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Frankfurt vor der Revolution
Pflanzschule der neuen Gedanken blute, oder in Göttingen, der
Universität der freien Städte, und ließen sich dann in der Vaterstadt
als Advokaten nieder. Für den Anfänger konnte es bei der un-
verhältnismäßigen Übersetzung des Berufes*) nicht viel zu tun
geben, und so entfalteten sie in verschiedenen Zirkeln durch Rede
und Belehrung politischen Charakters eine ersprießliche Wirksamkeit.
Ihr letztes Ziel war meistens die städtische Verwaltung, der Senat.
Einzelne hervorragende Persönlichkeiten dieser Art werden uns
noch entgegentreten. Ein starkes Gefühl, „daß es anders würde"
— zunächst in dieser ganz unbestimmten Art, beherrschte diese Jahre.
Konservative Leute?) mochten dann zurückblickend es beklagen,
daß die alten patrizischen Familien in den Hintergrund traten, daß
Geld- und Gesinnungsparvenüs sie verdrängten. Es war ein
natürlicher Vorgang. Die vornehmen Kaufleute, die mit den Leuten
des Bundestags verkehrten, wurden nicht liberal im modern-
radikalen Sinne, die städtischen Angelegenheiten wurden ihnen
auch zu klein — der Handel hob sie darüber hinaus. Besonders ist
das vom Papierhandel zu sagen, der ja überhaupt staatserhaltend
macht. Konnte man es den Besitzern von russischen und holländischen
Staatspapieren übelnehmen, wenn sie dem polnischen Aufstand
und der belgischen Revolution nicht günstig gesinnt Waren??) Und
wenn nun gar in der Vaterstadt selbst das demokratische Prinzip
betont wurde, dann erweiterte sich die Kluft, und mit Feindlichkeit
trat den Trägern solcher Gedanken ein pointierter Aristokratismus
entgegen. Sehr bezeichnend dafür ist eine seltsame kleine politische
Schrift, die aus streng konservativen Kreisen Hervorgegangen oder von
ihnen bestellt worden ist. Sie erschien 1831 anonym unter dem Titel:
Frankfurt was es war, ist uild sein wird — und gab sich als ersten
aus einer Reihe von Briefen über staatsbürgerliche und staats-
rechtliche Verhältnisse. Nur dieser eine vierundzwanzig Seiten Oktav
starke Brief scheint erhalten zu sein. Warenus der Teutsche schreibt
an Ethokratos den Griechen. Diesem humanistischen Gewand ent-
spricht ein etwas unbestimmt staatserhaltendes Eingangszitat aus
Ciceros cko ro publioach. Der Stil ist ziemlich pathetisch, öfters
ins Salbungsvolle spielend. So ist zum Beispiel von „Agenten
des richtenden Weltschicksales" die Rede. Öfters wandelt unser
y Auf 468 Einwohner kam ein Advokat. Lucä, S. 57.
H Frankfurter Jahrb. VII, 237.
h Vergleiche die Briefe vou Frau Wohl an Börne S. 152 und 215. sä.
E. Mentzel 1906.
H Illst quirlen vers lex ratin naturas conAruens, Oilkus» in ornnss ete.
Frankfurt vor der Revolution
Pflanzschule der neuen Gedanken blute, oder in Göttingen, der
Universität der freien Städte, und ließen sich dann in der Vaterstadt
als Advokaten nieder. Für den Anfänger konnte es bei der un-
verhältnismäßigen Übersetzung des Berufes*) nicht viel zu tun
geben, und so entfalteten sie in verschiedenen Zirkeln durch Rede
und Belehrung politischen Charakters eine ersprießliche Wirksamkeit.
Ihr letztes Ziel war meistens die städtische Verwaltung, der Senat.
Einzelne hervorragende Persönlichkeiten dieser Art werden uns
noch entgegentreten. Ein starkes Gefühl, „daß es anders würde"
— zunächst in dieser ganz unbestimmten Art, beherrschte diese Jahre.
Konservative Leute?) mochten dann zurückblickend es beklagen,
daß die alten patrizischen Familien in den Hintergrund traten, daß
Geld- und Gesinnungsparvenüs sie verdrängten. Es war ein
natürlicher Vorgang. Die vornehmen Kaufleute, die mit den Leuten
des Bundestags verkehrten, wurden nicht liberal im modern-
radikalen Sinne, die städtischen Angelegenheiten wurden ihnen
auch zu klein — der Handel hob sie darüber hinaus. Besonders ist
das vom Papierhandel zu sagen, der ja überhaupt staatserhaltend
macht. Konnte man es den Besitzern von russischen und holländischen
Staatspapieren übelnehmen, wenn sie dem polnischen Aufstand
und der belgischen Revolution nicht günstig gesinnt Waren??) Und
wenn nun gar in der Vaterstadt selbst das demokratische Prinzip
betont wurde, dann erweiterte sich die Kluft, und mit Feindlichkeit
trat den Trägern solcher Gedanken ein pointierter Aristokratismus
entgegen. Sehr bezeichnend dafür ist eine seltsame kleine politische
Schrift, die aus streng konservativen Kreisen Hervorgegangen oder von
ihnen bestellt worden ist. Sie erschien 1831 anonym unter dem Titel:
Frankfurt was es war, ist uild sein wird — und gab sich als ersten
aus einer Reihe von Briefen über staatsbürgerliche und staats-
rechtliche Verhältnisse. Nur dieser eine vierundzwanzig Seiten Oktav
starke Brief scheint erhalten zu sein. Warenus der Teutsche schreibt
an Ethokratos den Griechen. Diesem humanistischen Gewand ent-
spricht ein etwas unbestimmt staatserhaltendes Eingangszitat aus
Ciceros cko ro publioach. Der Stil ist ziemlich pathetisch, öfters
ins Salbungsvolle spielend. So ist zum Beispiel von „Agenten
des richtenden Weltschicksales" die Rede. Öfters wandelt unser
y Auf 468 Einwohner kam ein Advokat. Lucä, S. 57.
H Frankfurter Jahrb. VII, 237.
h Vergleiche die Briefe vou Frau Wohl an Börne S. 152 und 215. sä.
E. Mentzel 1906.
H Illst quirlen vers lex ratin naturas conAruens, Oilkus» in ornnss ete.