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Wcnii nuii der Handwerkcr durch koxfloses Aufraffen unver-
standener Forinen sich eincn gewistcii Oorrath ihin bcquemer Aringel
angeignct tiast so sorgt das f)ub!iknin dafiir, dast dieser iibcrreiche
wust auch iioch armselig wird. Vic Linrichtuiig des Zimmers soll imr W00
Mark kosten, soll aber aussehcn, als ob sie 2000 koste. Das ist ein Ideal,
an dcin jede vernüiiftige Arbeitschcitcrt. Selbstvon dcndrcißig Bciverbern
uin dio vom Magistrat ausgcschriebenen Preise, bei denen „solide Aus-
siihrung, xraklische Brauchbarkcit 11. s. w." ausdrücklich gefordert wird,
liaben wcnigstens die bjälfte nichts Bcsscrcs zu thiin gcwnßt, als sür
iiicdrigcn prcis eiue dem Anschein nach theure Linrichtung herzustellen.

Auch dies ist eine allgenieine Rrankhcit, für welche wir die ein-
zcliien Tischlcr nicht allein verantivortlich niachen köiinen.

wofllr wir sie aber verantwortlich niachen, ist die erschrcckcndc
Gedankeiilosigkeit in dcr Aiisbildung des einzcliicn Ztückcs. Wir
leben in einer Zeit, in welcher die Präzisionsmechanik als das vor-
nehniste technische Arbcitsgcbiet gcltcn niuß. tvciin es stch daruin
handclt, für die gewaltigcn ncncn Erfiiidiingcn, welche unsere Zeit
umgestaltct haben, dic Instiiimciite zn schaffcn, so miiß jeder Müli-
meter berechnct sein, iim genau das zu leistcn, was gefordcrt wird,
und der Mechaniker sctzt seiiicn -tolz darcin, bis zuin Milligramni
das Geräth mit nicht mehr Material zu belasten, als unbedingt gebraucht
wird. waruni denkt nicht auch der Tischler daran, zu allernächst ein
mal das Möbcl für dcn Gcbrauch bcrzurichten, für welchen es bc-
stimmt ist? Man mache eininal dic Stichxrobe hierauf an ciiicm Bc>
srandlhcil dcs Möbcls, dcr ganz cigcntlich mcchanisch ist, an den vor-
kehrungen zum Beffnen nnd Schlicßcn: die Schubladen und Thüreii
haben Schlösser, aber kcine Griffc. Sobald nian cine Schublade öfsnen
will, muß maii fast inimcr snchen, wo gerade der Schlüssel steckt, ihn
lierausziehen, danii wicder cinsteckcn, vorsichtig halb umdrchcii, dann
kanii niau ausziehen. Bcim Aufziehcii fällt dann der Schlüsscl niit
Vorliebe hcrunter und untcr dcn Schrauk n. s. w. Iin wirklichen
Gcbrauch wird aber der größte Theil dcr Schubladen überhauxt nicht
geschlossen, sowohl im Spcisczinimer als i»i Schlafzimmcr bleiben alle
Schlüsscl stcckcn. wirklich gcbraucht wird dcr Schliissel nur am Schrcib-
tisck lster aber müßtc man eine Oorrichtung habcn, wclche mit eiiiem
einzigen Druck alle Schlösscr odcr doch die wichtigsten öffnct, so daß
nian alsdann nur in die Aasten Istncinzugrcisen braucht. Lin Fabrikant
(paul Nciimaiin) hat solche Tische ausgeftellt, aber nian sche im übrigen
die Gedankcnlosigkcit auf dicsem Gebicte; sclbst in der Liiirichtung eincr
Aajülc aus schwankcndcm Schist könncir dic Thcilc dcs Schrcibtischcs nur
durch sechsmaligcs Abziehcn und Linsteckcii dcr Schlüsscl gcöffnet wcrden.
Wird selbst ein Griff an eincm Aasten angebracht — an dcn Schub-
ladcn des Buffets findet cr sich — so haben wir zunächst die bc-
schänicnde Beobachtung zu inachen, daß inan bci diesem Beschlage
wicder nur an die Zierform und nicht an dcn Gcbranch dcnkt, wir
habcn Bügel, in welche man nur tastend lstncingrcifcn kann nnd die
sogar an der Innenscitc mit vorsteheiiden Aringeln „vcrziert" sind.
Dic Rococomöbcl lehren nns, wie inan die Aastengriffe als feststehcnde
Bügcl gestalict, die entsprcchend der ksöhenlage dcs Aastcns von untcn
oder oben her zn greifen sind. in anderen Fällen thut cs ein Anopf;
an unseren Bcrliner Möbeln herrscht dagegen ein Griff, wclchcr in
einem Gelcnk heruiiterhängt nnd dcr mit seincn volntcn nichts ist,
als einc gedankcnlosc Ucbcrtraguiig dcs schmicdcciserucii Thürklopfers
der Renaissancc anf dicse broiizcnen Beschlägc.

wie schen scriicr dic Schlüssclschildcr aus? Das niittclaltcrlichc
Schlüsselschild hatte cine Fnhruiig aus zwei aufgelcgten Stäbcn,
zwischcn wclchen dcr Schlüsscl sclbst im Vuiikcln ohne weitcrcs in die
Beffnung gleitct. Das moderiie Schlüssclschild hat es sörmlich daraus
angelegt, das Linpasscn dcs Schlüsscls zn crschwcren; abcr dafür haben
wir an dem Schrank die dicksten Lngclsköpfe und Satyrmaskcii sechs-
mal wiedcrholt in cuivro poli, welch ein Gewinn!

waruni, fcrncr, sind dic Schlüsscl des Schrcibtischcs, dcn wir in
der Taschc zu suhrcn pstegen, so lang und so dick? Lin ganz kurzcr,
aus cincm stacheu Blcch gcschnittcncr Schlüssel amcrikanischcr Art gibt
die höchste Sicherheit.

Tin anderes, cbcnso traurigcs Aapitel ist die Ausbildung der
Lcken an unsercn Möbcln, übcrall scharfe und spitzc Aanten, welche
nns znnächst wundeu und Beulcn stoßen und schließlich beini Rcin-
machen abbrcchcn. Sclbst dic Bettpfostcn sind tticht durchwcg — noch
lange nicht zur kjälste der ausgestcllteii Stücke — wirkich rundlich ge>
bildet, und in Massc sind sie noch ,»it spitzigcn Aufsätzcn vcrzicrt, an
denen die Deckcn hängcn blcibcn und zerreißen.

Man prüfe einmal an den Schreibtischen die innereii Aanteii,
den Beinen des Sitzenden zunächst! Man prüfe die unteren Ränder
der Möbel, welche täglich mit dem Besen und der Bohnerstange in
Berührung komnicii: der Tischler sctzt an einen geschnitzten Fuß einen
„gesälligen" Ansatz zur Miterkantc hin, der zu nichts dient, als ein
unnahbares Nest von Staub nnd Schmutz sestzuhaltcn.

Solche Dinge — lediglich als Probe herausgegriffen — sind
Sünden der Gedankeiilosigkeit, welche die künstlcrischen Aufgaben gar
nicht berühren, ja nicht cininal mit dem allgemeinen Anfbau, init
der Gebrauchsform der Möbel ziisaiiimenhängen.

Gehen wir nun aber eiiicn Schritt weiter und betrachten —
auch noch ganz ohne künstlcrische nnd stilhistorische Ansprllche — die
Gebrauchsform der Möbel, so habcn wir hier Aufgaben, welche der
Tischler allein, ohne khilfe des Architekten, aus seiner Aenntniß der

Lntwiirf zu eiueni Bccher im Siil des Flindt.

2iupferstich iin Besih des Antiquariats von §- !>osentbol, München. (Aus dein 5.
des Beiblatts (8^)2 besprochenen Bosentbal schen Ratalog; auch die auf S. 78 des
letzten Beiblattes abgebildete Schale entstanunt jenein Ratalog).

täglichen Lebeusbediiignngen und sciues Matcrials heraus lösen müßtc.
Da die Lcbciisbedinguugen sich nicht so schncll ändern, so würde cine
erfrculiche Stctigkcit dem Tischler gcstattcn, die vorhaiidciicii Gruud-
sornien iu stetiger Arbeit siniircich auszubildcii. Aber wic vereiuzelt
begcgucn wir Spurcii solcher Arbcitl Nach dcr niechaiiischen Seite
hin sind sic zu vcrzcichneii bei dcn Schlafsofas, wclche eine Aette von
Möbclu darzustelleii im Standc sind odcr plötzlich iu einem Schrank
verschwiiiden. Auch die Loustruction der Ausziehtischc macht Fort-
schritte. Dagegcn mag mau suchen, ehe inau eiiien waschtisch, cin
Buffet, cincn Bücherschrauk, cinen Nähtisch findct, bci dem sich der
Tischler ernstlich bemüht hätte, eine sür den cugeii Rauni nnserer
gioßstädtischeu wohiiuiigen berechnete siiiureichc Ausiiiitziing zu findcn.
Anf jeden derartigen gnten Fall koninit ein Dutzcnd von Fällen, bei
deiien gerade das Gcgentheil stattfindct: maii vcräudcrt eine gegebeue
Gruiidform nicht nach dcr Scite dcr Aweckmäßigkeit hin, sondcrn
 
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