Staatsgewalt geltend gemacht haben; seine Ernennung gilt veshalb
als ein Zugestänvnih Ver Curie, und unsere Regiernngskreise
knüpfen an diesclbe die Erwartung, daß die polnische Propaganda,
die bisher in Kulm einen ihrer Hauptmittelpunkte besaß, dort
kortan unter Lem neuen Bischos keinen günstigen Bodcn mehr
stnden werde."
Heranziehung zu den Schullasten.
Unter Lem 3. d. M. hat der Cultns-und Unterrichtsminister
an die königlichen Regierungen in den Provinzen Ost- und West-
preußen, Rheinprovin; und Hessen-Nassau folgenden, den übrigen
Regierungen zur Kenntniß mitgetheilten Circularerlaß gerichtet:
„Jn letzter Zeit ist wiederholt die Frage zur Erörterung gelangt, in
wie weit bei vorhandenem doppelten Wohnsitz einer Person und ihrer
dadurch begründeten Zugehörigkeit zu verschiedenen Schulsystemen
eine doppelte Besteuerung desselben Einkommens zulässig ist. So-
fcrn die Lasten der Sä ulunterhaltung in den verschiedenen Schulsystemen
einen Theil Ler Commnnallasten bilden, ist die Frage nunmehr durch das
Gesetz vom 27. Juli v. I., betreffend Ergänzung und Abünderung einiger
Bestimmungen über Erhebung der aus das Einkommen gelegtcn
directen Communalabgaben, geregelt. Es erschcint gcrechtfertigt, die
Grundsätzs dicses Gesetzes analog auch da zur Anwendung zu
bringen, wo die Lasten der Schulunterhaltung in den vsr»
schicdencn Schulsystemen als Lasten besonderer Corporationen
(Schulsocietätslasten) oder theils als Schulsocietätslasten und theils als
Communallasten ausgebracht werden. Die innere Nechtsertigung dieser
analogen Anwendung bietet der die verschiedencn Schulgesetze burchgängig
deherrschcnde Grundsatz, daß die'Lasten der Schulunterhaltung „billig" zu
verthcilen sind, in Verbindung mit der Erwägung, Latz mit einer „billigen"
Bertheilunq die doppelte Heranziehung desselben Einkommcns zu den Lasten
der Schulunterhaltung in mehreren Schulsystemen nicht im Einklang steht.
AndererseitS sind in dsm Gesetz vom 27. Juli v. I. diejenigen Grundsätze
zum Ausdruck gekomnien, wclche unter Wahrung Ler berechtigten Ansprüche
der betheiligten Corporationen den Standpunkt der Billigkcit dem Abgabe-
pflichtigen gegenüber Rechnung tragen."
Bei der Mannigfaltigkeit der Verhältnisfe sieht der Cultus-
minister zunächst von detaillirten Besiimmungen ab, veranlaßt die
königlichen Regierungen jedoch, bei Erledigung an sie herantretender
Beschmerden die vorstchenden Gesichtspunkte zu beachten.
Krankenkassen und Aerzte.
Ueber eine das Jnteresse weiterer Kreise berührende Streitfrage wird
der „Volks-Ztg." aus Stargard in Pommern berichtet: Ein der Orts-
krankenkafse in Stargard angehörendes Mitglled war an Lungenentzündung
erkrankt und von deni Kafsenarzte behandelt worden. Nach Ansicht des
Patienten hatte stch die Krankheit nach der vom Arzte verordneten Me-
dicin verschlimmert; der Kranke hatte dann, ohne den behandelnden Nrzt
zu fragen, auf eigene Hand gehandelt, indem cr fich, um seine Athemnoth
zu lindern, Schröpsköpfe setzen hatte lassen. Er soll damit auch den ge-
wünschten Erfolg erzielt haben. Als aber dem Arzte von der Thatsache
LeS Schröpfens Mittheilung gemacht worden, stellte Lerselbe,
ohne den Äranken nochmals zu besichtigen, die weiteren Besuche
ein, cr war auch zu einem solchen nicht mehr zu bewegcn, als
mehrere male zu ihm geschickt wurde. Ein später hinzugezogener
anderer Arzt erklärte dann, daß jede menschliche Hilfe zu spät komme, und
in der That ist der Kranke bald darauf gestorben. Für die Kassenmit-
glieder entsieht nun die principiell wichtige Frage, ob ein von einer
städtischen Kasse angestellter Arzt die Behandlung cines Kranken ohne
weiteres einstellen darf, wenn derselbe zu seiner Heilung etwas unternimmt,
was dem Arzte zur Genchmigung nicht unterbreitet worden ist, von dcm
aber nicht erwiesen ist oder werden kann, daß es für den Patienten nach-
theilig gewesen ist. „Zweifellos steht fest" — so bemerkt die „Dolks-Ztg."
— „daß der betreffende Kranke unrichtig gehandelt hat; Verlust ber
Krankenunterstützung und des Sterbegeldes hätte möglicherweise die Folge
seiner Handlung sein können. Fruglich aber ist cs, ob ein Arzt, der als
Kassenarzt angestelltcr Beamter ist, das Recht hat, seine Thätigkeit ohne
weiteres einzustellen. Daß hierdurch die Kasse, Lcren Vertreter der behan-
delnde Arzt ist, ebcnso großen Nachtheil haben kann und in vielen Fällen
haben muß, wie du'rch incorrecte Handlungsweise der Patienten oder ihrer
Angehörigen, ist zweifellvs, und nur cin Privatarzt, der nicht durch be-
stimmten Vertrag gebunden ist, kann jsden Augenblick die Behandlung
eines Patienten aufgebcn, wenn seine Anordnungen nicht respectirt, oder
ohne sein Wiffen andere Bchandlungsmethoden angewendet werden. Der
Kafsenarjt aber hat in allen Fällen, wo die pünktliche Befolgung der
Die Heidelberger Jubelseier.
V.
Heidelberg, 7. August.
Schon vor der Mittagsstunde, iveit zeitiger als man erwartet,
war am Freitage Ler historische Festzug beendet worden. Bis zum
fpäten Abend, wo der allgemeine Studenten-Commers in die Fest-
halle rief, gab es alfo eine lange Ruhepause. Sie war noth-
wendig, denn eine gewisse Festmüdigkeit begann sich sühlbar zu
machen. Die Theilnehmer am Zuge mögen diesclbe vor allen
empfunden haben. Nicht ohne einige Beforgniß hatlen die Heidel-
bergec diesem Schaugepränge entgegen gcfehen. Die kleine Stadt,
die Enze ihrer Gassen, der Mangel an Erfahrung und Uebung,
die Schwierigkeit der Discipliu über ca. 3000 Mitwirkende jeden
Alters begründeten folche Besorgniß. Sie fand ihren Ausdruck in
allerlei Verordnungen. Die Theilnehmer, damit sind wohl vor-
zugsweise die Studenten gemeint, wurden ermahnt, die Nacht vor-
her nicht zu lange außerhalb des Bettes zu verbringen, am Morgen
kräftigcr als gewöhnlich zu frühstücken, den historischen Zug mit
vollem Ernst zu bkhandeln, nicht als eine Lustbarkeit. Dem
Publikum ward eingejchärft, Rosse und Reiter nicht durch Zu-
werfen von Blumen, durch gar zn laute Zurufe zu beunruhigen,
und zum Ueberfluß hatte man noch in lehter Stunde Dragoner
commandirt, die in ihren modernen Uniformen zur Seite der
Pserde einherschritten, um etwaige Extempore derselben fofort zu-
rückzuweisen. Das alles hat sich nicht als nöthig erwiesen.
Nun, nachdem die That vollbracht nnd wohlgelungen, athmet
man freier auf. Au Ler Festhalle, vor welcher der Zug sich auf-
löste, standen Dragoner bereit, um die Pferde in Empfang zu
nehmen, Lie Wagen und Karren wurden weggefahren, die Mit-
wirkenden zerstreuten sich bald in srohester Stimmung über das
Gelingen. Dies brachte unbeabsichtigt einige Stunden heiteren
Sommer-Carnevals in die Feststadt. Die Straßen derselben, noch
völlig gefüllt von deu vielen Tausenden der Zuschauer, belebten
fich mit Len Vertretern aller Jahrhunderte. Einige Hofdamen
Les Jagdzuges, den kleineu Dreistutz kokett auf dcm Puderkopf
balancirend, in betreßtem Wamins und langem Reitkleide, schlen-
derten Lurch die Hauptstraße, Troßbuben, Jagdgeselleu, Möuche,
denen jetzt der auf die Nase geklemmte Augenzmicker eher ziemte,
als im Zuge, wo er etwas anachronistisch wirkte, führten die
frommen Jungfrauen in langen, weißen WollcngewänLern, Rosen-
kränze im Haar, welche die Madonna getragen und begleitet hatten,
am Arm und suchten unter Lachen und Scherzen ein Erfrischungs-
local auf, frcilich vergeblich, denn da gab es nirgends das kleinste
Mtzchen; man war iroh, ein Viertel Wein. ein Stück Fleisch zu
arzlinyen Bor)cyrific>i zweifeiyafl ertcheink, oder wo nach Lage
der Sache — Verabreichung von Bädern, Ueberwachung eines
Deliranten u. s. w. — die Behandlung in der Privatwohnung un-
ausführbar oder doch mangelhast ist, die Uebersührung nach
einer öffentlichen Krankenansialt anzuordnen. Erst die Weigerung
des Kranken oder seiner Angehörigen, dieser Anordnuug Folge zu leisten,
entbindet ihn von seiner Pfiicht Ser Behandlung. Sclbstverständlich ist
aber hiermit die Pflicht verbunden, dsm Kaffenvorstande dienstliche Mit-
theilung von den Thatsachen zu machen, du diese die Kaffe berechtigen und
im Jntereffe der übrigen Mitgliedcr auch vcrpflichtcn, die Krankenuntcr-
stützung dem Renitcnten zu entziehcn". Zn tendenziöser Weise sucht schließ-
lich dte demokratische „Volkszeitung" den Vorgang zu ungunsten der sog.
Zwangskaffcn (d. h. der aufgrund des Reichsgesetzes über die Kranken-
vcrsicherung) und zugunstcn der sog. „frcien Kasse" (der aus den Mitteln
der Arbeiter geschaffenen) auszunutzen, indem sie erklärt, der Vorfall, die
Richtigkeit der Schilderung vorausgesetzt, beweise, „wie wenig Garantie die
Eigenschaft als Zwangskaffenmitglied einem Patienten gewührt, wenn er
auch nur den gcringsten Verstoß gegen die Anordnungen dcs Kaffenarztes
begeht. Patient wie Kasse könntcn dann beide gleich schwer gefchädigt werden".
Daß ganz dicselben Jnconvenicnzen bei dcn „freicn Kasscn" cntstehen
könnten, ist jedoch selbslverstündlich. Gegen eigene Thorheit oder gegen
Mißgriffe des Arztes ist der Versicherte oder der Kranke weder bei den
„sreien Kassen" »och bei den „Zwangskaffen" absolut gefichert. Die „freien
Kassen" würdcn auch nicht gestatten, daß ein Kranker dadurch, daß er auf
eig.-ne Hand, den ärztlichen Anordnungen entgegen, sich zu curiren sucht,
den übrigen Kassenmitgliedern unnöthige Ausgabcn verursacht, ebensowenig
aber können sie den Arzt hindern, eine Pflichtwidrigkeit zu begehen. Sie
können ihn vielleicht sür den aus einer solchen Handlung erwachsenden
Schaden verantwortlich und ersatzpflichtig machen; cin solcheS Vorgehen
wärc dann aber auch den „Zwangskassen" unbenommen.
Verschiedene Nachrichten.
Die Einrichtung des obligatorischen FortbildungSunterrichts
in den östlichen Provinzen wird, wie die „Königsbg. Hart. Ztg." mit-
theilt, seitens der Staatsregierung mit großem Ernste betrieben. Jn zahl-
reichen Ortschasten sind die Vorbereitungen soweit gediehen, daß die
Fortbildungsschulcn in der allernächsten Zeit eröffnct werden können. ES
wird in denselben Unterricht im Deutschen, Rechnen und Zeichnen
ertheilt, und zwar ist Vorsorge getroffcn, diesen Unterricht in
solcher Weise zu gestalten, daß cr den jungen Leuten in Wahrhcit
Nutzen bringe sür ihren gewerblichen Beruf. Ein ganz besonderer
Werth wird kierbei aus das Zeichnen gelegt, und um die sür die
Fortbildvngsschulen in Aussicht genommenen Ze ichenlehrer zu besähigen,
einen gcwerbiichen Zeichenunterricht zu erthsilen, hat der Hande lsminister
sür die Zeit vom 15- August bis zum 30. Scptember c. die Einrichtung eines
Cursus für gewerbliches Zeichnen unter dem Leiter des gewerblichen Fort-
bildungsschulwcjens in Berlin, Herrn Director Jessen, veranlaßt und be-
stimmt, daß aus den Provinzen Posen und Wsstpreußen eine größere An-
zahl geeigneter Lehrer auf Staatskosten zur Theilnahme an diesem Cursus
entsendet werden. Es hat den Anschein, als solle das berliner Fort-
bildungsschulwesen den in den Ostprov inzen zu errichtenden Fortbildungs-
schulen zum Muster dienen.
Wie aus Kiel berichtet wird, soll, nachdem soeben der Stapellauf des
Aviso „Greif" (des Ersatzbaus sür die „Loreley") stattgesunden hat,
unvcrzüglich der Ersatzbau sür die Corvctte „Ariadne" bei der
Schiffsbaugescllschaft „Germania" in Angriff genomnien werden. Cs ist
dieS der zweite „geschützte", d. h. theilweiss gepanzerte Kreuzer, welcher der
deutschen Kriegsmarine hinzutreten soll. Die Maschinen des Schiffs
sollen 8000 indicirte Pferdekräfte ausweisen und demselben elne
Fahrgeschwindigkcit von 18 Seenieilen in der Stunde verleihen. Das
Schwcstcrschiff dieses Kreuzers, der Ersatzbau sür „Elisabeth", befindet sich
schon seit dem vorigen Jahre aus der Werst deö „Vulcan" im Bau be-
griffen.
Bei den amsterdamer Unruhen ist, dem „Enscheder Cui." zufolge
auch cin Deutscher ums Leben gekommen, der Agent Korbmacher. Der-
selbe wurde von einer Kugel getroffen und erlag dcr Verwundung am
solgenden Tage.
Eine Caution von 10000Mk. ist soeben dem Fiscus versallen. Ein
berlinerKurpsuscher, WilliomBecker aus derPritzwalkerstraße, welcher in
hunderttausenden von Exeniplaren seinen „fliegenden Rathgeber für Haus
und Familie" über ganz Europa verbreitete und zuni Verschreiben seiner
Recepte drei Aerzte mit cinem Jahresgehalt von je 6000 Mk. „sich hielt",
war s. Z. vom Schöffengericht in Berlin zu einem Jahr Gesüngniß
verurtheilt worden. Er wurde sofort in Haft genommen, später
aber gcgen eine Caution von 10 000 Mark wieder anf freicn
erhalten, um es stehend zu verzehren. Eine Edeldame ans der
Zeit Otto Heinrichs in braunrother Schlepprobe, mit Gold gestickt,
eine Gesialt der Renaissance, ließ Lie lange Schleppe durch einen
Knirps von Leibpagen tragen, Bürgerfrauen, Winzerinnen, fürst-
liche Damen fuchten ungenirt den Weg, und zwar nicht den
nächsten, nach Hause.
Weit zahlreicher und munterer noch waren die Männer in
den Straßen, die mittelalterlichen Hellebardiere, die Reisigen, He-
rolde aus dem Troß Ruprechts, die Krieger Friedrichs des Sicg-
reichen, Edelknaben und Höflinge. Jener ersteren Costüme fielen
jetzt, wo man sie genauer betrachten konute, durch ihren Reichthum
und ihre Acchtheit noch günstiger auf, die geschlitzten Wämmser, die
Pluderhosen, die Schlapphüte, alles aus derben, strumpffarbigen
Stoffen, hatten durchaus nichts maskenhaftes, und manche breite
Schmarre über Stirn und Backen war sogar natürlich! Rüstungen
und Schienenpanzer hatte man abgelegt, aber manches Hemde,
manche Kappc aus eisernem Ringelgeflecht präsentirre sich noch.
Selbst ein gelbgrauer, als Panther geschminktcr Hund, mit breiten
schwarzen Streifen über den Rücken, aus dem Bacchuszuge folgte
feinem als Silen vermummteu Herrn. Das war hier ja alles
so selbstverständlich, fo natürlich, daß diese carnevalistiiche Straßen-
staffage garnicht mehr auffiel. Uebrigens werden die Costüme noch
einmal am nächsten Sonntage hervorgejucht und getragen wcrden. Zum
Dank sür die viele Mühe haben die Veranstalter alle Theilnehmer
zu Sonntag abend aufs Schloß gcladen. Dort, wo alle Jahr-
hundeite, die sie dargestellt, architektonisch zu höchster künstlerijcher
Erscheinung kommen, sollen sich Schloßhof, Söller, Hallen, Säle,
Treppen im Glanze inteustver Beleuchtung beleben wie zu Zeiten
der Burgherren. Nur wird dem Geladenen gestattet, Karten für
3 Mark zu lösen und an Angehörige zn vcrtheilen, wcdurch aller-
dingS ein moderner Zuz in das Gesainintbild kommt.
ES war fast 6 Uhr geworden, da begann cin feiner Regen aus
dem schncll aufgcstiegenen Gewöik herabzustäuben, der immer stärker
wurde und das buute Straßcnleben schncll wegstörte. „Dcr
deutiche Kronprinz hat uns das schöne Wcttcr gebracht", saglen die
Leute, „kaum hat er uus rerlasscn, gleich regnet's." Nlcht nur den
äuhcren Festsonneiijchein hatte die Heldengestalt des Kaisererben
uns gebiacht, auch den inneren, Ler Geist und Gemüth erleuchtet
iind crwärmt. Was er gesprochen, wie er mit Gelehrten, Studenten,
Bürgcrn vcrkehrt, dort ernst, würdig, bedeutungsvoll, hier heiter,
zwanglos, gemüthlich, das hat ihn immer, wo er erschien, zmn
Mittelpnnkt des Festes gemacht.
Studenten hatte man vor Fr citag nachmittag nur wenig auf
den Straßen gesehen. Sie waren von auderen Dingen in Au-
spruch geucminen. Jedes Corps, jede Verbindung veranstaltete
mit ihren Gästen uu^ alten Herren in einigen j»eien Stundeu
Futz gejetzt. Gegen ba« erste Erkenntniß hatte nicht nur ver
Angeklagte, sondern auch oer Staatsanwalt die Berufung eingelegt, leßterer
zog sie jedoch in der vor der Berufungskamnier anstehenden Verhandlung
zurück. Dcr Angeklagte war zu dei» Termin nicht erschiencn, vielmehr
theilte sein Vertheidiger mit, daß sein Client nach Amerika ausgewandert
sei. Die Berufung desselben wurds infolge dessen verworfen, Lie Caution
von 10000 Mk. aber verfüllt deni Fiscus. Herr Bicker kann sich der»
artige kieine Ausfälls leisten, denn wie s. Z. aus dcn Geschäftsbüchern
desseiben constatirt worden ist, hatte cr in einem Zeitraume von einem
halben Jahre eine reine Einnahme von ca. 45 000 Mk. gehabt!
AuS dem Reichslande.
Am 4. d. M. bielt in Metz der neugewählte Gemeinde-
rath, in welchem die Alrdeutschen Lie Mehrheit erlangt haben»
seine erste Sitzung. Es wurde ri. a. festgestellt, daß, da die meisten
Mitglieder des neuen Gemeinderathes die deutsche Sprache als
Mutterjprache sprechen, von jetzt ab oie Protokolle in dentscher
Sprache abgefaßt werden follen, doch werdcn ihnen französische
Uebersetzungen beigefügr. Am Schlusse der Sitzung theilte Ler
Bürgermeisterei-Veiwalter mit, daß im kcmmenden Monat die Stadt
Metz die Ehre haben werde, Seine Majestät den Kaijer in ihrer
Mitte verweilen zu sehen. Es würde eine Ehrenpflicht für die
städtische Vertretung sein, auch an ihrem Theil dafür Sorge zu
tragen, daß Se. Majestät in würdiger Weise empfangen und be-
grüßt werde. Zur Berathung der erforderlichen Maßnahmen wurde
eine Commission von acht Mitgliedern unter dem Vorsitz des
Bürgermcisterei-Verwalters gewählt, welche demnächst, und zwar
möglichft bald, ihre Vorschläge dem Gemernderath unterbceiten wird.
OestkrreilL-Ungartt.
Zansky-Edelsheim-Asfairc.
<F Pest, 8. August. Der neue Landescommandrrende von
Ungarn, Gras Pcjatschewitfck, hat feine Abreise uach Budapest be-
hufs Uebernahme feines Postens abermals verschcben, was darauf
hinzudeuten fcheint, daß er denselben erst dann anzutreten gedenkt,
wenn jene kaiserliche KunLgebung erfloffen sein wird, welche die
ungarischcn Besorgniffe zu beschwichtigen bestimmt ist. Was die
Natur diefer Kundgebung anbelangt, so verlautet Lbrigens neuer-
dings, daß auch das königliche Rejcript, mitteist deffen die Eröff-
nung des ungarischen Reichstages im nächsten Monate erfolgen
wird, einen auf die Armeefragc bezug nehmeuden Paffus enthalten
soü. Daß sich die extreme Opposition durch die in Aussicht ge»
stellte kaiserliche Kundgebung „beruhigt" fühlen wird, ist natürlich
kaum anzunehmeu; erklären dereu Orgaire doch ganz offen, man
dürfe die „Armeefrage" im Hinblick auf die nächstjährigen Wahlen
nichr cinschlafen lassen. Die kaiserliche Kundgebung wird aber
auch nur als ein Mittel zu dem Zwecke, die wankend gewordenen
Reihen der Regierungspartei wieder aneinanderzuschließen, anzu-
sehen sein. Jst doch selbst eine Comitatsvertretnng in die Be-
wegung eingetrelen. Aengstliche Gemüther fahen bercits die Zeiten
wiedeikehren, in denen die Comitate die Träger der Opposirion
gegen die wiener Regierung waren, Steuern und Rekruten ver-
weigerten. Wenir auch folche Befürchtungen nach der Umgestaltung
Ler Dinge seit 1867 nur als müffige angesehen werden können, so
ist es immerhin erklärlich, wenn man das Eintreten einer Comi-
tatsvertretung in die Beweaung als bcdenkliches Sympton ansieht.
Es mag denn auch Herrn von Tisza nicht allzu schwer gefallen
sein, eine kaiserliche Kundgebnng zur „Beruhigung" seiner Getreuen
zn erwirken. Er wird an derfelben zu demonstriren vcrmögen, daß
er „die Würde nnd die Jnteresien des Landes kräftig" gewahrt
habe, und die Majorität wicd sich voraussichtlich in gewohntei
Weise von Tisza gerne davon überzengen laffcn. Jnfoweit dürft,
die kaiserliche Kundgebung eine bcfriedigende Lösung der leidigeu
Angelegenheit herbeiführen. Ein starker Rest von Unbehagen wirt;
jreiiich auf beiden Seiten zurückbleiben, und wäre nur zu wünscheil,,
daß er nicht etwa in naher oder ferner Zeit ein zweites, viclleicht
bedenklicheres „Mißverständniß" zeitigt.
der Festwoche erir Liebcsmahl. Die Corps thaten stch da durch
bejonderen Aufwand hervor, den zwar merst die alten Herrn be-
stritten. Zu den allgemeinen Kosten der Festzeit war von jedem
Corps von den theilnehmenden alten Brndern desselben eine
Steuer erhoben worden, verschieden nach den Ansprüchen und
Gewöhnungen. So hatten z. B. die alten Herren der Schwaben
21 Mk. beigetragen, während die Saxo-Borussen die ihrigen mit
100 Mk. bcsteuerten. Jm Laufe der tetzten Jahre rst jcdes Co rps
in Len Besitz eines eigenen Hauses gekommen, meistentheils eben-
falls dnrch Lie Uuterstützmig der älteren Mitglieder. Man hat
zu dem Behufe deir Ankaufspreis in Actien von nicht hohem
Betrige zcrlegt, von denen die alten Herren je nach Vermögen
eine Anzahl übernommcn haben. Auf einem Vorsprung am Wege zum
Schloß hinauf erhebt sich Las hübjche Renaiffance-Schlößchen
der Westsalen, aus rothem Sairdjtein erbaut, mit Thürmchen,
Erkern, Balconen und steilem Giebeldach; Lie Schwaben besitzen
in der Nähe einen kleinereu Bau mit geräumigem Geselljchasts-
saale und einigen Nebenräumen; die Saxo-Borussen stud die ersten,
welche sich iu Heidelberg ein festeS Heim geschaffen haben. Jn
diesec Festzeit nun waren seibstverständlich alle etwaigen Diffe-
renzen und Gegensätze zwischen Len einzelnen Gruppen auf-
gehoben, alle Sckranken bejeitigt, jeder Student stand auch mit
Lem frcmdesten Collegen auf Grußfuß, überall sah man die
Couleuren in freundlichstem Verkehr und alle Gäste derselben
liebeuswürdig aufgeuommeu.
Die Hauptfeierlichkeit und gewiffermaßen den Schlußact des
Jubelfestes bildete der große Commers am Abend des Freitag. Die
nngeheure Halle mit ihreu langeu Tafelreihen war fast gänzlich von
hiestgenStudenten und derenGästeu iuAnspruch genommen.nnrweiilge
Hunderte andererFestbefucher hattenEinlaßkarten erlangenkönnen. Wie-
der nahm die Halle bei elektnfcher Bcleuchtung sich ganz impofant aus.
Das endlofe Tonnengewölbe, das sie überjpannte, ist als blauer,
besternter Himmcl decorirt und erjcheint deshalb luftiger, höher,
die Blendbogen, die diesen cphemeren Basilikenbau rings umziehen,
machen ihn für das Auge weiter, da sie die abschließenden Wände
völlig verdecken. Wingols uud sreie Gesellschaften, die rcthen
Stürmer Ler Franken, die weißen Ler Saxo-Borussen, die blauen
Kappen der Rhenanen und die Coiileuren aller Ler anderen ließen
nns fofort crkennen, wie das Ganze der heidelberger Studenten-
fchaft sich gesondert an den einzelnen Taftln geordnet hatte. Die
Hänpter einer jeden nahmen die Chargirtea ein, die sich mit ihren
Federbaretts, den Schäcpen und Schlägern weithin kenntlich machten.
Jn der Mitte der langen Halle war eii, breiter Raum frei ge-
blieben. Dort erhob sich die Rednerbühnt, vor ihr sand der Vor-
sitzende, Lanll. mscl. Klaus, eine beherrschende Stelle, und dort hatte
man auch die Ehrentafeln aufgeschlagen, «n denen dem fürstlichei-
als ein Zugestänvnih Ver Curie, und unsere Regiernngskreise
knüpfen an diesclbe die Erwartung, daß die polnische Propaganda,
die bisher in Kulm einen ihrer Hauptmittelpunkte besaß, dort
kortan unter Lem neuen Bischos keinen günstigen Bodcn mehr
stnden werde."
Heranziehung zu den Schullasten.
Unter Lem 3. d. M. hat der Cultns-und Unterrichtsminister
an die königlichen Regierungen in den Provinzen Ost- und West-
preußen, Rheinprovin; und Hessen-Nassau folgenden, den übrigen
Regierungen zur Kenntniß mitgetheilten Circularerlaß gerichtet:
„Jn letzter Zeit ist wiederholt die Frage zur Erörterung gelangt, in
wie weit bei vorhandenem doppelten Wohnsitz einer Person und ihrer
dadurch begründeten Zugehörigkeit zu verschiedenen Schulsystemen
eine doppelte Besteuerung desselben Einkommens zulässig ist. So-
fcrn die Lasten der Sä ulunterhaltung in den verschiedenen Schulsystemen
einen Theil Ler Commnnallasten bilden, ist die Frage nunmehr durch das
Gesetz vom 27. Juli v. I., betreffend Ergänzung und Abünderung einiger
Bestimmungen über Erhebung der aus das Einkommen gelegtcn
directen Communalabgaben, geregelt. Es erschcint gcrechtfertigt, die
Grundsätzs dicses Gesetzes analog auch da zur Anwendung zu
bringen, wo die Lasten der Schulunterhaltung in den vsr»
schicdencn Schulsystemen als Lasten besonderer Corporationen
(Schulsocietätslasten) oder theils als Schulsocietätslasten und theils als
Communallasten ausgebracht werden. Die innere Nechtsertigung dieser
analogen Anwendung bietet der die verschiedencn Schulgesetze burchgängig
deherrschcnde Grundsatz, daß die'Lasten der Schulunterhaltung „billig" zu
verthcilen sind, in Verbindung mit der Erwägung, Latz mit einer „billigen"
Bertheilunq die doppelte Heranziehung desselben Einkommcns zu den Lasten
der Schulunterhaltung in mehreren Schulsystemen nicht im Einklang steht.
AndererseitS sind in dsm Gesetz vom 27. Juli v. I. diejenigen Grundsätze
zum Ausdruck gekomnien, wclche unter Wahrung Ler berechtigten Ansprüche
der betheiligten Corporationen den Standpunkt der Billigkcit dem Abgabe-
pflichtigen gegenüber Rechnung tragen."
Bei der Mannigfaltigkeit der Verhältnisfe sieht der Cultus-
minister zunächst von detaillirten Besiimmungen ab, veranlaßt die
königlichen Regierungen jedoch, bei Erledigung an sie herantretender
Beschmerden die vorstchenden Gesichtspunkte zu beachten.
Krankenkassen und Aerzte.
Ueber eine das Jnteresse weiterer Kreise berührende Streitfrage wird
der „Volks-Ztg." aus Stargard in Pommern berichtet: Ein der Orts-
krankenkafse in Stargard angehörendes Mitglled war an Lungenentzündung
erkrankt und von deni Kafsenarzte behandelt worden. Nach Ansicht des
Patienten hatte stch die Krankheit nach der vom Arzte verordneten Me-
dicin verschlimmert; der Kranke hatte dann, ohne den behandelnden Nrzt
zu fragen, auf eigene Hand gehandelt, indem cr fich, um seine Athemnoth
zu lindern, Schröpsköpfe setzen hatte lassen. Er soll damit auch den ge-
wünschten Erfolg erzielt haben. Als aber dem Arzte von der Thatsache
LeS Schröpfens Mittheilung gemacht worden, stellte Lerselbe,
ohne den Äranken nochmals zu besichtigen, die weiteren Besuche
ein, cr war auch zu einem solchen nicht mehr zu bewegcn, als
mehrere male zu ihm geschickt wurde. Ein später hinzugezogener
anderer Arzt erklärte dann, daß jede menschliche Hilfe zu spät komme, und
in der That ist der Kranke bald darauf gestorben. Für die Kassenmit-
glieder entsieht nun die principiell wichtige Frage, ob ein von einer
städtischen Kasse angestellter Arzt die Behandlung cines Kranken ohne
weiteres einstellen darf, wenn derselbe zu seiner Heilung etwas unternimmt,
was dem Arzte zur Genchmigung nicht unterbreitet worden ist, von dcm
aber nicht erwiesen ist oder werden kann, daß es für den Patienten nach-
theilig gewesen ist. „Zweifellos steht fest" — so bemerkt die „Dolks-Ztg."
— „daß der betreffende Kranke unrichtig gehandelt hat; Verlust ber
Krankenunterstützung und des Sterbegeldes hätte möglicherweise die Folge
seiner Handlung sein können. Fruglich aber ist cs, ob ein Arzt, der als
Kassenarzt angestelltcr Beamter ist, das Recht hat, seine Thätigkeit ohne
weiteres einzustellen. Daß hierdurch die Kasse, Lcren Vertreter der behan-
delnde Arzt ist, ebcnso großen Nachtheil haben kann und in vielen Fällen
haben muß, wie du'rch incorrecte Handlungsweise der Patienten oder ihrer
Angehörigen, ist zweifellvs, und nur cin Privatarzt, der nicht durch be-
stimmten Vertrag gebunden ist, kann jsden Augenblick die Behandlung
eines Patienten aufgebcn, wenn seine Anordnungen nicht respectirt, oder
ohne sein Wiffen andere Bchandlungsmethoden angewendet werden. Der
Kafsenarjt aber hat in allen Fällen, wo die pünktliche Befolgung der
Die Heidelberger Jubelseier.
V.
Heidelberg, 7. August.
Schon vor der Mittagsstunde, iveit zeitiger als man erwartet,
war am Freitage Ler historische Festzug beendet worden. Bis zum
fpäten Abend, wo der allgemeine Studenten-Commers in die Fest-
halle rief, gab es alfo eine lange Ruhepause. Sie war noth-
wendig, denn eine gewisse Festmüdigkeit begann sich sühlbar zu
machen. Die Theilnehmer am Zuge mögen diesclbe vor allen
empfunden haben. Nicht ohne einige Beforgniß hatlen die Heidel-
bergec diesem Schaugepränge entgegen gcfehen. Die kleine Stadt,
die Enze ihrer Gassen, der Mangel an Erfahrung und Uebung,
die Schwierigkeit der Discipliu über ca. 3000 Mitwirkende jeden
Alters begründeten folche Besorgniß. Sie fand ihren Ausdruck in
allerlei Verordnungen. Die Theilnehmer, damit sind wohl vor-
zugsweise die Studenten gemeint, wurden ermahnt, die Nacht vor-
her nicht zu lange außerhalb des Bettes zu verbringen, am Morgen
kräftigcr als gewöhnlich zu frühstücken, den historischen Zug mit
vollem Ernst zu bkhandeln, nicht als eine Lustbarkeit. Dem
Publikum ward eingejchärft, Rosse und Reiter nicht durch Zu-
werfen von Blumen, durch gar zn laute Zurufe zu beunruhigen,
und zum Ueberfluß hatte man noch in lehter Stunde Dragoner
commandirt, die in ihren modernen Uniformen zur Seite der
Pserde einherschritten, um etwaige Extempore derselben fofort zu-
rückzuweisen. Das alles hat sich nicht als nöthig erwiesen.
Nun, nachdem die That vollbracht nnd wohlgelungen, athmet
man freier auf. Au Ler Festhalle, vor welcher der Zug sich auf-
löste, standen Dragoner bereit, um die Pferde in Empfang zu
nehmen, Lie Wagen und Karren wurden weggefahren, die Mit-
wirkenden zerstreuten sich bald in srohester Stimmung über das
Gelingen. Dies brachte unbeabsichtigt einige Stunden heiteren
Sommer-Carnevals in die Feststadt. Die Straßen derselben, noch
völlig gefüllt von deu vielen Tausenden der Zuschauer, belebten
fich mit Len Vertretern aller Jahrhunderte. Einige Hofdamen
Les Jagdzuges, den kleineu Dreistutz kokett auf dcm Puderkopf
balancirend, in betreßtem Wamins und langem Reitkleide, schlen-
derten Lurch die Hauptstraße, Troßbuben, Jagdgeselleu, Möuche,
denen jetzt der auf die Nase geklemmte Augenzmicker eher ziemte,
als im Zuge, wo er etwas anachronistisch wirkte, führten die
frommen Jungfrauen in langen, weißen WollcngewänLern, Rosen-
kränze im Haar, welche die Madonna getragen und begleitet hatten,
am Arm und suchten unter Lachen und Scherzen ein Erfrischungs-
local auf, frcilich vergeblich, denn da gab es nirgends das kleinste
Mtzchen; man war iroh, ein Viertel Wein. ein Stück Fleisch zu
arzlinyen Bor)cyrific>i zweifeiyafl ertcheink, oder wo nach Lage
der Sache — Verabreichung von Bädern, Ueberwachung eines
Deliranten u. s. w. — die Behandlung in der Privatwohnung un-
ausführbar oder doch mangelhast ist, die Uebersührung nach
einer öffentlichen Krankenansialt anzuordnen. Erst die Weigerung
des Kranken oder seiner Angehörigen, dieser Anordnuug Folge zu leisten,
entbindet ihn von seiner Pfiicht Ser Behandlung. Sclbstverständlich ist
aber hiermit die Pflicht verbunden, dsm Kaffenvorstande dienstliche Mit-
theilung von den Thatsachen zu machen, du diese die Kaffe berechtigen und
im Jntereffe der übrigen Mitgliedcr auch vcrpflichtcn, die Krankenuntcr-
stützung dem Renitcnten zu entziehcn". Zn tendenziöser Weise sucht schließ-
lich dte demokratische „Volkszeitung" den Vorgang zu ungunsten der sog.
Zwangskaffcn (d. h. der aufgrund des Reichsgesetzes über die Kranken-
vcrsicherung) und zugunstcn der sog. „frcien Kasse" (der aus den Mitteln
der Arbeiter geschaffenen) auszunutzen, indem sie erklärt, der Vorfall, die
Richtigkeit der Schilderung vorausgesetzt, beweise, „wie wenig Garantie die
Eigenschaft als Zwangskaffenmitglied einem Patienten gewührt, wenn er
auch nur den gcringsten Verstoß gegen die Anordnungen dcs Kaffenarztes
begeht. Patient wie Kasse könntcn dann beide gleich schwer gefchädigt werden".
Daß ganz dicselben Jnconvenicnzen bei dcn „freicn Kasscn" cntstehen
könnten, ist jedoch selbslverstündlich. Gegen eigene Thorheit oder gegen
Mißgriffe des Arztes ist der Versicherte oder der Kranke weder bei den
„sreien Kassen" »och bei den „Zwangskaffen" absolut gefichert. Die „freien
Kassen" würdcn auch nicht gestatten, daß ein Kranker dadurch, daß er auf
eig.-ne Hand, den ärztlichen Anordnungen entgegen, sich zu curiren sucht,
den übrigen Kassenmitgliedern unnöthige Ausgabcn verursacht, ebensowenig
aber können sie den Arzt hindern, eine Pflichtwidrigkeit zu begehen. Sie
können ihn vielleicht sür den aus einer solchen Handlung erwachsenden
Schaden verantwortlich und ersatzpflichtig machen; cin solcheS Vorgehen
wärc dann aber auch den „Zwangskassen" unbenommen.
Verschiedene Nachrichten.
Die Einrichtung des obligatorischen FortbildungSunterrichts
in den östlichen Provinzen wird, wie die „Königsbg. Hart. Ztg." mit-
theilt, seitens der Staatsregierung mit großem Ernste betrieben. Jn zahl-
reichen Ortschasten sind die Vorbereitungen soweit gediehen, daß die
Fortbildungsschulcn in der allernächsten Zeit eröffnct werden können. ES
wird in denselben Unterricht im Deutschen, Rechnen und Zeichnen
ertheilt, und zwar ist Vorsorge getroffcn, diesen Unterricht in
solcher Weise zu gestalten, daß cr den jungen Leuten in Wahrhcit
Nutzen bringe sür ihren gewerblichen Beruf. Ein ganz besonderer
Werth wird kierbei aus das Zeichnen gelegt, und um die sür die
Fortbildvngsschulen in Aussicht genommenen Ze ichenlehrer zu besähigen,
einen gcwerbiichen Zeichenunterricht zu erthsilen, hat der Hande lsminister
sür die Zeit vom 15- August bis zum 30. Scptember c. die Einrichtung eines
Cursus für gewerbliches Zeichnen unter dem Leiter des gewerblichen Fort-
bildungsschulwcjens in Berlin, Herrn Director Jessen, veranlaßt und be-
stimmt, daß aus den Provinzen Posen und Wsstpreußen eine größere An-
zahl geeigneter Lehrer auf Staatskosten zur Theilnahme an diesem Cursus
entsendet werden. Es hat den Anschein, als solle das berliner Fort-
bildungsschulwesen den in den Ostprov inzen zu errichtenden Fortbildungs-
schulen zum Muster dienen.
Wie aus Kiel berichtet wird, soll, nachdem soeben der Stapellauf des
Aviso „Greif" (des Ersatzbaus sür die „Loreley") stattgesunden hat,
unvcrzüglich der Ersatzbau sür die Corvctte „Ariadne" bei der
Schiffsbaugescllschaft „Germania" in Angriff genomnien werden. Cs ist
dieS der zweite „geschützte", d. h. theilweiss gepanzerte Kreuzer, welcher der
deutschen Kriegsmarine hinzutreten soll. Die Maschinen des Schiffs
sollen 8000 indicirte Pferdekräfte ausweisen und demselben elne
Fahrgeschwindigkcit von 18 Seenieilen in der Stunde verleihen. Das
Schwcstcrschiff dieses Kreuzers, der Ersatzbau sür „Elisabeth", befindet sich
schon seit dem vorigen Jahre aus der Werst deö „Vulcan" im Bau be-
griffen.
Bei den amsterdamer Unruhen ist, dem „Enscheder Cui." zufolge
auch cin Deutscher ums Leben gekommen, der Agent Korbmacher. Der-
selbe wurde von einer Kugel getroffen und erlag dcr Verwundung am
solgenden Tage.
Eine Caution von 10000Mk. ist soeben dem Fiscus versallen. Ein
berlinerKurpsuscher, WilliomBecker aus derPritzwalkerstraße, welcher in
hunderttausenden von Exeniplaren seinen „fliegenden Rathgeber für Haus
und Familie" über ganz Europa verbreitete und zuni Verschreiben seiner
Recepte drei Aerzte mit cinem Jahresgehalt von je 6000 Mk. „sich hielt",
war s. Z. vom Schöffengericht in Berlin zu einem Jahr Gesüngniß
verurtheilt worden. Er wurde sofort in Haft genommen, später
aber gcgen eine Caution von 10 000 Mark wieder anf freicn
erhalten, um es stehend zu verzehren. Eine Edeldame ans der
Zeit Otto Heinrichs in braunrother Schlepprobe, mit Gold gestickt,
eine Gesialt der Renaissance, ließ Lie lange Schleppe durch einen
Knirps von Leibpagen tragen, Bürgerfrauen, Winzerinnen, fürst-
liche Damen fuchten ungenirt den Weg, und zwar nicht den
nächsten, nach Hause.
Weit zahlreicher und munterer noch waren die Männer in
den Straßen, die mittelalterlichen Hellebardiere, die Reisigen, He-
rolde aus dem Troß Ruprechts, die Krieger Friedrichs des Sicg-
reichen, Edelknaben und Höflinge. Jener ersteren Costüme fielen
jetzt, wo man sie genauer betrachten konute, durch ihren Reichthum
und ihre Acchtheit noch günstiger auf, die geschlitzten Wämmser, die
Pluderhosen, die Schlapphüte, alles aus derben, strumpffarbigen
Stoffen, hatten durchaus nichts maskenhaftes, und manche breite
Schmarre über Stirn und Backen war sogar natürlich! Rüstungen
und Schienenpanzer hatte man abgelegt, aber manches Hemde,
manche Kappc aus eisernem Ringelgeflecht präsentirre sich noch.
Selbst ein gelbgrauer, als Panther geschminktcr Hund, mit breiten
schwarzen Streifen über den Rücken, aus dem Bacchuszuge folgte
feinem als Silen vermummteu Herrn. Das war hier ja alles
so selbstverständlich, fo natürlich, daß diese carnevalistiiche Straßen-
staffage garnicht mehr auffiel. Uebrigens werden die Costüme noch
einmal am nächsten Sonntage hervorgejucht und getragen wcrden. Zum
Dank sür die viele Mühe haben die Veranstalter alle Theilnehmer
zu Sonntag abend aufs Schloß gcladen. Dort, wo alle Jahr-
hundeite, die sie dargestellt, architektonisch zu höchster künstlerijcher
Erscheinung kommen, sollen sich Schloßhof, Söller, Hallen, Säle,
Treppen im Glanze inteustver Beleuchtung beleben wie zu Zeiten
der Burgherren. Nur wird dem Geladenen gestattet, Karten für
3 Mark zu lösen und an Angehörige zn vcrtheilen, wcdurch aller-
dingS ein moderner Zuz in das Gesainintbild kommt.
ES war fast 6 Uhr geworden, da begann cin feiner Regen aus
dem schncll aufgcstiegenen Gewöik herabzustäuben, der immer stärker
wurde und das buute Straßcnleben schncll wegstörte. „Dcr
deutiche Kronprinz hat uns das schöne Wcttcr gebracht", saglen die
Leute, „kaum hat er uus rerlasscn, gleich regnet's." Nlcht nur den
äuhcren Festsonneiijchein hatte die Heldengestalt des Kaisererben
uns gebiacht, auch den inneren, Ler Geist und Gemüth erleuchtet
iind crwärmt. Was er gesprochen, wie er mit Gelehrten, Studenten,
Bürgcrn vcrkehrt, dort ernst, würdig, bedeutungsvoll, hier heiter,
zwanglos, gemüthlich, das hat ihn immer, wo er erschien, zmn
Mittelpnnkt des Festes gemacht.
Studenten hatte man vor Fr citag nachmittag nur wenig auf
den Straßen gesehen. Sie waren von auderen Dingen in Au-
spruch geucminen. Jedes Corps, jede Verbindung veranstaltete
mit ihren Gästen uu^ alten Herren in einigen j»eien Stundeu
Futz gejetzt. Gegen ba« erste Erkenntniß hatte nicht nur ver
Angeklagte, sondern auch oer Staatsanwalt die Berufung eingelegt, leßterer
zog sie jedoch in der vor der Berufungskamnier anstehenden Verhandlung
zurück. Dcr Angeklagte war zu dei» Termin nicht erschiencn, vielmehr
theilte sein Vertheidiger mit, daß sein Client nach Amerika ausgewandert
sei. Die Berufung desselben wurds infolge dessen verworfen, Lie Caution
von 10000 Mk. aber verfüllt deni Fiscus. Herr Bicker kann sich der»
artige kieine Ausfälls leisten, denn wie s. Z. aus dcn Geschäftsbüchern
desseiben constatirt worden ist, hatte cr in einem Zeitraume von einem
halben Jahre eine reine Einnahme von ca. 45 000 Mk. gehabt!
AuS dem Reichslande.
Am 4. d. M. bielt in Metz der neugewählte Gemeinde-
rath, in welchem die Alrdeutschen Lie Mehrheit erlangt haben»
seine erste Sitzung. Es wurde ri. a. festgestellt, daß, da die meisten
Mitglieder des neuen Gemeinderathes die deutsche Sprache als
Mutterjprache sprechen, von jetzt ab oie Protokolle in dentscher
Sprache abgefaßt werden follen, doch werdcn ihnen französische
Uebersetzungen beigefügr. Am Schlusse der Sitzung theilte Ler
Bürgermeisterei-Veiwalter mit, daß im kcmmenden Monat die Stadt
Metz die Ehre haben werde, Seine Majestät den Kaijer in ihrer
Mitte verweilen zu sehen. Es würde eine Ehrenpflicht für die
städtische Vertretung sein, auch an ihrem Theil dafür Sorge zu
tragen, daß Se. Majestät in würdiger Weise empfangen und be-
grüßt werde. Zur Berathung der erforderlichen Maßnahmen wurde
eine Commission von acht Mitgliedern unter dem Vorsitz des
Bürgermcisterei-Verwalters gewählt, welche demnächst, und zwar
möglichft bald, ihre Vorschläge dem Gemernderath unterbceiten wird.
OestkrreilL-Ungartt.
Zansky-Edelsheim-Asfairc.
<F Pest, 8. August. Der neue Landescommandrrende von
Ungarn, Gras Pcjatschewitfck, hat feine Abreise uach Budapest be-
hufs Uebernahme feines Postens abermals verschcben, was darauf
hinzudeuten fcheint, daß er denselben erst dann anzutreten gedenkt,
wenn jene kaiserliche KunLgebung erfloffen sein wird, welche die
ungarischcn Besorgniffe zu beschwichtigen bestimmt ist. Was die
Natur diefer Kundgebung anbelangt, so verlautet Lbrigens neuer-
dings, daß auch das königliche Rejcript, mitteist deffen die Eröff-
nung des ungarischen Reichstages im nächsten Monate erfolgen
wird, einen auf die Armeefragc bezug nehmeuden Paffus enthalten
soü. Daß sich die extreme Opposition durch die in Aussicht ge»
stellte kaiserliche Kundgebung „beruhigt" fühlen wird, ist natürlich
kaum anzunehmeu; erklären dereu Orgaire doch ganz offen, man
dürfe die „Armeefrage" im Hinblick auf die nächstjährigen Wahlen
nichr cinschlafen lassen. Die kaiserliche Kundgebung wird aber
auch nur als ein Mittel zu dem Zwecke, die wankend gewordenen
Reihen der Regierungspartei wieder aneinanderzuschließen, anzu-
sehen sein. Jst doch selbst eine Comitatsvertretnng in die Be-
wegung eingetrelen. Aengstliche Gemüther fahen bercits die Zeiten
wiedeikehren, in denen die Comitate die Träger der Opposirion
gegen die wiener Regierung waren, Steuern und Rekruten ver-
weigerten. Wenir auch folche Befürchtungen nach der Umgestaltung
Ler Dinge seit 1867 nur als müffige angesehen werden können, so
ist es immerhin erklärlich, wenn man das Eintreten einer Comi-
tatsvertretung in die Beweaung als bcdenkliches Sympton ansieht.
Es mag denn auch Herrn von Tisza nicht allzu schwer gefallen
sein, eine kaiserliche Kundgebnng zur „Beruhigung" seiner Getreuen
zn erwirken. Er wird an derfelben zu demonstriren vcrmögen, daß
er „die Würde nnd die Jnteresien des Landes kräftig" gewahrt
habe, und die Majorität wicd sich voraussichtlich in gewohntei
Weise von Tisza gerne davon überzengen laffcn. Jnfoweit dürft,
die kaiserliche Kundgebung eine bcfriedigende Lösung der leidigeu
Angelegenheit herbeiführen. Ein starker Rest von Unbehagen wirt;
jreiiich auf beiden Seiten zurückbleiben, und wäre nur zu wünscheil,,
daß er nicht etwa in naher oder ferner Zeit ein zweites, viclleicht
bedenklicheres „Mißverständniß" zeitigt.
der Festwoche erir Liebcsmahl. Die Corps thaten stch da durch
bejonderen Aufwand hervor, den zwar merst die alten Herrn be-
stritten. Zu den allgemeinen Kosten der Festzeit war von jedem
Corps von den theilnehmenden alten Brndern desselben eine
Steuer erhoben worden, verschieden nach den Ansprüchen und
Gewöhnungen. So hatten z. B. die alten Herren der Schwaben
21 Mk. beigetragen, während die Saxo-Borussen die ihrigen mit
100 Mk. bcsteuerten. Jm Laufe der tetzten Jahre rst jcdes Co rps
in Len Besitz eines eigenen Hauses gekommen, meistentheils eben-
falls dnrch Lie Uuterstützmig der älteren Mitglieder. Man hat
zu dem Behufe deir Ankaufspreis in Actien von nicht hohem
Betrige zcrlegt, von denen die alten Herren je nach Vermögen
eine Anzahl übernommcn haben. Auf einem Vorsprung am Wege zum
Schloß hinauf erhebt sich Las hübjche Renaiffance-Schlößchen
der Westsalen, aus rothem Sairdjtein erbaut, mit Thürmchen,
Erkern, Balconen und steilem Giebeldach; Lie Schwaben besitzen
in der Nähe einen kleinereu Bau mit geräumigem Geselljchasts-
saale und einigen Nebenräumen; die Saxo-Borussen stud die ersten,
welche sich iu Heidelberg ein festeS Heim geschaffen haben. Jn
diesec Festzeit nun waren seibstverständlich alle etwaigen Diffe-
renzen und Gegensätze zwischen Len einzelnen Gruppen auf-
gehoben, alle Sckranken bejeitigt, jeder Student stand auch mit
Lem frcmdesten Collegen auf Grußfuß, überall sah man die
Couleuren in freundlichstem Verkehr und alle Gäste derselben
liebeuswürdig aufgeuommeu.
Die Hauptfeierlichkeit und gewiffermaßen den Schlußact des
Jubelfestes bildete der große Commers am Abend des Freitag. Die
nngeheure Halle mit ihreu langeu Tafelreihen war fast gänzlich von
hiestgenStudenten und derenGästeu iuAnspruch genommen.nnrweiilge
Hunderte andererFestbefucher hattenEinlaßkarten erlangenkönnen. Wie-
der nahm die Halle bei elektnfcher Bcleuchtung sich ganz impofant aus.
Das endlofe Tonnengewölbe, das sie überjpannte, ist als blauer,
besternter Himmcl decorirt und erjcheint deshalb luftiger, höher,
die Blendbogen, die diesen cphemeren Basilikenbau rings umziehen,
machen ihn für das Auge weiter, da sie die abschließenden Wände
völlig verdecken. Wingols uud sreie Gesellschaften, die rcthen
Stürmer Ler Franken, die weißen Ler Saxo-Borussen, die blauen
Kappen der Rhenanen und die Coiileuren aller Ler anderen ließen
nns fofort crkennen, wie das Ganze der heidelberger Studenten-
fchaft sich gesondert an den einzelnen Taftln geordnet hatte. Die
Hänpter einer jeden nahmen die Chargirtea ein, die sich mit ihren
Federbaretts, den Schäcpen und Schlägern weithin kenntlich machten.
Jn der Mitte der langen Halle war eii, breiter Raum frei ge-
blieben. Dort erhob sich die Rednerbühnt, vor ihr sand der Vor-
sitzende, Lanll. mscl. Klaus, eine beherrschende Stelle, und dort hatte
man auch die Ehrentafeln aufgeschlagen, «n denen dem fürstlichei-