathmcus. Dcm Laude uud der Universität war wicder ein
Vater. ein Wicdcrherstellcr erschicne». ausgcriistet mit altcr
Encrgie, aller Entschlossenheit nnd allem Vcrständniß für diese
Aufgabe, die schwerste und wiirdigste sür die Tugcnden emes
Regenten. Er besaß diese Tugenden und hätte das Werk der
Wiederhcrstellung, das glücklich begonnen und sortgeführt war.
 
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