Kritische Zeitschriften: die Iris, die Wage
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des Wissens auszumünzen — wollte schon die moderne
Revue. Im wesentlichen schrieb er die zwanglos aufeinander-
solgenden Hefte in Oktavformat selber. Bücherkunde, scharfe,
schöpferisch-kritische Besprechung der Frankfurter Theaterauf-
führungen kehrten immer wieder. Unter der Rubrik „Nachzügler"
pflegte er seiner Neigung zum bilderschweren, oft qualvoll geist-
reichen Aphorismus freien Lauf zu lassen.
Nicht umsonst stand aber im Titel der Wage das Bürgerleben
an erster Stelle. Der moderne Jude, der ehemalige Polizeiaktuarius
der großherzoglichen Zeit, dem der wirtschaftliche Egoismus der
Frankfurter „christlichen" Bürgerschaft die Stelle genommen hatte,
meinte damit etwas anderes, als das Leben, das er noch um sich
sah, und unter dem er jeden Tag zu leiden Hatte — er verstand
darunter, was er ersehnte: das Leben des eito^en, wie es ihn die
französische Revolution, wie es ihn das Großherzogtum von Frank-
reichs Gnaden, wie es ihn der französische Radikalismus seiner
Gegenwart kennen lehrte. — So gab es denn in der Zeitschrift
„Kleine Gedanken über ständische Verfassung", einen Aufsatz über
die Freiheit der Presse in Bayern, eine Erörterung über die Frage,
warum mit dem Papst keine Konkordate zu schließen seien — alles
scharf, radikal, oft von glänzender Bissigkeit*). Wie weit und klar
aber auch Börnes politischer Blick war, zeigt der Satz in den „schüch-
ternen Bemerkungen über Österreich und Preußen": „Preußen ist
eine deutsche Macht, und da es die einzige reine ist, so ist Deutsch-
land nur in Preußen"^).
Börnes Patriotismus war rein und zart, sein aus Überzeugung
bewußt deutsches Herz ganz weich; nur weil er nicht jedem zeigen
mochte, wie sehr es unter den Qualen der Zeit zuckte, ließ er seinen
Verstand so kühl, scharf, schneidend reden — und weil ihm die Ironie
immer mehr tröstende Zuflucht wurde, so war sie ihm bald ver-
blendende Gewohnheit. Je mehr ihn die Zensur zwang , auf seiner
Wage nur noch literarische Gegenstände zu wägen, desto mehr
zeigte sicb, daß alle seine Gewichtsteine mit dem Zeichen des mo-
dernen Liberalismus geeicht Waren. So lobte er den gesinnungs-
tüchtigen „Dichter" Sauerwein, den Minister Goethe traf sein
*) Ich füge noch einige Titel bei: Der europäische Staatenbund und
der nordamerikanische; Französische Urteile über deutsche Angelegenheiten;
Kotzebue und was ihn gemordet (Görres); Romane, keine Romane, mehr
als Romane; Der Badische Erbfolgestreit; Der Lippenkrieg; Briefe an eine
Freundin.
*) Erstes Heft der „Wage", 1817.
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des Wissens auszumünzen — wollte schon die moderne
Revue. Im wesentlichen schrieb er die zwanglos aufeinander-
solgenden Hefte in Oktavformat selber. Bücherkunde, scharfe,
schöpferisch-kritische Besprechung der Frankfurter Theaterauf-
führungen kehrten immer wieder. Unter der Rubrik „Nachzügler"
pflegte er seiner Neigung zum bilderschweren, oft qualvoll geist-
reichen Aphorismus freien Lauf zu lassen.
Nicht umsonst stand aber im Titel der Wage das Bürgerleben
an erster Stelle. Der moderne Jude, der ehemalige Polizeiaktuarius
der großherzoglichen Zeit, dem der wirtschaftliche Egoismus der
Frankfurter „christlichen" Bürgerschaft die Stelle genommen hatte,
meinte damit etwas anderes, als das Leben, das er noch um sich
sah, und unter dem er jeden Tag zu leiden Hatte — er verstand
darunter, was er ersehnte: das Leben des eito^en, wie es ihn die
französische Revolution, wie es ihn das Großherzogtum von Frank-
reichs Gnaden, wie es ihn der französische Radikalismus seiner
Gegenwart kennen lehrte. — So gab es denn in der Zeitschrift
„Kleine Gedanken über ständische Verfassung", einen Aufsatz über
die Freiheit der Presse in Bayern, eine Erörterung über die Frage,
warum mit dem Papst keine Konkordate zu schließen seien — alles
scharf, radikal, oft von glänzender Bissigkeit*). Wie weit und klar
aber auch Börnes politischer Blick war, zeigt der Satz in den „schüch-
ternen Bemerkungen über Österreich und Preußen": „Preußen ist
eine deutsche Macht, und da es die einzige reine ist, so ist Deutsch-
land nur in Preußen"^).
Börnes Patriotismus war rein und zart, sein aus Überzeugung
bewußt deutsches Herz ganz weich; nur weil er nicht jedem zeigen
mochte, wie sehr es unter den Qualen der Zeit zuckte, ließ er seinen
Verstand so kühl, scharf, schneidend reden — und weil ihm die Ironie
immer mehr tröstende Zuflucht wurde, so war sie ihm bald ver-
blendende Gewohnheit. Je mehr ihn die Zensur zwang , auf seiner
Wage nur noch literarische Gegenstände zu wägen, desto mehr
zeigte sicb, daß alle seine Gewichtsteine mit dem Zeichen des mo-
dernen Liberalismus geeicht Waren. So lobte er den gesinnungs-
tüchtigen „Dichter" Sauerwein, den Minister Goethe traf sein
*) Ich füge noch einige Titel bei: Der europäische Staatenbund und
der nordamerikanische; Französische Urteile über deutsche Angelegenheiten;
Kotzebue und was ihn gemordet (Görres); Romane, keine Romane, mehr
als Romane; Der Badische Erbfolgestreit; Der Lippenkrieg; Briefe an eine
Freundin.
*) Erstes Heft der „Wage", 1817.