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Valentin, Veit
Politisches, geistiges und wirtschaftliches Leben in Frankfurt am Main vor dem Beginn der Revolution von 1848/49 — Stuttgart: Union dt. Verlagsges., 1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.71759#0114
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Frankfurt vor der Revolution

Die Folge derHandelskrisewar eine allgemeine Stockung,
zunehmender Notstand. Wir erfahren von der Brotlosigkeit der
Tabakarbeiter infolge Eingehens der Fabriken. Bor allen wurden
die Handwerker getroffen, ihre vielgeschützte Nahrung ging zurück,
weil sich die Handeltreibenden einschränken mußten. Und jetzt
drohte ihnen nur gar das Schreckgespenst, die Gewerbefreiheit.
Hier wirkten der neufranzösische Liberalismus und der preußische
Zollverein in einer Richtung. In,den Kreisen der Bürger von
aufgeklärter Bildung galt die Gewerbefreiheit natürlich von jeher
als höchstes Ideal. So ließ sich schon 1818 der gute Pfarrer Kirchner
salbungsvoll und pastörlich platt vernehmens: „Doch endlich wird
sie auch für Deutschland erscheinen, die goldene Zeit, wo der Menschen
natürliche Freiheit wieder gelten wird und jeder das Gewerb treiben
darf, das er versteht. Wo findet ihr, die ihr alles nach der Elle der
Erfahrung meßt, mehr Kunst und Geschicklichkeit, mehr Reichtum
und Wohlsein, mehr Freiheitssinn und Selbstgefühl als in dem
gewerbefreien England?" Wie wir sahen, war aber der Senat
noch nicht vom Herkommen abgegangen. Das harmlose Gesetz
von 1820, das den Schuhmachern und Schneidern unbeschränkte
Gesellenzahl zustand, war doch nur eine sehr geringfügige Ab-
weichung, ebenso wie die 1825 bei einigen Gewerben beschlossene
dringend notwendige kleine Vermehrung der Meisterzahl. Jetzt in
der Zeit der Gärung fühlte sich das Handwerk selbst durch diese Re-
formen bedroht. 1830 machte eine große Anzahl Handwerker eine
Eingabe, worin unter Berufung auf die erworbenen Privilegien und
Rechte von 1715(!) feierlich Einsprache dagegen erhoben wurdest
Ferner wurde Klage geführt, daß die Pfuschereien allzu nachsichtig
behandelt und daß fremde Gewerbsartikel eingebracht würden; schließ-
lich wurde die Einsetzung einer ständigen Kommission für das Hand-
werk verlangt, also eine Vertretung nach Art derHandelskammer. Der
Plan, auf diese Weise der wirtschaftlichen Herrschaft des Handels
die Wage zu halten, wird uns von nun an öfters begegnen. 1831
wurde dann im Gesetzgebenden Körper ein Antrag auf Abschaffung
des Gesetzes von 1820gestellt. Die Begründung zeigtsehr interessant,
wie moderne Ideen ins Handwerk eindrangen und eine Zersetzung
und Umwandlung bewirkten. „Wettstreit der Meister, Erhöhung der
Löhne bei den großen Meistern, die kleinen müssen folgen und
kommen an den Bettelstab", — das sollen die Folgen des Gesetzes

0 Kirchner a. a. O. II, 46, 47.
2) Senatsakten, 27. September 1830.
 
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