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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Heft 2 (Oktober 1913)
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Strobl, Karl Hans: Der Graf Lauraguais
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0367
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LLEELLLLELLLLLE! Der Graf
in Sevres rasch zu einem Namen in ganz
Paris. Der Graf war überaus glücklich.
Zu Beginn des Herbstes erhielt er einen
Brief von Madame Arnould. Man hatte
in der letzten Zeit davon gesprochen, daß
sie schwer erkrankt sei. Nun schrieb sie ihm,
er solle sie besuchen, sie fühle sich schwach
und wünsche ihn zu sehen.
„Ich fürchte, sie wird sterben," sagte
der Graf zu seinen Freunden, „denn sie
wünscht mich noch einmal zu sehen. Ich
weiß nicht, ob ich diesen Wunsch erfüllen
soll."
Er entschloß sich endlich doch dazu und
fuhr am nächsten Tag nach Vertins Land-
haus, mit vier Pferden, in einer Kutsche,
die mit schwarzen, silbergestickten Trauer-
decken behangen war. Ein Diener führte
ihn in das Krankenzimmer. Zwei Non-
nen waren da, ein Abbe betete am Fuß-
ende des Lagers. Auf den Zehenspitzen
näherte sich der Graf dem Bett. Seine
Freundin lag regungslos, mit starren
Augen. O — man hatte ihn gerufen, um
ihr die Augen zuzudrücken. Voll schmerz-
licher Bewegung streckte er die Hand aus.
Da wandte ihm die Kranke ihre Augen
zu; es war ein Lächeln in ihnen. „Noch
einen Augenblick, mein Freund," sagte sie,
„es ist noch nicht so weit."
Der Graf verneigte sich galant. „Wie
Sie wünschen."
Madame Arnould sah ihn an und
lächelte. „Ich habe Sie rufen lassen, lieber
Freund," sagte sie leise, nachdem sie den
Nonnen und dem Abbe einen Wink ge-
geben hatte, vom Bette wegzutreten, „um
Ihnen eine Bitte vorzutragen, die für Sie
auch ein guter Rat ist. Ich glaube, daß es
mit mir zu Ende geht, und bevor ich in
das Nichts eingehe, will ich Sie bitten:
Hören Sie doch endlich auf, sich lächerlich
zu machen."
„Madame," warf der Graf ein.
„Ich verzeihe Ihnen wahrhaftig, daß
Sie auf mich ein satirisches Gedicht ge-
macht haben. Es war so schlecht, daß kein
Mensch darüber zu lachen vermocht hat.
Marcel, der dieses Gedicht, wie alle Ihre
anderen auf dem Gewissen hat, taugt zum
Satiriker am allerwenigsten. Es ist nicht
das. Aber ich sterbe jetzt und ich möchte
nicht gern, daß es nach meinem Tode heißt,
ich sei so lange Zeit die Geliebte eines

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Mannes gewesen, der noch immer fort-
fährt, sich lächerlich zu machen."
„O, Madame, ich muß Sie bitten..."
„Lieber Graf, ich habe nicht viel Zeit.
Die Welt macht sich über Sie lustig. Die
Welt weiß, daß Ihr Kammerdiener Ihre
Gedichte macht."
„Das ist . . . ein Irrtum, Madame."
„Nein.. .nein! Ich weiß es doch. Und
man weiß auch, wie Sie zu Ihrer Verbren-
nungshypothese gekommen sind."
„Madame, ich schwöre Ihnen, daß ich
diese Entdeckung selbst gemacht habe."
„Ach — Sie glauben es vielleicht jetzt
schon selbst. Aber es ist nur fatal, daß Sie
mit einer Entdeckung Herumlaufen, die man
Ihnen als neu aufgebunden hat, während
sie von Herrn Lavoisier bereits vor längerer
Zeit gemacht wurde."
„Ich werde Herrn Lavoisier vor meinen
Degen fordern, wenn er mich um die
Früchte meiner Arbeit betrügen will."
„Sie würden sich nur lächerlicher machen.
Sehen Sie, das wollte ich Ihnen sagen.
Deshalb bin ich auch von Ihnen fort-
gegangen, ich selbst, wenn Sie auch be-
haupten, Sie hätten mich fortgeschickt, da-
mit nicht von Ihrer Lächerlichkeit allzuviel
auf mich übergehe. Der arme Berlin! Ich
will nicht, daß man von ihm sagt, er hätte
eine Geliebte gehabt, die durch ihren frühe-
ren Liebhaber lächerlich ist. Deshalb mußte
ich Ihnen die Augen öffnen. ... Gehen Sie
jetzt, lieber Freund, gehen Sie . . . und
senden Sie mir Berlin, wenn Sie ihn im
Vorzimmer treffen sollten."
Der Graf Lauraguais küßte die gelbliche,
magere Hand seiner einstigen Freundin und
ging. Im Vorzimmer standen Grimm,
Diderot, der Abbe Galiani und einige
andere Bekannte des Grafen um Berlin,
der ganz verzweifelt aussah. Der Graf trat
zu ihm, drückte seine Hand und gab ihm
einen Wink, daß er in das Krankenzimmer
gehen solle.
„Nun? Wie steht's?" fragte man ihn,
als Bertin weg war.
„Ach, meine Freunde," sagte der Graf
mit schwerer Stimme und tränenerfüllten
Augen, indem er sich auf Diderots Schulter
stützte, „es ist erschütternd. Ich bin ganz
gebrochen. Der arme Bertin! Sie liebt
mich noch immer. Sie kann es nicht ver-
winden, daß ich sie weggeschickt habe."
 
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