104 Frankfurt vor der Revolution
im wesentlichen treues Bild einzelner tatsächlicher Vorkommnisse
geben mögen. Über den kleinen Stadtgraben wurden so heimlich
Gewerbegegenstände geworfen, die Meßzeit wurde von den Fremden
überschritten und vorschriftswidrig ausgenutzt. Um den Zuständen
an den Toren auf den Grund zu gehen, Hatten die Handwerke
eine Kommission gebildet, die von versteckten Orten ihre Beob-
achtungen machte und einem eigens dazu mitgenommenen Notar
zu Protokoll diktierte. So wanderte man einen Vormittag um die
ganze Stadt herum. Die Resultate dieser ergötzlichen, echt hand-
werksmäßigen Staatsaktion sind sehr bezeichnend. Leute mit
Strohbündeln, sorgfältig bepackten Mahnen, Körben, Kötzen,
Säcken, Zubern, Heukarren, Strohwagen näherten sich dem Tor.
Es waren „sehr viele schon dem Ansehen nach verdächtige (!) Per-
sonen, die mit einiger Ängstlichkeit hereinschlichen und sobald sie
am Tore vorbei waren, ihre Schritte zusehends verdoppelten."
Der Torschreiber wog einmal einen Wagen ab, erhob einmal
einen Marktkreuzer, bekümmerte sich aber sonst nicht um alles das,
was unter dem Heu und Stroh fchändlicherweise verborgen sein
konnte, sondern ging meistens vor dem Tore spazieren und alle
Stunde ins Wirtshaus.
Der Senat verschärfte nun wohl die Bestimmungen für die Tor-
schreiber, weigerte sich aber, gesetzliche Beschränkungen den wieder-
holten Anträgen entsprechend aufs neue eintreten zu lassens. In
der Begründung wurde allerdings zugestanden, daß die hohen
Zölle den Handel leiden ließen, und deshalb zum Schaden des
Gewerbes die Bedürfnisse eingeschränkt würden, ebenso, daß
durch Niederlassung von Handwerkern in den billigeren, kleinen
Nachbarorten die Konkurrenzgefahr gestiegen sei. Die eigentlichen
Gründe für die Krisis, in der sich das Handwerk offenbar befand,
suchte der Senat aber tiefer, und zwar nicht außerhalb, sondern
innerhalb der Handwerksverfassung selbst. Drei Punkte werden
hervorgehoben, die für die Erkenntnis der damals beginnenden,
inneren Zersetzung im Handwerkerstand von typischer Bedeutung
sind. Erstens hat sich die Lebenshaltung verändert. Früher war
das Leben im Handwerk eingezogen, öffentliche Vergnügungen
wurden nicht gesucht, „die Tochter des Bürgers schämte sich nicht,
sich bei einem anderen redlichen Bürger zu verdingen; da wurde
sie wie eine eigene Tochter gehalten, ward vielleicht selber Meisterin,
denn der Sohn folgte dem Vater ins Handwerk. Heute kommen
Y Frankfurter Jahrb. I, 264.
im wesentlichen treues Bild einzelner tatsächlicher Vorkommnisse
geben mögen. Über den kleinen Stadtgraben wurden so heimlich
Gewerbegegenstände geworfen, die Meßzeit wurde von den Fremden
überschritten und vorschriftswidrig ausgenutzt. Um den Zuständen
an den Toren auf den Grund zu gehen, Hatten die Handwerke
eine Kommission gebildet, die von versteckten Orten ihre Beob-
achtungen machte und einem eigens dazu mitgenommenen Notar
zu Protokoll diktierte. So wanderte man einen Vormittag um die
ganze Stadt herum. Die Resultate dieser ergötzlichen, echt hand-
werksmäßigen Staatsaktion sind sehr bezeichnend. Leute mit
Strohbündeln, sorgfältig bepackten Mahnen, Körben, Kötzen,
Säcken, Zubern, Heukarren, Strohwagen näherten sich dem Tor.
Es waren „sehr viele schon dem Ansehen nach verdächtige (!) Per-
sonen, die mit einiger Ängstlichkeit hereinschlichen und sobald sie
am Tore vorbei waren, ihre Schritte zusehends verdoppelten."
Der Torschreiber wog einmal einen Wagen ab, erhob einmal
einen Marktkreuzer, bekümmerte sich aber sonst nicht um alles das,
was unter dem Heu und Stroh fchändlicherweise verborgen sein
konnte, sondern ging meistens vor dem Tore spazieren und alle
Stunde ins Wirtshaus.
Der Senat verschärfte nun wohl die Bestimmungen für die Tor-
schreiber, weigerte sich aber, gesetzliche Beschränkungen den wieder-
holten Anträgen entsprechend aufs neue eintreten zu lassens. In
der Begründung wurde allerdings zugestanden, daß die hohen
Zölle den Handel leiden ließen, und deshalb zum Schaden des
Gewerbes die Bedürfnisse eingeschränkt würden, ebenso, daß
durch Niederlassung von Handwerkern in den billigeren, kleinen
Nachbarorten die Konkurrenzgefahr gestiegen sei. Die eigentlichen
Gründe für die Krisis, in der sich das Handwerk offenbar befand,
suchte der Senat aber tiefer, und zwar nicht außerhalb, sondern
innerhalb der Handwerksverfassung selbst. Drei Punkte werden
hervorgehoben, die für die Erkenntnis der damals beginnenden,
inneren Zersetzung im Handwerkerstand von typischer Bedeutung
sind. Erstens hat sich die Lebenshaltung verändert. Früher war
das Leben im Handwerk eingezogen, öffentliche Vergnügungen
wurden nicht gesucht, „die Tochter des Bürgers schämte sich nicht,
sich bei einem anderen redlichen Bürger zu verdingen; da wurde
sie wie eine eigene Tochter gehalten, ward vielleicht selber Meisterin,
denn der Sohn folgte dem Vater ins Handwerk. Heute kommen
Y Frankfurter Jahrb. I, 264.