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Valentin, Veit
Politisches, geistiges und wirtschaftliches Leben in Frankfurt am Main vor dem Beginn der Revolution von 1848/49 — Stuttgart: Union dt. Verlagsges., 1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.71759#0117
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Tiefere Gründe: innere Zersetzung des Handwerkerstandes 105
die Dienstboten von auswärts, unsolide Elemente heiraten in
Handwerkerfamilien hinein. Die Bürgerstöchter machen übermäßigen
Aufwand, die Söhne wollen nicht beim Handwerk bleiben, sondern
ergreifen gelehrte Berufe." Wichtiger, als diese sicherlich gewisse
soziale in Vorbereitung befindliche Umschichtungen berührende, in
der Fassung aber doch etwas zu patriarchalische lauckatio tomporis
aoti, ist der zweite Punkt; er betrisft „Neue Erfindungen und
Moden". Eingegangene Gewerbe werden aufgezählt: Nadler,
Nestler, Strumpfwirker, Schnurwirker, Waffenschmiede. Die
Zinngießer leiden durch Gebrauch des englischen Steingutes, die
Hutmacher durch Mützen und Seidenhüte, die Knopfmacher durch
Posamentiere, durch Fabriken. Der letzte Punkt wiegt vielleicht
am schwersten, er deutet nämlich auf das Verschwinden des Ge-
nossenschaftsgeistes, also auf ein Absterben der Seele des Hand-
werks. Es handelt sich um gegenseitige Benachteiligung der
Handwerker unter sich. Die Schneider kaufen Knöpfe nicht bei
den Knopfmachern, sondern in großer Anzahl auswärts. Die
Bauhandwerker ziehen fremde Schlossermeister Heran. —
Ziehen wir das Resultat. Der Zollverein erschütterte das
Wirtschaftsleben von Frankfurt bis ins Innerste. Die nächste und
äußerlich sichtbarste Einwirkung war die Krisis des Freihandels
durch das Auftreten und den Sieg des Schutzzolles. Wir Haben
gesehen, daß die tatsächliche Beeinflussung noch tiefer ging, daß,
wenn man auch natürlich nicht sagen kann, der Zollverein habe den
Notstand des Handwerks in Frankfurt hervorgerufen, er dock
mittelbar die veralteten und unhaltbaren Zustände des Zunft-
zwanges und die aus allgemeinen wirtschaftlichen Ursachen sich
vorbereitende Zersetzung der hergebrachten gewerblichen Zustände
erst recht fühlbar gemacht, ans Licht treten und zum allgemeineren
Bewußtsein hat kommen lassen.

Was der Stadt Frankfurt in dieser Lage zu tun übrig blieb,
konnten Einsichtige schon früh voraussagen, und der Zollverein
war des schließlichen Ergebnisses sicher. Wohl erhoben sich gegen
den Bericht der Handelskammer von 1832, der schon für Eintritt
in den Zollverein plädierte, die Stimmen der doktrinären Frei-
händler, die von der Heilsamkeit des „Systems" viel zu reden wußten.
Auf die Dauer mußte aber die Hartnäckigkeit mürbe werden. Frank-
furt Hatte nicht die staatliche Kraft, eine eigene Handelspolitik zu
 
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