300 lELLLLLLLEELWil Karl Hans Strobl:
Morgens um vier Uhr anspannen, fuhr
nach der Wohnung der jungen Leute, rüt-
telte sie in ihrer Kammer aus dem Schlaf
und setzte sie in seinen Wagen. Dann ging
es nach dem Landgut des Grafen in Sevres,
wo man im ersten Grauen des Tages ein-
traf. Die Brüder hatten noch den Schlaf
in den Augen, als man sie in ein Garten-
häuschen mit vergitterten Fenstern brachte.
„MeineHerren," sagtederGrafzu ihnen,
„Sie lassen sich zuviel Zeit zu Ihrer Ent-
deckung. Sie arbeiten offenbar nicht mit
demjenigen Eifer, der meiner Ungeduld ent-
spricht. Ich will Ihnen zum rascheren Fort-
gang Ihrer Arbeit behilflich sein. Sie sehen
hier in diesen Räumen alles, dessen Sie
bedürfen. Sie haben hier einen Ofen, ein
Gebläse, Kohlen und Retorten, soviel Sie
wollen, man wird Sie verpflegen, man
wird Ihnen alles holen, was Sie brauchen.
Aber Sie werden diesen Raum nicht ver-
lassen, bevor Sie nicht eine interessante Ent-
deckung gemacht haben, verstehen Sie mich.
Entdecken Sie ... nun, sagen wir ... eine
Methode, die Luft flüssig zu machen."
„Das wird niemals möglich sein, Herr
Graf," antwortete der ältere Bruder.
„Nun gut, dann entdecken Sie etwas
anderes. Leben Sie wohl." —
Von Zeit zu Zeit erschien der Graf in
seinem Gartenhäuschen, um sich nach den
Aussichten auf eine Entdeckung zu erkun-
digen. Und als ihm die Gefangenen nach
Ablauf einer Woche noch kein Ergebnis
ihrer Versuche melden konnten, befahl er,
ihre täglichen Rationen auf die Hälfte
herabzusetzen. Nach einer weiteren Woche
drehte er die Schraube noch fester an und
entzog ihnen noch einmal die Hälfte der
Nahrung.
„Du wirst sehen," sagte der jüngere Bru-
der, „er läßt uns in diesem Loch noch ver-
hungern, wenn wir nicht bald etwas fin-
den." Und sie sannen und experimentierten
so eifrig, daß sie nach Verlauf weniger
Tage dem Grafen sagen lassen konnten, er
möge sie besuchen, um eine freudige Nach-
richt zu vernehmen.
Der Graf kam ganz aufgeregt in sein
Gartenhäuschen und rief gleich beim Ein-
tritt: „Nun, meine Herren, was haben wir
gefunden? Ich brenne vor Ungeduld zu
hören, welche große Entdeckung wir gemacht
haben."
Mit ernsten und feierlichen Mienen stan-
den die Brüder vor ihm, und der Ältere
sagte: „Herr Graf, ich hoffe, Sie werden
mit uns zufrieden sein. Unsere Entdeckung
ist in der Tat ganz außerordentlich. Sie
ist, man kann sagen, der Beginn einer
neuen Ära in der Erforschung der Natur.
Wir haben den Verbrennungsprozeß stu-
diert und gefunden, daß er darauf beruht,
daß sich die Körper mit dem Sauerstoff der
Luft verbinden."
„O," machte der Graf.
„Gewiß. Damit ist das Märchen von
einem besonderen Stoff der Flamme aus
der Welt geschafft. Die Theorie vom Phlo-
giston ist tot. Wollen Sie sich gefälligst
überzeugen." Und nun führten die Ent-
decker dem Grafen eine Reihe von Experi-
menten vor, die für die Richtigkeit ihrer
Hypothese unwiderlegliche Beweise er-
brachten. Nachdem der Graf so in alle
Einzelheiten eingeweiht worden war und
sich vollkommen sicher fühlte, öffnete er die
Türe des Gartenhäuschens und gab den
jungen Leuten die Freiheit.
Noch am selben Abend kam er zu Baron
Holbach mit dem Lächeln eines Siegers.
„Nun," fragte Abbe Galiani, „Sie sehen
so fröhlich aus. Wozu sollen wir Ihnen
gratulieren?"
„Sie dürfen mir in der Tat Glück wün-
schen. Ich habe nach langem Forschen und
schwerer Arbeit in meinem Laboratorium
entdeckt, daß die Dinge verbrennen, indem
sie sich mit Sauerstoff verbinden."
Die Anwesenden sahen einander an, als
wüßten sie nicht, was sie dazu sagen sollten.
Der Unglaube und das Staunen, das der
Graf auf allen Gesichtern sah, erhöhte
seinen Triumph. „Sie wußten nicht, daß
ich mich auch mit Chemie beschäftige. Mein
Gott, ich spreche von solchen Dingen nicht,
bevor ich nicht irgend etwas geleistet habe.
Ich lade Sie für morgen in mein Garten-
haus, es wird mir ein Vergnügen sein,
Ihnen die Experimente vorzuführen."
Die Abende im Gartenhaus zu Sevres
fanden nun vier- bis fünfmal in der Woche
statt. Der Graf Lauraguais lief durch die
Salons und fing sich seine Gäste ein. Man
kam nicht ungern, denn man unterhielt sich
vorzüglich und war auch mit der Küche und
den Weinen des Grafen recht zufrieden.
Und so gelangten diese „chemischenAbende"
Morgens um vier Uhr anspannen, fuhr
nach der Wohnung der jungen Leute, rüt-
telte sie in ihrer Kammer aus dem Schlaf
und setzte sie in seinen Wagen. Dann ging
es nach dem Landgut des Grafen in Sevres,
wo man im ersten Grauen des Tages ein-
traf. Die Brüder hatten noch den Schlaf
in den Augen, als man sie in ein Garten-
häuschen mit vergitterten Fenstern brachte.
„MeineHerren," sagtederGrafzu ihnen,
„Sie lassen sich zuviel Zeit zu Ihrer Ent-
deckung. Sie arbeiten offenbar nicht mit
demjenigen Eifer, der meiner Ungeduld ent-
spricht. Ich will Ihnen zum rascheren Fort-
gang Ihrer Arbeit behilflich sein. Sie sehen
hier in diesen Räumen alles, dessen Sie
bedürfen. Sie haben hier einen Ofen, ein
Gebläse, Kohlen und Retorten, soviel Sie
wollen, man wird Sie verpflegen, man
wird Ihnen alles holen, was Sie brauchen.
Aber Sie werden diesen Raum nicht ver-
lassen, bevor Sie nicht eine interessante Ent-
deckung gemacht haben, verstehen Sie mich.
Entdecken Sie ... nun, sagen wir ... eine
Methode, die Luft flüssig zu machen."
„Das wird niemals möglich sein, Herr
Graf," antwortete der ältere Bruder.
„Nun gut, dann entdecken Sie etwas
anderes. Leben Sie wohl." —
Von Zeit zu Zeit erschien der Graf in
seinem Gartenhäuschen, um sich nach den
Aussichten auf eine Entdeckung zu erkun-
digen. Und als ihm die Gefangenen nach
Ablauf einer Woche noch kein Ergebnis
ihrer Versuche melden konnten, befahl er,
ihre täglichen Rationen auf die Hälfte
herabzusetzen. Nach einer weiteren Woche
drehte er die Schraube noch fester an und
entzog ihnen noch einmal die Hälfte der
Nahrung.
„Du wirst sehen," sagte der jüngere Bru-
der, „er läßt uns in diesem Loch noch ver-
hungern, wenn wir nicht bald etwas fin-
den." Und sie sannen und experimentierten
so eifrig, daß sie nach Verlauf weniger
Tage dem Grafen sagen lassen konnten, er
möge sie besuchen, um eine freudige Nach-
richt zu vernehmen.
Der Graf kam ganz aufgeregt in sein
Gartenhäuschen und rief gleich beim Ein-
tritt: „Nun, meine Herren, was haben wir
gefunden? Ich brenne vor Ungeduld zu
hören, welche große Entdeckung wir gemacht
haben."
Mit ernsten und feierlichen Mienen stan-
den die Brüder vor ihm, und der Ältere
sagte: „Herr Graf, ich hoffe, Sie werden
mit uns zufrieden sein. Unsere Entdeckung
ist in der Tat ganz außerordentlich. Sie
ist, man kann sagen, der Beginn einer
neuen Ära in der Erforschung der Natur.
Wir haben den Verbrennungsprozeß stu-
diert und gefunden, daß er darauf beruht,
daß sich die Körper mit dem Sauerstoff der
Luft verbinden."
„O," machte der Graf.
„Gewiß. Damit ist das Märchen von
einem besonderen Stoff der Flamme aus
der Welt geschafft. Die Theorie vom Phlo-
giston ist tot. Wollen Sie sich gefälligst
überzeugen." Und nun führten die Ent-
decker dem Grafen eine Reihe von Experi-
menten vor, die für die Richtigkeit ihrer
Hypothese unwiderlegliche Beweise er-
brachten. Nachdem der Graf so in alle
Einzelheiten eingeweiht worden war und
sich vollkommen sicher fühlte, öffnete er die
Türe des Gartenhäuschens und gab den
jungen Leuten die Freiheit.
Noch am selben Abend kam er zu Baron
Holbach mit dem Lächeln eines Siegers.
„Nun," fragte Abbe Galiani, „Sie sehen
so fröhlich aus. Wozu sollen wir Ihnen
gratulieren?"
„Sie dürfen mir in der Tat Glück wün-
schen. Ich habe nach langem Forschen und
schwerer Arbeit in meinem Laboratorium
entdeckt, daß die Dinge verbrennen, indem
sie sich mit Sauerstoff verbinden."
Die Anwesenden sahen einander an, als
wüßten sie nicht, was sie dazu sagen sollten.
Der Unglaube und das Staunen, das der
Graf auf allen Gesichtern sah, erhöhte
seinen Triumph. „Sie wußten nicht, daß
ich mich auch mit Chemie beschäftige. Mein
Gott, ich spreche von solchen Dingen nicht,
bevor ich nicht irgend etwas geleistet habe.
Ich lade Sie für morgen in mein Garten-
haus, es wird mir ein Vergnügen sein,
Ihnen die Experimente vorzuführen."
Die Abende im Gartenhaus zu Sevres
fanden nun vier- bis fünfmal in der Woche
statt. Der Graf Lauraguais lief durch die
Salons und fing sich seine Gäste ein. Man
kam nicht ungern, denn man unterhielt sich
vorzüglich und war auch mit der Küche und
den Weinen des Grafen recht zufrieden.
Und so gelangten diese „chemischenAbende"