Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Valentin, Veit
Politisches, geistiges und wirtschaftliches Leben in Frankfurt am Main vor dem Beginn der Revolution von 1848/49 — Stuttgart: Union dt. Verlagsges., 1907

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.71759#0089
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Antwortbriefe Jeanette Wohls. — Die Durchzüge der Polen 77

Durchzüge der nach Westen aus ihrem Vaterland nach dem Scheitern
der revolutionären Erhebung flüchtenden Polens.
Nicht umsonst hatte Börne voll der Hoheit Tragödie des Polen-
leides gesprochen. Während noch ein Jahr früher am 1. Februar 1831
Frau Wohl klagen konnte, daß sich niemand in Frankfurt für die
Polen interefsierte, konnte sie jetzt von dem Eifer ihrer Landsleute
berichten. Und alles fand sich hier zusammen, die unzufriedenen
Kleinbürger der Altstadt, die Träger der neuen bürgerlichen
Bildung und die Verkündiger der neuen politischen Lehre.
Was damals in Frankfurt geschah, war gleichsam ein offizielles
allgemeines Bekenntnis zum neuen liberalen Glauben. Beamte
empfingen die Trümmer der polnischen Armee an der Grenze
des Gebietes, eine amtliche Einquartierung erfolgte, Kleidungsstücke
wurden verteilt. Unser Berichterstatter bemerkt voll Rührung,
daß „von Frauen und Jungfrauen manche Träne innigen Mit-
gefühles vergossen worden sei," er erzählt, wie groß die Anspruch-
losigkeit der Empfänger, wie herzlich ihre Dankbarkeit gewesen sei,
und wie erschütternd es war, daß der Frankfurter Adler und die
Frankfurter Farben sie an ihr Vaterland erinnerten. „Unzählige
Züge der Menschenfreundlichkeit" kamen vor, und als gar die
böse Allgemeine Zeitung in Augsburg behauptete, die Behör-
den und Bürger der Stadt seien rücksichtslos gegen die edlen
Polen gewesen, da wurde voll Entrüstung konstatiert, die Frank-
furter hätten „die Polen wie ihre Kinder angesehen und wahrhaft
auf Händen getragen". — Aber auch die eigentliche praktische
Bedeutung dieser Begeisterung wird an der angeführten Stelle
treffend bezeichnet: „Wer dem Patriotismus der Ausländer eine
innige und begeisterte Anerkennung widmet, der zeigt sich nur würdig,
selbst ein deutsches Vaterlaud zu Haben." Es war kein flacher
Kosmopolitismus, sondern verhaltene Sehnsucht nach der nationalen
Einheit, was damals lebendig wurde.
Zur Erinnerung an diese Zeit der Polendurchzüge fanden nun
regelmäßige Zusammenkünfte liberaler Frankfurter am letzten
Samstag eines jeden Monats statt. Von hier aus wurden mit dem
Herausgeber der Deutschen Tribüne, dem durch das Hambacher
Fest bekannten Vr. Wirth, Beziehungen unterhalten, von hier aus
geschahen die Anknüpfungen mit dem von Wirth durch den Aufruf
in Nr. 29 seiner Zeitschrift 1832 ins Leben gerufenen „Deutschen
Baterlandsverein zur Unterstützung der freien Presse". — Zu

9 Vergleiche für das Folgende Frankfurter Jahrbücher I, 3.
 
Annotationen