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Valentin, Veit
Politisches, geistiges und wirtschaftliches Leben in Frankfurt am Main vor dem Beginn der Revolution von 1848/49 — Stuttgart: Union dt. Verlagsges., 1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.71759#0099
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Das Aprilattentat von 1833

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erst ein das Leben ganz erfüllender zu Taten zwingender Glaube —
bei den meisten wurde die Doktrin zur farblosen Phrase verslacht.
Die wenigen gingen an der Gleichgültigkeit, an der Unbeweglichkeit,
an der Plattheit und Alltäglichkeit der großen Masse zu Grunde.
Die Idee des Liberalismus mußte erst noch eine lange innere
Wandlung durchmachen, und sie mußte noch eine lange innere
Wandlung in ihren Verkündigern selbst Hervorrufen; dann war
ihr der Sieg gewiß, dann mußte Deutschland ein moderner
Staat werden.
Für das Ansehen der Frankfurter Regierung war der Sturm
auf die Wachen ein sehr unangenehmes, peinliches Ereignis. Den
Bundestag innerhalb seinen Mauern zu haben, war doch eine
mißliche Sache. Denn wenn er schon von jeher nicht sonderlich
geneigt war, der Souveränität der freien Stadt große Achtung
zu zollen, so schien jetzt das Mißtrauen eine sehr berechtigte Grund-
lage zu haben. Der Frankfurter Senat tat natürlich alles, um die
Regierungen zufrieden zu stellen — eine Folge davon war, daß
eine so überlegene und freie Persönlichkeit wie Bürgermeister
Thomas infolge der Härte seines Vorgehens gegen die liberalen
Schwärmer in den Geruch kam, ein blindes Werkzeug der Reaktion
zu sein. Der Unterhalt der Gefangenen, die gerichtliche Untersuchung
stellte große Anforderungen an die Finanzen der Stadt. Das
Schlimmste war, daß zweitausendfünfhundert Mann Bundesmilitär
einrückten und bis zum Jahre 1842, also bis die Zentralbehörde des
Bundestages für die Untersuchungen aufgelöst wurde, die Stadt be-
setzt hielten. Den empfindlichsten Stoß erlitt das politische Ansehen
der Stadt aber, als es während der Jahre 1833 bis 1837 einer Anzahl
von Studenten gelang, unter den verschiedensten märchenhaften Um-
ständen aus der in technischer Beziehung noch ziemlich reichsspieß-
bürgerlichen Inhaftierung zu entfliehen. Nagler konnte an seinen
treuen Kelchner damals zornerfüllt schreiben^): „Die Evasion ist
ein lächerlich machendes Ereignis — die dortige Republik ist eine
Scham und Gram." Und kurz darauf berichtet er, daß ihm Ancillon
einen Pariser Brief zu lesen gegeben habe, aus dem hervorginge,
daß die Flucht durch die Tätigkeit einer Anzahl von Frankfurter
Doktoren (worunter sich auch der bereits genannte Advokat Rein-
ganum befand) bewirkt worden sein sollte.
Die maßgebenden konservativen Kreise trauten nach dem April-
attentat Frankfurt das Schlimmste zu — die Stadt galt bei Nagler

') Nagler a. a. O. 17. Januar 1837.
 
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