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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Heft 2 (Oktober 1913)
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Kurz, Isolde: Der strahlende Held
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0284

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Der strahlende Held
Von Isolde Kurz


einmal ein strahlender Held,
der nahm eines Tages ein klei-
nes, dunkeläugiges Mädchen auf
den Arm, küßte es und sagte:
„Das ist mein Bräutchen. Behütet mir's
gut, bis es groß ist und ich kommen kann,
es zu holen."
Des Kindes Vater war sein Duzfreund
aus Jugendtagen und die Welt, wo sie
lebten, seine Geburtsstadt, die er nach lan-
ger Abwesenheit besuchte.
Das kleine Mädchen spielte wieder mit
seiner Puppe, und niemand dachte, daß
ihm die Worte des Mannes einen tieferen
Eindruck hinterlassen hätten.
Dieser aber zog mit wenigen Begleitern
in einen unerforschten Erdteil, in ein mör-
derisches Klima hinaus. Durch tausend
Gefahren bahnte er sich den Weg, um fern
von der Zivilisation unter wilden Völker-
schaften auf jungfräulichem Boden Fuß zu
fassen, wo er kämpfte und Verträge schloß
und seinem Vaterlande neue Provinzen
gewann. Strömen und Bergen gab er die
Namen und schrieb den seinen in das Buch
der Unsterblichkeit.
Aus den Schätzen des wilden Erdteils,
den er erschlossen hatte, schickte er seiner
Geburtsstadt eine große Ausbeute an Tier-
bälgen, an Waffen und Hausgeräten und
anderen Erzeugnissen einer urtümlichen
Kunst für ihr ethnographisches Museum.
Die Sendung begleitete ein Brief an
seinen Duzfreund, der der Leiter des Mu-
seums war. Für das kleine Mädchen mit
den dunklen Augen, das er sein Bräut-
chen genannt hatte, lag ein fremdartiges
Schmuckstück bei, das Halsband einer wil-
den Königin, aus Glasperlen, Muscheln
und leuchtenden Halbedelsteinen auf wun-
dersame Weise zusammengesetzt.
Dem Kinde mußte seine Mutter die
Hand zu einem Dankbrief an den großen
Freund führen, worin es sich als sein Bräut-
chen unterschrieb.
Es brauchte fast ein Jahr, bis der Brief
durch alle Hindernisse hindurch den fernen
Helden erreichte. Dieser saß gerade um

die Weihnachtszeit, wo die Tage heiß und
die Nächte kalt waren, mit seinen Getreuen
inmitten eines unterworfenen, aber unzu-
verlässigen Stammes und konnte Tag und
Nacht die Waffe nicht von sich legen. Der
Kinderbrief mit den großen ungelenken
Buchstaben kam zu ihm wie ein himmlischer
Weihnachtsgruß. Darum taufte er einen
neu entdeckten Berg und den jungen Strom,
der ihm entstürzte, auf den Namen des
kleinen Mädchens: Perenna.
Die Kleine wuchs heran, aber sie wurde
nicht wie andere Mädchen. Wenn sie mit
ihrer Puppe spielte, so horchte sie auf die
Gespräche der Großen, in denen der Name
des Helden wieder und wiederkehrte. Dieser
Name war wie ein Keim in ihrem Herzen,
der mit ihr wuchs, von niemand gesehen
noch geahnt. Sie wußte, daß ein Berg
und ein Strom in Afrika nach ihr genannt
waren. Wie hätte sie da werden können
wie andere Mädchen?
Allein sie wußte noch mehr. Sie wußte
auch von den Taten, die ihr Held verrichtet
hatte, und die Orte, die er durchzog, mit
ihren fremdartigen Benennungen merkte
sie sich alle. Als einmal ein Besuch ihre
Mutter fragte, wo ihr großer Freund sich
zurzeit aufhielte, und diese zur Antwort
gab, er sei auf der Reise zur Küste in
Ugogo eingetroffen, hob das Kind den Kopf
von seinem Bilderbuch und sagte: „Nein,
Mama, er ist jetzt schon in Bagamoyo."
Darüber lachten alle. Als aber der Va-
ter dazukam, fand es sich, daß sein kleines
Mädchen recht hatte.
Er nahm sie nun häufig in sein Museum
mit, um ihr die ausgestopften fremden
Tiere, die Waffen, Geräte und Amulette
der wilden Völker zu zeigen und sich an
ihrer lebhaften Auffassung und dem Ernst
und Eifer ihrer Fragen zu erfreuen. Seit-
dem redete und träumte die Kleine nur noch
vom dunklen Erdteil; selbst ihre Puppen
mußten afrikanisch zurechtgemacht werden
und bekamen die Namen schwarzer Häupt-
linge und Königinnen. Und so oft ihren
Geburtstagslichtern ein neues hinzugefügt
 
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