Lionardo da Vinci aus Florenz.
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es seltsam, den Künstler bisweilen einen halben Tag in
Betrachtung verloren zu sehen; es wäre ihm lieb, gewesen,
wenn er gleich Arbeitern, die den Garten umhacken, den
Pinsel niemals aus der Hand gelegt hatte. Dieß war aber
nicht genug, er beschwerte sich auch gegen den Herzog und
drängte diesen so lange, bis dieser sich gezwungen sah Lio-
nardo rufen zu lassen. Mit guter Art bat er ihn, er möge
die Arbeit fördern und versicherte, er thue dieß.nur auf
überlästiges Ansuchen des Priors. Lionardo kannte den
klaren Verstand und die Billigkeit des Fürsten, deßhalb ent-
schloß er sich, mit ihm über die Sache zu reden, was er bei
dem Prior nie gethan hatte. Er äußerte sich weitläufig
über die Kunst und machte anschaulich, daß erhabne Geister
bisweilen am meisten schaffen, wenn sie am wenigsten arbei-
ten, nämlich in der Zeit wo sie erfinden und vvllkommne
Ideen ausbilden, welche der Verstand erfaßt und die Hände
darstellen. Zwei Köpfe, fügte er hinzu, wären es, die ihm
noch fehlten, der des Erlösers, nach welchem er nicht auf
Erden suchen wolle, und von dem er nicht glaube, daß er
seiner Phantasie in jener Schönheit und himmlischen An-
muth vorschweben könne, welche die menschgswordene Gottheit
umkleiden müsse; der andere sey der des Judas. Ihm scheine
unmöglich, passende Gesichtszüge für jenen Jünger zu erfin-
den, dessen trotziger Geist nach so vielfach empfangeneu Wohl-
thaten des Entschlusses fähig gewesen, seinen Meister, den
Erretter der Welt, zu verrathen; nach diesem letzter» indeß
wolle er suchen und finde er ihn nicht, so bleibe ihm der
des lästigen und unbescheidenen Priors gewiß.
Aus dieser Erzählung hat man mit Unrecht gefolgert, der Kopf
des Judas sey das Bildniß des damaligen Priors, P. Bandelli, der
als ein Mann von schönen Zügen, großem und durch das vorgerückte
Alter kahlem und ergrautem Kopf von Zeitgenossen geschildert wird.
Leonardo's Drohung war ein Scherz, der seine gute Wirkung nicht
verfehlte.
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es seltsam, den Künstler bisweilen einen halben Tag in
Betrachtung verloren zu sehen; es wäre ihm lieb, gewesen,
wenn er gleich Arbeitern, die den Garten umhacken, den
Pinsel niemals aus der Hand gelegt hatte. Dieß war aber
nicht genug, er beschwerte sich auch gegen den Herzog und
drängte diesen so lange, bis dieser sich gezwungen sah Lio-
nardo rufen zu lassen. Mit guter Art bat er ihn, er möge
die Arbeit fördern und versicherte, er thue dieß.nur auf
überlästiges Ansuchen des Priors. Lionardo kannte den
klaren Verstand und die Billigkeit des Fürsten, deßhalb ent-
schloß er sich, mit ihm über die Sache zu reden, was er bei
dem Prior nie gethan hatte. Er äußerte sich weitläufig
über die Kunst und machte anschaulich, daß erhabne Geister
bisweilen am meisten schaffen, wenn sie am wenigsten arbei-
ten, nämlich in der Zeit wo sie erfinden und vvllkommne
Ideen ausbilden, welche der Verstand erfaßt und die Hände
darstellen. Zwei Köpfe, fügte er hinzu, wären es, die ihm
noch fehlten, der des Erlösers, nach welchem er nicht auf
Erden suchen wolle, und von dem er nicht glaube, daß er
seiner Phantasie in jener Schönheit und himmlischen An-
muth vorschweben könne, welche die menschgswordene Gottheit
umkleiden müsse; der andere sey der des Judas. Ihm scheine
unmöglich, passende Gesichtszüge für jenen Jünger zu erfin-
den, dessen trotziger Geist nach so vielfach empfangeneu Wohl-
thaten des Entschlusses fähig gewesen, seinen Meister, den
Erretter der Welt, zu verrathen; nach diesem letzter» indeß
wolle er suchen und finde er ihn nicht, so bleibe ihm der
des lästigen und unbescheidenen Priors gewiß.
Aus dieser Erzählung hat man mit Unrecht gefolgert, der Kopf
des Judas sey das Bildniß des damaligen Priors, P. Bandelli, der
als ein Mann von schönen Zügen, großem und durch das vorgerückte
Alter kahlem und ergrautem Kopf von Zeitgenossen geschildert wird.
Leonardo's Drohung war ein Scherz, der seine gute Wirkung nicht
verfehlte.