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Frankfurt vor der Revolution
getrocknet, alles zerstoßen, alles in Büchsen und Schachteln. Nichts
srisch, nichts ganz, nichts frei." Das war eine Art Absagebrief an
die Heimat — sicher einseitig und verblendet. In Frankfurt er-
regte dergleichen noch mehr als Entrüstung. Die politische Er-
regung der Bürgerschaft ward dauernd in Atem gehalten.
Für die Stimmung in Frankfurt sind die Antwortbriefe der
Adressatin der Briese aus Paris, der erwähnten Frau Jeanette
Wohl eine sehr ergiebige Quelle. Diese treubesorgte Freundin
Börnes, eine zur seinsten Einsühlung in das Schaffen eines hochstre-
benden Mannes besähigte Frau, erwidert seine enthusiastischen Be-
richte über die große Revolution im großen Paris mit sarkastischen
Bemerkungen über die ersten kleinen Regungen des revolutionären
Geistes in Frankfurt. Es ist interessant, wie die Symptome der
Unzufriedenheit immer stärker und deutlicher werden. Am 16. Sep-
tember 1830 erzählt Jeanette Wohl, daß Drohungen gegen den
Bürgermeister und den Rat ausgestoßen wurden, und daß man
am Römer einen gemalten Galgen fand mit der Inschrift: Neun
Kreuzer kost' das Brot, schlaget den .tot. Auf die hier ange-
deutete eine Hauptursache der Unzufriedenheit, auf den durch
den Zollverein hervorgerufenen wirtschaftlichen Rückgang der
Stadt, werde ich später in größeren Zusammenhänge kommen.
— Dies wirtschaftliche Mißbehagen kam zu keinem größeren Aus-
bruch. In den schwülen Herbsttagen von 1830 ward er wohl be-
fürchtet. So „glaubten alle Leute", berichtet Frau Wohl, „es
würde losgehen", als die Stumme von Portici, das Brüsseler
Revolutionsstück, aufgesührt wurde. Von der modernen Revolutions-
macherei war aber in Frankfurt noch nichts zu spüren. Es ist
sehr charakteristisch, daß die Handwerker in einer Petition einfach
strengeres Zunftwesen verlangten — von ihrem Standpunkt in
wohlerwogenem Interesse — aber so gar nicht entsprechend den
Glaubensartikeln des Liberalismus. Das sah alles noch aus wie
traditionelle Klagen der ehrfurchtsvollen Bürgerschaft bei der hohen
Obrigkeit.
Im Lauf des Jahres 1831 kam es daun zu mehreren Aufläufen,
vor allem zu dem famosen Laternenkrawall im Herbste. Aber das
war alles doch noch zu gemütlich und humoristisch, um sehr ernsthaft
genommen zu werden.
Ein stärkerer Schwung und ein Hervortreten der eigentlichen
modernen Kräfte entstand in Frankfurt erst durch eine äußerlich
bedeutsam in die Entwicklung des städtischen Lebens einschneidende
Reihe von Ereignissen. Es waren die im Januar 1832 beginnenden
Frankfurt vor der Revolution
getrocknet, alles zerstoßen, alles in Büchsen und Schachteln. Nichts
srisch, nichts ganz, nichts frei." Das war eine Art Absagebrief an
die Heimat — sicher einseitig und verblendet. In Frankfurt er-
regte dergleichen noch mehr als Entrüstung. Die politische Er-
regung der Bürgerschaft ward dauernd in Atem gehalten.
Für die Stimmung in Frankfurt sind die Antwortbriefe der
Adressatin der Briese aus Paris, der erwähnten Frau Jeanette
Wohl eine sehr ergiebige Quelle. Diese treubesorgte Freundin
Börnes, eine zur seinsten Einsühlung in das Schaffen eines hochstre-
benden Mannes besähigte Frau, erwidert seine enthusiastischen Be-
richte über die große Revolution im großen Paris mit sarkastischen
Bemerkungen über die ersten kleinen Regungen des revolutionären
Geistes in Frankfurt. Es ist interessant, wie die Symptome der
Unzufriedenheit immer stärker und deutlicher werden. Am 16. Sep-
tember 1830 erzählt Jeanette Wohl, daß Drohungen gegen den
Bürgermeister und den Rat ausgestoßen wurden, und daß man
am Römer einen gemalten Galgen fand mit der Inschrift: Neun
Kreuzer kost' das Brot, schlaget den .tot. Auf die hier ange-
deutete eine Hauptursache der Unzufriedenheit, auf den durch
den Zollverein hervorgerufenen wirtschaftlichen Rückgang der
Stadt, werde ich später in größeren Zusammenhänge kommen.
— Dies wirtschaftliche Mißbehagen kam zu keinem größeren Aus-
bruch. In den schwülen Herbsttagen von 1830 ward er wohl be-
fürchtet. So „glaubten alle Leute", berichtet Frau Wohl, „es
würde losgehen", als die Stumme von Portici, das Brüsseler
Revolutionsstück, aufgesührt wurde. Von der modernen Revolutions-
macherei war aber in Frankfurt noch nichts zu spüren. Es ist
sehr charakteristisch, daß die Handwerker in einer Petition einfach
strengeres Zunftwesen verlangten — von ihrem Standpunkt in
wohlerwogenem Interesse — aber so gar nicht entsprechend den
Glaubensartikeln des Liberalismus. Das sah alles noch aus wie
traditionelle Klagen der ehrfurchtsvollen Bürgerschaft bei der hohen
Obrigkeit.
Im Lauf des Jahres 1831 kam es daun zu mehreren Aufläufen,
vor allem zu dem famosen Laternenkrawall im Herbste. Aber das
war alles doch noch zu gemütlich und humoristisch, um sehr ernsthaft
genommen zu werden.
Ein stärkerer Schwung und ein Hervortreten der eigentlichen
modernen Kräfte entstand in Frankfurt erst durch eine äußerlich
bedeutsam in die Entwicklung des städtischen Lebens einschneidende
Reihe von Ereignissen. Es waren die im Januar 1832 beginnenden