Nr. 537.
Preis für das Quartal in Brcslaii s Mark, dei den
dcutschen Postanstalten 7 Mark Sd Pf. — Jnsertions-
gebichri so Pf. für die kleinc Zeile oder deren Raum.
Erpcdition in Brcslau, Schwcidnttzcrsirabe a?.
Breslau. Mitlwch, dcn 4. Aiigusl
Snserafenehmen an: in Be rlinGropinß'scheTuchh^
Hamburg, Bcrlin, Leipzig.. München,
Frankfurt a/M., Wien Haasenftein L Vogler,
Nudolf Mosse G. L. Daube L Co.
1886
Abend-Ansgave.
Deutsches Reich.
^ Breslnu, 4. Augufl.
TageSbericht.
Die Ankunft des Fürsten Bismarck und seiner Gemahlin in
Gastein erfolgte am 2. d. Mts. um 8 Uhr abends. Das fürstliche
Paar wurde, wie der „N. Fr. Pr." von dort telegraphisch gemcldet
wird, von dem anf dem Straubingerplatze zahlreich versammelten
Publikum mit Hocbrufen begrüßt. Der Reichskanzler fuhr direct
nach dem Schweigerhause, wofelbst ihm während der Dauer
feines Aufenthaltes in Gastein zehn Zimmer als Wohnung ein-
geräumt wordcn sind. Bald nach der Ankunst deö Reichskanzlers
erfchien der Geheimrath von Bülow im Schweigerhauie,
um oen Fürsten zu begrüßen. Dem Besitzer des Schweigerhauses,
Herrn Peter Straubinger, gegenüber fprach Ler Kanzler seine
Freude aus, wieder in dem herrlichen Gasteiner Thal zu sein.
Jnzwifchen hatte sich vor Lem Absteigequartier des Fürsten ein
zahlreiches Pubükum angesammelt, nnd abermals wurde dem
Kanzler und seiner Gemablin eiue Ovation bereitct. Unmittelbar
nachdem das fürstliche Paar den Straubingerplatz passirt hatte,
fuhr Kaifer Wilhelm im geschlossenen Wagen in die Villa Solitude,
in welcher die zweite Soiree, verbunden mit einer Theater-
Vorstcllung, statrfand. Das auf dem Straubingcrplatze noch an-
wesende Publikum begrüßte den Kaiser durch lebhafte Hochrufe.
Bei der Kaiserbegegnung in Gastein wird auch der Staats-
fecretär des Jnnern, Minister von Bötticher, zugegen seiu, und
man uimmt an, daß auch der Statthalter von Eifaß-Lothringen,
Fürst Hohenlohc, bis dahin feinen Aufenthalt verläugern werde.
Die beiden Genannten werden allerdings nicht in amtlicher Eigen-
fchaft, wie der Fürst Reichskanzler, der Begegnung beiwohnen.
Die Nachricht, daß auch der Kriegsminister von Bronsart nach
Gastein zum Vortrage beim Kaiser gereist sei, hat sich, wie schon
erwähnt, nicht bestätigt.
General Drvaalski Pa icha, dor Oborcommandaut
der ostrumelischen Miliz, verließ am 31. v. M. mit seiner Ge-
mahlin die Türkei, nm nach Deutjchland znrückzukehren. Er
fcheidet, der „Pol. Corr." zufolge, gänzlich aus dem tinkischen
Staatsdienste aus, da der Sultan, der ihn anfänglich gerne be-
hallen wollte, zu dcr Uebcrzeugung gelangt ist, daß es, angesichts
der in den Kreisen dcr tüikiichen Generalität gegen Drygalski >
Pascha herrschenden Stimmung, uniöglich fei, demselben eine
höhere Stellung iu der türkischen Araee einzuräumen, ohne Len
größten Anstoß zu erregen. Man kaia es nämlich in den türkischen
Militärkreisen Drygalski Pascha nichtverzeihen, daß er es nicht
verstanden hat, die Revolulion in Pilippopel zu unterdrücken.
Telegraphische Verbindung zwischn Deutschland und China
auf dem Luatwcge.
Ueber das Project einer tllegra,'hischen Verbindung zii'iicl'eu
Deutschland und China auf dk.n Latdwege (über Rußlaiid) wird
der „Nat.-Ztg." „von ausgezlichnetei Seite" geschrieben: Eine
solche Telegraphenlinie würde oüßer isren politischen und wirth-
schastlichen Folgen auch einen grohen Stoß in die Mauer geben,
mit der sich China bis jetzt von der curopäischen Cultur abgeschlossen
hat. Nichts steht einer Annäherrig zwischen China und dem
Abendlande mehr entgegen als d!.e chinesische Zeichensprache mit
ihren kaum überwindlichen SchwieriMteii. Da man aber keine
Zeichen telegraphiren kann, so ist die Einführung des
Telegraphenweseus in China glcchbedeutend mit dem Be-
ginn der Einführung der Buchstibenschrift. Es liegt nahe.
anzunehmen, Laß diese Pläne auö von Ler deutschen Tele-
graphenverwaltuug mit größtem Jnterefse verfolgt werden.
Der Londoner »Standard« behanpte, daß Lie Reise des Marquis
Tseng nach Deutschland hauptsächlch deshalb veranlaßt sei, um
eine Erleicherung in dem telegraphijhen Verkehr von China durch
Rußland und Deutschland nach Wcsteuropa herbeizuführen. Für
China soll dieselbe Dergünstigung wzielt werden, die durch den
deutsch-russischen Vertrag bewerksteligt worden ist, und zwar im
Anschluß an die ueue Linie, welche die chinesische Regierung von
Peking nach Kiakhta oder Maimctschin zu bauen beabstchtigt.
Wenn ein dahin zielendes Abkommen zwischen China, Rußland und
Deutschland getroffen werden sollte, so wurden fortan Depeschen
zwischen Chrua und England nur halb so viel kosten wie bisher.
Wir lassen dahingestellt, ob es gcrad: dieser Gegenstand ist, der bei
Ler Reise des Marquis Tscng eine Hauptrolle spielt; die chinesische
Regierung beschäfligt sich indesien anscheinend sehr ernstlich mit
dieser Telearaphenv-ibinlxina. die ihren Verkehr mit Europa von
veui engilschen lind franzö^ch.:. Kabel ttiiavhaugis macken soll.
Deutschlands Ein- und AuSfuhr im ersten Halbjahr 1886.
Das soeben auSgegebene Juniheft der Monatshefte zur Statistik deS
Deutsckien Neiches enthült cinen NachweiS über die Ein> und AuSfuhr dcr
wichtigeren Waarenartikel im deutschen Zollgebiet sür die ersten sechs
Monate des laufenden Jahres. Ber einer Vergleichung der betreffenden
Ein- und Ausiuhrergebnisse niit denjenizm im gleichen Zeitraum des Vor-
jahreS füllt zunächst auf, daß die Getreideeinfuhr im ersten Halbjahr 1886
eine erheblich geringere war als in der betreffenden vorjührigen Periode,
da an Weizen nur 1155 992 Doppelcentner. Roggen 2N83 649 D.-C-,
Haser 378 304 D.-C. unö Gerste 1 442 957 D.-C. eingeführt worden sind
gegen beziehungsweise 4 441247. 4257 965, 1 464 714 und 2 418 910 D.-C.>
im ersten Halbjahr 1885. Dieser Unterschied wird hauptsächlich darauf zu-
rückzuführen sein, daß im letztgedachten Zeitraum, innerhalb dessen die Zollsätze
auf die betrcffenden Getreidearten wesentlich erhöht worden sind, große
Mcngen weit über den zeitigcn Bedarf zu den alten Zollsützen in das
Zollgebiet eingeführt worden sind. Auch die Einfuhr von Naps und
Rübsaat (164 895 D.-C. gegen 403 005 D.-C.) und von Malz (334 388 D.-C.
gegen 495371 D.-C.) ist, ohne Zweifel in der HauptsaLe aus dem
gleichcn Grunde, gegen die des crsten Semcsters 1885 betrüchtlich zurück-
geblieben. DaSselbe zeigte sich bei Bau- nnd Nutzholz, indem von dem-
selben in rohem (oder bloö in der Querrichtung mit Azck oder Säge
bearbeitetem) Zuslande nur 4 343128 D.-C. und in roh bearbeitetem Zu-
stande (in der Nichtung der Längsaxs gesügt u. dergl.) 1 350 063 D.-C^
eingegangen sind gegen 7 547 641 und 6 824 224 D.-C. im crsten Halbjahv
1885; ferner bei Branntweiu aller Art (Gesamnitcinfuhr 28487 D.-C-
gegen 54 552 D.-C. im Vorjahr) und bei Schaumwein in Flaschen (8027
D.-C. gegen 19 870 D.-C.). Was die nicht durch eme Zollerhöhung be-
troffencn auSländischen Hauptconsuniürtikel anbelangt, so wurden einge-
sührt an rohem Kaffee 587 109 D.-C. (593 412 D--C. im Vorjahr), Reis
367 507 D.-C> (419 597 D.-C. im Borjahr), gesalzene Heringe 311465
Faß (291 765 Faß im Vorjahr), Wein und Most in Fäffern 288 277 D.-C.
(308 107 D.-C. !m Vorjahr) und frische Südfrüchte 116 407 D.-C.
(110130 D.-C. im Vorjahr). Die Einfuhr von unbearbeiteten
Tabaksblättern betrug 172 715 D.-C. gegen 171374 D.-C. im
Vorjahre. Die Aussuhr hat Im Vergleich zum Vorjahre etwas
abgenomnien bei den wichtigen Ausfuhrartikeln Zucker (2 293 420
Doppelcsntner gegen 3115 853 D.-C.) und Bier (612 894 D.»C. gegen
773 604 D.-C.), dagegen zugenommen bei Spiritus (366 104 D -C. gegen
352 542 D -C.) und Wein in Fäffern (132 470 D.-H. gegen 52114 D.-C.).
Weiter zeigt sich eine Steigerung der Ausiuhr bei einer Reihe von
W-iaren der Textilindustrie, so bei dichten gefärbten rc. Baumwollen»
waaren (59 213 gegen 54 310D.-C. im Vorjahre), baumwollenen Strumpft
waaren (42 078 gegen 37 064 D.-C. im Vorjahre), baumwollenen Spitzcn
und Stickereien 3961 gegen 2309 D.-C. im Vorjahre), b..chsetdem-n
Zeugcn und Tüchern 26 606 gegen 15 652 D.-C.), unbedruckten wollenen
Tuchwaaren (89 908 gegen 81 250 D.-C.), unbedruckten wollenen Etrumpk
waaren (9914 gegen 8205 D.-C.) und wollencn Plüschen (526c gegen
32t4 D.-C.) Auch di- Zolltarifnummer „Eisen uujr^Eisenpzaaren" weist
bei den meistcn Posttionen eine Zunahme der AusfMMuf, so bei Roh»
eiscn (1197 259 gegen 951226 D.-C. im Vorjah^«^§isenbahnsch'°ner>
(758 027 gegen 645 553 D.-C.), schmiedbarcm Eisen in Stäben (750 303
gegen 704 079 D.-C.), Eisen- und Stahldraht (1213 391 gegen 819 644
D.-C.), groben Eisenwaaren (298 642 gegen 291432 D.-C.) und Draht-
stiften (183 282 gegen 179 339 D.-C.).
Die Heidelberger Jnbelfeier.
1.
Heidelberg, 1. August.
Noch siat die Juöelfeier nicht begonnen, und schon steht
Heidelberg im sreuudlichsten Festschmuck da, bereit seine Gäste zu
empfangen, die seit eiuigen Tagen von allen Seiten, aus allen
Gauen deutjcher Zuiige aulangen. Es baben dicsc Tage der Vor-
feier ihren eigenen Reiz, ihre ganz iutimen Freuden. Zumeist
siud es alte Herreu, welche, ehe der Festlärm beginnt, der Erinneruug
leben, alter Zeiten und ihrer akademischen Freuden gedeuken
wollen. Sie haben die vcrblichenen Verbindungszeichen, die
Corpsbänder und -Kappen hervorgesucht, und damit scheint ihnen
die eiitsckwundcne Jugend wieder zurückgekehrt zu seiu. Man be-
gegnet ihnen auf alleu Straßeu, erneut halbvergesieue Beziehun-
gen, knüpft fchncll andere uud sucht alle liebeu Plätzchen wieder auf.
Heidelbcrg ist noch keineswegs schr voll, viellcicht kaum be-
suchter als foust zu diejer Sommerszeit. Der große Strom der
Tounsten, der deutsclen, englischen, amerikauischen, die doch auch
mit dabei sein wollen, wird sich wohl erst später in den Haupt-
tagen der Jubelfeier, am DinStage zu dem Fest auf dem Schloffe,
am Freitag zum historischen Zuge, am Sonnabend zur Schloß-
beleuchtung, in die engen Gasscn der pfälzischen Hauptstadt er-
gießen. Jetzt merkt man noch wenig von ihm, die Heidelberger
sind vorläufig ziemlich untcr stch. Jene haben ihre bestimmteu Ziele :
Schloß, Molkeiikur, Wolfsbrunnen mit der obligatorischen F orellen-
mahlzeit. Die jetzigeu Festgäste zieht es anderswohin. Jn das enge,
bewaldete Flußihal des Neckar wandern sie hinaus, heute wohl meist
mittels der Bahn, lieber aber doch wohl noch im Schiffchen oder
im Wagen wie ehedem. Dort lockt das romantische Neckarsteinach
mit dem klassischen Gasthaus zur „Harfe", eine der idealsten
Studentenkneipen auf deutschem Boden, in der man bei fröhlichem
Zechen, bei noch fröhlichercm Gespräche und Gesange manche Som-
mernacht verlebt; zum Billesberg mit seincr Ruine und der mittel-
alterlicken Ringmauer. Man geht hinaus nach Haudschuchheim,
dringt in die Geheimniffe der Hirschgaffe und füllt fo die Zeit, die
disher noch von keinen Pflichteu in Anspruch genommen ist.
Vieles, was wir in glücklickem Jünglingsalter lieb gewonnen,
was dann die Phantasie in der Erinnerung noch mir ihrem Zauber
umwoben, das crsckeinl jetzt dem nüchternen Blicke verändert; vieles
ist auch wohl anders geworden, denn felbst im Studcntenleben, Las
ja mit Vorliebe feste Traditionen hochhält, hat stch manches
gewandelt. Aber nicht lange hält philiströse Nüchternheit stand
vor dem ungebrochencn und mächtigen Zauber deutjchen Studenten-
lebens. Grade diese noch festlosen Tage haben Stimmungen ge-
weckt und lebhaft austlingen laffen, wie sie wärmer und intimer
kaum die glanzvollsten Momente dcr nächsten Woche hervorrufen
dürften.
Vom Feste selbst ist heute noch Wenig mchr zu seben und zu
sagen, als daß sich Heidelberg auss großartigste Lazu gerüstet
und dabei auch die materiellen Anforderungen einer nach vielen
Tausenden zählenden Besucherschaar nicht unberücksichtigt gelasseu
hat. Die beiden Hauptbahnhöfe, der Badische und der Main-
Neckarbahn liegen nahe bei cinander, nur durch einen baum-
bepflanzten Gartenplatz geschieden. Diesen ganzen Platz hat man
überbant zu eiuer Restaurationshalle, in welcher Tausende, die hier
nicht schlafen wolleu, sich erfrischen können. Nun kommen wir in
die freundliche Neckarstadt. Alles, Häuser, Gärten, Menschen, ist
bunt bebändert, bunt beflaggt, selbst vou den waldigen Thalwänden
und von der Schloßruinc grüßt lebhaster Farbcnschmuck. Jeder
muß mithalten; wer zu nichts anderem ein Reckl hat, der trägt
wenigstcns ein Band oder eine Schleife in Len badischen Landes-
farben roth und gelb; das vcrpflichtel zu nichts, dient nicht als
Bundeszeichen und sicht doch auch ganz schmuck aus.
Aber auf solcke demonflralive äußere Decoration hat man
sich nicht beschränkt. Mit der Universität begeht die ganze Stadt,
ja mittelbar das ganze Land die Jubelfeier. Die Zurüstungen
und materiellen Unterstützungcn der beiden Hauptmomente Ler
W oche, Schloßfest und historischer Festzug, haben die ganze Bürger-
schaft gern getheilt. Man erzählt mir, daß ca. 800 000 Mark aus
Privatmitteln aufgebracht sein sollen, und dies glaubt gern, wer
die Großartigkeit aller Zurüstungen sieht. Die Pracht-Costüme
zum Zuge, Rüstungeu, Waffen, Geschirre und Zaumzeug, soweit
sie nicht von Sammlern und Museen hergeliehen wurden, stnd von
s eltener und gediegener Pracht, alle treu im Zeitcostüme der vecschie-
denenJahrhunderte von 1386 bis zum jungen deutschen Kaiserreich, die
der Zug nach einander vorsührt, ächt in Stoffen und Ausstattung.
Dabei haben vicle Mitwirkeude, so besouders die Damen, ihre
Anzüge selbst beschafft und dabei den größten Aufwand entwickelt.
Man kounte alle diese Requisiten zum Festzuge in Len Magazinen,
in denen sie aufbewahrt werden, sehen und Labei sicher besser
würdigen als im Zuge selbst, in dem doch hauptjächlich die colo-
ristische und historisch - malerische Gesammtwirtung ins Auge
fallen dürfte.
Anf einem Exercierplatz dicht am Neckar, etwa auf halbem
Wege vom Bahnhof bis znr oberen Stadt, hat man cine riesige
Festyalle erbaut, die zur sreien Zusammeukunft, zu Commersen, zu
geselligem Verkehr und natürlich zum Kneiplocale dienen soll. An
Größe kommt sie allen jenen Bauten gleick, welche Leipzig, München,
Dresden, Franksiirt zu den allzemeinen nationalen Bundesfesten
errichtet hatten. Jn der Front freundlich mit zwei Eckthürmen,
mit Portalen, Wappen, farbigen Reliefornamenlen, mit einer
Minerva und den Medaillonköpfen der Fürsten und anderer um
die Hochschule verdienter Männer geschmückt, an den Langseiten die
graue Nüchternheit eines Bcdürfnißbaues, rohe Bretterwände und
schmutzfarbene Dachpappe, erfüllt sie vollstäudig ihren Zweck und liegt
sehr günstig gerade in in der Mitte der langen, schmalen Stadt.
Aus Ler Universität sind natürlich ebensalls manche werthvolle
Festgaben hervorgegangen, die allerdiugs während der Tage des
Jubels weniger zur Geltung kommen dürften. Ein prachtvolles
Banner haben die Damen des Profefforen-Collcgiums gestiftet,
manche Denk- und Weiheschrift ist erschienen, und dann habeu die
heidelberger Corps eine inhaltreiche geschichtliche Darstellung des
hiesigen Corpslebens in diesem Jahrhundert herausgegeben, die viel
Jnteressantes enthält und stch oft unbeabsichtigt zu einer Geschichte
dcs gesammte» Studentenlebens erweitert. Andere Leserkreise dürfte
nur einzelnes interessiren. Wir ersahren aus der Monographie, daß
dieUniversität amAnfanze desJahrhunderts ihrem völligenUntergange
nahe gewesen sei; erstKurfürstKarlFriedrich Habe1803 mit hochherziger
Fürsorge die Neuorganisation begonnen. Die Corps sind zu
jener Zeit aus Len alten Landsmannschaften und Orden entstanden,
aus Verbindungen dereinzelnen Gaugenoffen also und aus einer engeren
Auswahl Einzelner innerhalb dieser Landsmannschaften, die sich
strenger zusammenschloß und fester organisirte. Die Festschrift
erzählt von einem Conflict zwischen Militär und Studenten aus
dem Jahre 1804, infolge deffen die letzteren, 200 Mami stark, aus-
gezogen sind und ein Lager jenseits des Neckar bei Neuenheinr
errichtet haben. Zünfte und Magistrat sind sofort beim Stadtdirector
vorstellig geworden, um die Studentenschaft zur Rückkehr zu veran-
laffen, der Rector ist zum Kurfürsten gefahren, Ler dcnn auch den
beleidigten Musensöhnen im Falle der Rückkehr Satisfaction hat zu-
sagen laffen. Die Dersöhnten stnd dann mit Böllerschüssen begrüßt
worden, Professoren und Vertreter der Bürgerschaft sind ihnen
feierlich entgegengezogen, haben ste mit Reden und Ovationen begrüßt,
wobei das Militär von allen Gegendemonstrationen zurückgehalten
worden ist. 1810 bestanden die Verbindungen aus Westfalen, Ober-
rheineru, Kurländern und Niederrheinern. Was über die innere
Organisation und Repräsentation der Corps, über Comment, Duell-
wesen rc. das Buch cuthält, dürfte nur Studentenkreise interessiren.
Tage, wie die jetzt beginnenden, zeigen das Coipvleben wieder
in neuem Glanze, wcnn auch solcher Glanz und der immer stärker
sich entfaltende obligatorische Luxus vielleicht auf das innige
innere Zusammenleben nicht gerade günstig einwirken. Für
mitllere Wohlhabenheit ist jetzt der Beitritt zu einzelnen
Corps geradczu unerschwinglich, mehr und mehr ergänzen
sich dieselben aus deu exclusivsten und bestsituirtesteii Gesellschasts-
kreisen. Heute und voraussichtlich diese gauze Woche hindurch
treten die Unterichiede und Sonderungen stark zurück, allc fühlen
sich zuuächst alS Festgenoffeu, sodann als akademische Bürger,
welche Gäste aus dem gesammten deutschen Vaterlande willkommen
heißen, Gäste, zu denen Ler künftige Kaiser des Leutschen
Reiches, der Landesfürst und zahlreiche Glieder deutscher Hercscher«
familien zählen.
Allem Anschein uach wird auch dieseS Fest wieder weit über
seineu Zmeck hinaus als ein vaterländisches, als eine frohe Ver-
einigung Deutscher aus Süd und Nord sich gestalten, hoch erhoben
über ähnliche vaterländiiche Feiern der Sänger, Schützen, Turner rc.
durch den gcistigen Jnbalt und durch die Kundgebungen der
erlanchtesten Männer dec Wissenschaft, welche hier zusammenkommen.^
Alle Vorbedingungen sind günstig, und auch das Wetter verspricht
das beste. Fritz Wernick.
Preis für das Quartal in Brcslaii s Mark, dei den
dcutschen Postanstalten 7 Mark Sd Pf. — Jnsertions-
gebichri so Pf. für die kleinc Zeile oder deren Raum.
Erpcdition in Brcslau, Schwcidnttzcrsirabe a?.
Breslau. Mitlwch, dcn 4. Aiigusl
Snserafenehmen an: in Be rlinGropinß'scheTuchh^
Hamburg, Bcrlin, Leipzig.. München,
Frankfurt a/M., Wien Haasenftein L Vogler,
Nudolf Mosse G. L. Daube L Co.
1886
Abend-Ansgave.
Deutsches Reich.
^ Breslnu, 4. Augufl.
TageSbericht.
Die Ankunft des Fürsten Bismarck und seiner Gemahlin in
Gastein erfolgte am 2. d. Mts. um 8 Uhr abends. Das fürstliche
Paar wurde, wie der „N. Fr. Pr." von dort telegraphisch gemcldet
wird, von dem anf dem Straubingerplatze zahlreich versammelten
Publikum mit Hocbrufen begrüßt. Der Reichskanzler fuhr direct
nach dem Schweigerhause, wofelbst ihm während der Dauer
feines Aufenthaltes in Gastein zehn Zimmer als Wohnung ein-
geräumt wordcn sind. Bald nach der Ankunst deö Reichskanzlers
erfchien der Geheimrath von Bülow im Schweigerhauie,
um oen Fürsten zu begrüßen. Dem Besitzer des Schweigerhauses,
Herrn Peter Straubinger, gegenüber fprach Ler Kanzler seine
Freude aus, wieder in dem herrlichen Gasteiner Thal zu sein.
Jnzwifchen hatte sich vor Lem Absteigequartier des Fürsten ein
zahlreiches Pubükum angesammelt, nnd abermals wurde dem
Kanzler und seiner Gemablin eiue Ovation bereitct. Unmittelbar
nachdem das fürstliche Paar den Straubingerplatz passirt hatte,
fuhr Kaifer Wilhelm im geschlossenen Wagen in die Villa Solitude,
in welcher die zweite Soiree, verbunden mit einer Theater-
Vorstcllung, statrfand. Das auf dem Straubingcrplatze noch an-
wesende Publikum begrüßte den Kaiser durch lebhafte Hochrufe.
Bei der Kaiserbegegnung in Gastein wird auch der Staats-
fecretär des Jnnern, Minister von Bötticher, zugegen seiu, und
man uimmt an, daß auch der Statthalter von Eifaß-Lothringen,
Fürst Hohenlohc, bis dahin feinen Aufenthalt verläugern werde.
Die beiden Genannten werden allerdings nicht in amtlicher Eigen-
fchaft, wie der Fürst Reichskanzler, der Begegnung beiwohnen.
Die Nachricht, daß auch der Kriegsminister von Bronsart nach
Gastein zum Vortrage beim Kaiser gereist sei, hat sich, wie schon
erwähnt, nicht bestätigt.
General Drvaalski Pa icha, dor Oborcommandaut
der ostrumelischen Miliz, verließ am 31. v. M. mit seiner Ge-
mahlin die Türkei, nm nach Deutjchland znrückzukehren. Er
fcheidet, der „Pol. Corr." zufolge, gänzlich aus dem tinkischen
Staatsdienste aus, da der Sultan, der ihn anfänglich gerne be-
hallen wollte, zu dcr Uebcrzeugung gelangt ist, daß es, angesichts
der in den Kreisen dcr tüikiichen Generalität gegen Drygalski >
Pascha herrschenden Stimmung, uniöglich fei, demselben eine
höhere Stellung iu der türkischen Araee einzuräumen, ohne Len
größten Anstoß zu erregen. Man kaia es nämlich in den türkischen
Militärkreisen Drygalski Pascha nichtverzeihen, daß er es nicht
verstanden hat, die Revolulion in Pilippopel zu unterdrücken.
Telegraphische Verbindung zwischn Deutschland und China
auf dem Luatwcge.
Ueber das Project einer tllegra,'hischen Verbindung zii'iicl'eu
Deutschland und China auf dk.n Latdwege (über Rußlaiid) wird
der „Nat.-Ztg." „von ausgezlichnetei Seite" geschrieben: Eine
solche Telegraphenlinie würde oüßer isren politischen und wirth-
schastlichen Folgen auch einen grohen Stoß in die Mauer geben,
mit der sich China bis jetzt von der curopäischen Cultur abgeschlossen
hat. Nichts steht einer Annäherrig zwischen China und dem
Abendlande mehr entgegen als d!.e chinesische Zeichensprache mit
ihren kaum überwindlichen SchwieriMteii. Da man aber keine
Zeichen telegraphiren kann, so ist die Einführung des
Telegraphenweseus in China glcchbedeutend mit dem Be-
ginn der Einführung der Buchstibenschrift. Es liegt nahe.
anzunehmen, Laß diese Pläne auö von Ler deutschen Tele-
graphenverwaltuug mit größtem Jnterefse verfolgt werden.
Der Londoner »Standard« behanpte, daß Lie Reise des Marquis
Tseng nach Deutschland hauptsächlch deshalb veranlaßt sei, um
eine Erleicherung in dem telegraphijhen Verkehr von China durch
Rußland und Deutschland nach Wcsteuropa herbeizuführen. Für
China soll dieselbe Dergünstigung wzielt werden, die durch den
deutsch-russischen Vertrag bewerksteligt worden ist, und zwar im
Anschluß an die ueue Linie, welche die chinesische Regierung von
Peking nach Kiakhta oder Maimctschin zu bauen beabstchtigt.
Wenn ein dahin zielendes Abkommen zwischen China, Rußland und
Deutschland getroffen werden sollte, so wurden fortan Depeschen
zwischen Chrua und England nur halb so viel kosten wie bisher.
Wir lassen dahingestellt, ob es gcrad: dieser Gegenstand ist, der bei
Ler Reise des Marquis Tscng eine Hauptrolle spielt; die chinesische
Regierung beschäfligt sich indesien anscheinend sehr ernstlich mit
dieser Telearaphenv-ibinlxina. die ihren Verkehr mit Europa von
veui engilschen lind franzö^ch.:. Kabel ttiiavhaugis macken soll.
Deutschlands Ein- und AuSfuhr im ersten Halbjahr 1886.
Das soeben auSgegebene Juniheft der Monatshefte zur Statistik deS
Deutsckien Neiches enthült cinen NachweiS über die Ein> und AuSfuhr dcr
wichtigeren Waarenartikel im deutschen Zollgebiet sür die ersten sechs
Monate des laufenden Jahres. Ber einer Vergleichung der betreffenden
Ein- und Ausiuhrergebnisse niit denjenizm im gleichen Zeitraum des Vor-
jahreS füllt zunächst auf, daß die Getreideeinfuhr im ersten Halbjahr 1886
eine erheblich geringere war als in der betreffenden vorjührigen Periode,
da an Weizen nur 1155 992 Doppelcentner. Roggen 2N83 649 D.-C-,
Haser 378 304 D.-C. unö Gerste 1 442 957 D.-C. eingeführt worden sind
gegen beziehungsweise 4 441247. 4257 965, 1 464 714 und 2 418 910 D.-C.>
im ersten Halbjahr 1885. Dieser Unterschied wird hauptsächlich darauf zu-
rückzuführen sein, daß im letztgedachten Zeitraum, innerhalb dessen die Zollsätze
auf die betrcffenden Getreidearten wesentlich erhöht worden sind, große
Mcngen weit über den zeitigcn Bedarf zu den alten Zollsützen in das
Zollgebiet eingeführt worden sind. Auch die Einfuhr von Naps und
Rübsaat (164 895 D.-C. gegen 403 005 D.-C.) und von Malz (334 388 D.-C.
gegen 495371 D.-C.) ist, ohne Zweifel in der HauptsaLe aus dem
gleichcn Grunde, gegen die des crsten Semcsters 1885 betrüchtlich zurück-
geblieben. DaSselbe zeigte sich bei Bau- nnd Nutzholz, indem von dem-
selben in rohem (oder bloö in der Querrichtung mit Azck oder Säge
bearbeitetem) Zuslande nur 4 343128 D.-C. und in roh bearbeitetem Zu-
stande (in der Nichtung der Längsaxs gesügt u. dergl.) 1 350 063 D.-C^
eingegangen sind gegen 7 547 641 und 6 824 224 D.-C. im crsten Halbjahv
1885; ferner bei Branntweiu aller Art (Gesamnitcinfuhr 28487 D.-C-
gegen 54 552 D.-C. im Vorjahr) und bei Schaumwein in Flaschen (8027
D.-C. gegen 19 870 D.-C.). Was die nicht durch eme Zollerhöhung be-
troffencn auSländischen Hauptconsuniürtikel anbelangt, so wurden einge-
sührt an rohem Kaffee 587 109 D.-C. (593 412 D--C. im Vorjahr), Reis
367 507 D.-C> (419 597 D.-C. im Borjahr), gesalzene Heringe 311465
Faß (291 765 Faß im Vorjahr), Wein und Most in Fäffern 288 277 D.-C.
(308 107 D.-C. !m Vorjahr) und frische Südfrüchte 116 407 D.-C.
(110130 D.-C. im Vorjahr). Die Einfuhr von unbearbeiteten
Tabaksblättern betrug 172 715 D.-C. gegen 171374 D.-C. im
Vorjahre. Die Aussuhr hat Im Vergleich zum Vorjahre etwas
abgenomnien bei den wichtigen Ausfuhrartikeln Zucker (2 293 420
Doppelcsntner gegen 3115 853 D.-C.) und Bier (612 894 D.»C. gegen
773 604 D.-C.), dagegen zugenommen bei Spiritus (366 104 D -C. gegen
352 542 D -C.) und Wein in Fäffern (132 470 D.-H. gegen 52114 D.-C.).
Weiter zeigt sich eine Steigerung der Ausiuhr bei einer Reihe von
W-iaren der Textilindustrie, so bei dichten gefärbten rc. Baumwollen»
waaren (59 213 gegen 54 310D.-C. im Vorjahre), baumwollenen Strumpft
waaren (42 078 gegen 37 064 D.-C. im Vorjahre), baumwollenen Spitzcn
und Stickereien 3961 gegen 2309 D.-C. im Vorjahre), b..chsetdem-n
Zeugcn und Tüchern 26 606 gegen 15 652 D.-C.), unbedruckten wollenen
Tuchwaaren (89 908 gegen 81 250 D.-C.), unbedruckten wollenen Etrumpk
waaren (9914 gegen 8205 D.-C.) und wollencn Plüschen (526c gegen
32t4 D.-C.) Auch di- Zolltarifnummer „Eisen uujr^Eisenpzaaren" weist
bei den meistcn Posttionen eine Zunahme der AusfMMuf, so bei Roh»
eiscn (1197 259 gegen 951226 D.-C. im Vorjah^«^§isenbahnsch'°ner>
(758 027 gegen 645 553 D.-C.), schmiedbarcm Eisen in Stäben (750 303
gegen 704 079 D.-C.), Eisen- und Stahldraht (1213 391 gegen 819 644
D.-C.), groben Eisenwaaren (298 642 gegen 291432 D.-C.) und Draht-
stiften (183 282 gegen 179 339 D.-C.).
Die Heidelberger Jnbelfeier.
1.
Heidelberg, 1. August.
Noch siat die Juöelfeier nicht begonnen, und schon steht
Heidelberg im sreuudlichsten Festschmuck da, bereit seine Gäste zu
empfangen, die seit eiuigen Tagen von allen Seiten, aus allen
Gauen deutjcher Zuiige aulangen. Es baben dicsc Tage der Vor-
feier ihren eigenen Reiz, ihre ganz iutimen Freuden. Zumeist
siud es alte Herreu, welche, ehe der Festlärm beginnt, der Erinneruug
leben, alter Zeiten und ihrer akademischen Freuden gedeuken
wollen. Sie haben die vcrblichenen Verbindungszeichen, die
Corpsbänder und -Kappen hervorgesucht, und damit scheint ihnen
die eiitsckwundcne Jugend wieder zurückgekehrt zu seiu. Man be-
gegnet ihnen auf alleu Straßeu, erneut halbvergesieue Beziehun-
gen, knüpft fchncll andere uud sucht alle liebeu Plätzchen wieder auf.
Heidelbcrg ist noch keineswegs schr voll, viellcicht kaum be-
suchter als foust zu diejer Sommerszeit. Der große Strom der
Tounsten, der deutsclen, englischen, amerikauischen, die doch auch
mit dabei sein wollen, wird sich wohl erst später in den Haupt-
tagen der Jubelfeier, am DinStage zu dem Fest auf dem Schloffe,
am Freitag zum historischen Zuge, am Sonnabend zur Schloß-
beleuchtung, in die engen Gasscn der pfälzischen Hauptstadt er-
gießen. Jetzt merkt man noch wenig von ihm, die Heidelberger
sind vorläufig ziemlich untcr stch. Jene haben ihre bestimmteu Ziele :
Schloß, Molkeiikur, Wolfsbrunnen mit der obligatorischen F orellen-
mahlzeit. Die jetzigeu Festgäste zieht es anderswohin. Jn das enge,
bewaldete Flußihal des Neckar wandern sie hinaus, heute wohl meist
mittels der Bahn, lieber aber doch wohl noch im Schiffchen oder
im Wagen wie ehedem. Dort lockt das romantische Neckarsteinach
mit dem klassischen Gasthaus zur „Harfe", eine der idealsten
Studentenkneipen auf deutschem Boden, in der man bei fröhlichem
Zechen, bei noch fröhlichercm Gespräche und Gesange manche Som-
mernacht verlebt; zum Billesberg mit seincr Ruine und der mittel-
alterlicken Ringmauer. Man geht hinaus nach Haudschuchheim,
dringt in die Geheimniffe der Hirschgaffe und füllt fo die Zeit, die
disher noch von keinen Pflichteu in Anspruch genommen ist.
Vieles, was wir in glücklickem Jünglingsalter lieb gewonnen,
was dann die Phantasie in der Erinnerung noch mir ihrem Zauber
umwoben, das crsckeinl jetzt dem nüchternen Blicke verändert; vieles
ist auch wohl anders geworden, denn felbst im Studcntenleben, Las
ja mit Vorliebe feste Traditionen hochhält, hat stch manches
gewandelt. Aber nicht lange hält philiströse Nüchternheit stand
vor dem ungebrochencn und mächtigen Zauber deutjchen Studenten-
lebens. Grade diese noch festlosen Tage haben Stimmungen ge-
weckt und lebhaft austlingen laffen, wie sie wärmer und intimer
kaum die glanzvollsten Momente dcr nächsten Woche hervorrufen
dürften.
Vom Feste selbst ist heute noch Wenig mchr zu seben und zu
sagen, als daß sich Heidelberg auss großartigste Lazu gerüstet
und dabei auch die materiellen Anforderungen einer nach vielen
Tausenden zählenden Besucherschaar nicht unberücksichtigt gelasseu
hat. Die beiden Hauptbahnhöfe, der Badische und der Main-
Neckarbahn liegen nahe bei cinander, nur durch einen baum-
bepflanzten Gartenplatz geschieden. Diesen ganzen Platz hat man
überbant zu eiuer Restaurationshalle, in welcher Tausende, die hier
nicht schlafen wolleu, sich erfrischen können. Nun kommen wir in
die freundliche Neckarstadt. Alles, Häuser, Gärten, Menschen, ist
bunt bebändert, bunt beflaggt, selbst vou den waldigen Thalwänden
und von der Schloßruinc grüßt lebhaster Farbcnschmuck. Jeder
muß mithalten; wer zu nichts anderem ein Reckl hat, der trägt
wenigstcns ein Band oder eine Schleife in Len badischen Landes-
farben roth und gelb; das vcrpflichtel zu nichts, dient nicht als
Bundeszeichen und sicht doch auch ganz schmuck aus.
Aber auf solcke demonflralive äußere Decoration hat man
sich nicht beschränkt. Mit der Universität begeht die ganze Stadt,
ja mittelbar das ganze Land die Jubelfeier. Die Zurüstungen
und materiellen Unterstützungcn der beiden Hauptmomente Ler
W oche, Schloßfest und historischer Festzug, haben die ganze Bürger-
schaft gern getheilt. Man erzählt mir, daß ca. 800 000 Mark aus
Privatmitteln aufgebracht sein sollen, und dies glaubt gern, wer
die Großartigkeit aller Zurüstungen sieht. Die Pracht-Costüme
zum Zuge, Rüstungeu, Waffen, Geschirre und Zaumzeug, soweit
sie nicht von Sammlern und Museen hergeliehen wurden, stnd von
s eltener und gediegener Pracht, alle treu im Zeitcostüme der vecschie-
denenJahrhunderte von 1386 bis zum jungen deutschen Kaiserreich, die
der Zug nach einander vorsührt, ächt in Stoffen und Ausstattung.
Dabei haben vicle Mitwirkeude, so besouders die Damen, ihre
Anzüge selbst beschafft und dabei den größten Aufwand entwickelt.
Man kounte alle diese Requisiten zum Festzuge in Len Magazinen,
in denen sie aufbewahrt werden, sehen und Labei sicher besser
würdigen als im Zuge selbst, in dem doch hauptjächlich die colo-
ristische und historisch - malerische Gesammtwirtung ins Auge
fallen dürfte.
Anf einem Exercierplatz dicht am Neckar, etwa auf halbem
Wege vom Bahnhof bis znr oberen Stadt, hat man cine riesige
Festyalle erbaut, die zur sreien Zusammeukunft, zu Commersen, zu
geselligem Verkehr und natürlich zum Kneiplocale dienen soll. An
Größe kommt sie allen jenen Bauten gleick, welche Leipzig, München,
Dresden, Franksiirt zu den allzemeinen nationalen Bundesfesten
errichtet hatten. Jn der Front freundlich mit zwei Eckthürmen,
mit Portalen, Wappen, farbigen Reliefornamenlen, mit einer
Minerva und den Medaillonköpfen der Fürsten und anderer um
die Hochschule verdienter Männer geschmückt, an den Langseiten die
graue Nüchternheit eines Bcdürfnißbaues, rohe Bretterwände und
schmutzfarbene Dachpappe, erfüllt sie vollstäudig ihren Zweck und liegt
sehr günstig gerade in in der Mitte der langen, schmalen Stadt.
Aus Ler Universität sind natürlich ebensalls manche werthvolle
Festgaben hervorgegangen, die allerdiugs während der Tage des
Jubels weniger zur Geltung kommen dürften. Ein prachtvolles
Banner haben die Damen des Profefforen-Collcgiums gestiftet,
manche Denk- und Weiheschrift ist erschienen, und dann habeu die
heidelberger Corps eine inhaltreiche geschichtliche Darstellung des
hiesigen Corpslebens in diesem Jahrhundert herausgegeben, die viel
Jnteressantes enthält und stch oft unbeabsichtigt zu einer Geschichte
dcs gesammte» Studentenlebens erweitert. Andere Leserkreise dürfte
nur einzelnes interessiren. Wir ersahren aus der Monographie, daß
dieUniversität amAnfanze desJahrhunderts ihrem völligenUntergange
nahe gewesen sei; erstKurfürstKarlFriedrich Habe1803 mit hochherziger
Fürsorge die Neuorganisation begonnen. Die Corps sind zu
jener Zeit aus Len alten Landsmannschaften und Orden entstanden,
aus Verbindungen dereinzelnen Gaugenoffen also und aus einer engeren
Auswahl Einzelner innerhalb dieser Landsmannschaften, die sich
strenger zusammenschloß und fester organisirte. Die Festschrift
erzählt von einem Conflict zwischen Militär und Studenten aus
dem Jahre 1804, infolge deffen die letzteren, 200 Mami stark, aus-
gezogen sind und ein Lager jenseits des Neckar bei Neuenheinr
errichtet haben. Zünfte und Magistrat sind sofort beim Stadtdirector
vorstellig geworden, um die Studentenschaft zur Rückkehr zu veran-
laffen, der Rector ist zum Kurfürsten gefahren, Ler dcnn auch den
beleidigten Musensöhnen im Falle der Rückkehr Satisfaction hat zu-
sagen laffen. Die Dersöhnten stnd dann mit Böllerschüssen begrüßt
worden, Professoren und Vertreter der Bürgerschaft sind ihnen
feierlich entgegengezogen, haben ste mit Reden und Ovationen begrüßt,
wobei das Militär von allen Gegendemonstrationen zurückgehalten
worden ist. 1810 bestanden die Verbindungen aus Westfalen, Ober-
rheineru, Kurländern und Niederrheinern. Was über die innere
Organisation und Repräsentation der Corps, über Comment, Duell-
wesen rc. das Buch cuthält, dürfte nur Studentenkreise interessiren.
Tage, wie die jetzt beginnenden, zeigen das Coipvleben wieder
in neuem Glanze, wcnn auch solcher Glanz und der immer stärker
sich entfaltende obligatorische Luxus vielleicht auf das innige
innere Zusammenleben nicht gerade günstig einwirken. Für
mitllere Wohlhabenheit ist jetzt der Beitritt zu einzelnen
Corps geradczu unerschwinglich, mehr und mehr ergänzen
sich dieselben aus deu exclusivsten und bestsituirtesteii Gesellschasts-
kreisen. Heute und voraussichtlich diese gauze Woche hindurch
treten die Unterichiede und Sonderungen stark zurück, allc fühlen
sich zuuächst alS Festgenoffeu, sodann als akademische Bürger,
welche Gäste aus dem gesammten deutschen Vaterlande willkommen
heißen, Gäste, zu denen Ler künftige Kaiser des Leutschen
Reiches, der Landesfürst und zahlreiche Glieder deutscher Hercscher«
familien zählen.
Allem Anschein uach wird auch dieseS Fest wieder weit über
seineu Zmeck hinaus als ein vaterländisches, als eine frohe Ver-
einigung Deutscher aus Süd und Nord sich gestalten, hoch erhoben
über ähnliche vaterländiiche Feiern der Sänger, Schützen, Turner rc.
durch den gcistigen Jnbalt und durch die Kundgebungen der
erlanchtesten Männer dec Wissenschaft, welche hier zusammenkommen.^
Alle Vorbedingungen sind günstig, und auch das Wetter verspricht
das beste. Fritz Wernick.