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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Heft 4 (Dezember 1913)
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Hoffensthal, Hans von: Marion Flora [4]: Roman (Schluß)
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Müller, Fritz: Er ging aus ...
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0607

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Fritz Müller: Er ging aus ... 507

tschag, als könnte nicht einer eine dieser
Sonnenminuten still sein. Stieglitze flie-
gen daher, Bergfinken rufen — ja, und da,
da klingt hinter einem Haselbusch das Lied-
chen eines kleinen Hütbuben, der auf der
Mundharmonika spielt. Was klingt da
alles für Melodie? Zuerst ist es eine Er-
innerung an den Gottesdienst, das Halle-
luja des Organisten, und schmeckt so gar
nicht nach Weihrauchduft, sondern so nach
einem ewig ungewaschenen Bauernherzen.
Und nun klingt — ohne langen Übergang
— ein Ländler an, einer von den raschen,
süßen, zu denen in den Wirtsstuben der
Kontrabaß am besten schnurrt, das
Schwögelhölzl am hellsten schrillt — und
ist nun eine kleine Phantasie, so schwärme-
risch singt es, als bettle einer nachts vor
einer harten Tür — ach du mein lieber
Gott, so jung noch und schon verliebt.
Das macht der schwere, süße Herbst, die
weiche Luft in diesen klaren, friedlichen
Tagen, — die Sehnsucht, die aus diesem
sanften Abschiednehmenmüssen noch einmal
zag und traut alle jungen Herzen überfällt.
Horch da. Fern ganz leises Herden-
geläut. Und von einem Tal her — oder
ist es drüben am Fuß vom Schiern in Seis
— das Klingen einer vollen, schweren
Glocke.
Und wieder Ruhe.
Blauer Rauch steigt still aus einem
schwarzen Walde.
Was ist nun noch von diesem Herbst zu
sagen?
„Georg Abenthin."
„Ist er es?"
„Ja, Marion, da kommt er wirklich
daher."
Ein stattlicher Mann, der Herr Bezirks-
richter aus Lienz. Hat das römische Recht

und noch ganz andere ungefüge Dinge
hinter sich gebracht und geht jahraus, jahr-
ein die kargen zwei Urlaubswochen, die
man ihm freigibt, die Rittnerwunderwelt
auf und ab. — Und sieht nun die beiden
befreundeten Frauen, kommt nahe und
grüßt. Geht mit hinüber nach Kema-
ten , erzählt und lacht von alter Zeit und
begleitet die beiden die Höhenwiesen zurück,
— und ehe er es so recht merkt, sind sie alle
drei in Maria Himmelfahrt vor dem Haus.
„So," sagte Marion, „nun bleiben Sie
gleich auch mit uns zum Abend."
„Kann mir recht sein," meint der Georg
und geht nur noch rasch hinüber ins Wirts-
haus, um sich einen Unterschlupf zu besor-
gen für die Nacht.
„Wohl, wohl," sagt der alte Mesner,
„schlafen dürfen's alleweil."
Da nickt der Georg, leiht sich die Laute
aus und geht dem Florahause zu. Marion
steht vor der Tür. Sie sieht ihn nicht, son-
dern schaut unverwandt hinüber auf die
Berge, die anheben, tief und lohend zu
glühen.
Georg kommt hinter den Buchen hervor
und greift ganz leise zu einem kleinen Vor-
spiel in die Saiten. Da erschrickt Marion
fast und wendet sich lächelnd um. Ihre
Stimme klingt ganz bewegt: „ Ein wunder-
schöner Herbst dies Jahr —"
Georg Abenthin erwidert nicht.
Er spielt ein weiches, feines Lied und
singt dazu, während die Berge glühen.
Maria Erika kommt aus dem Haus,
sieht den Georg, sieht ihn lang, lang an
und blickt dann auf Mama. Und hört
mäuschenstill zu. Da erst bricht Georg
Abenthin ab und lächelt dem Kinde zu.
„Ein wunderschöner Herbst dies Jahr —
und da — der Frühling."

SSL


Er ging aus. . .
Er ging aus, um die Hoffnung zu finden... Er ging aus, um die Liebe zu pflücken ° ° °
Fast hat er sie schon — Es stach ihn der Dorn —
Da flog sie mit Winden Da ließ er das Bücken,
Des Frühlings davon. Und gelb ward das Korn.
Er ging aus, um die Wahrheit zu suchen...
Es windet in Eichen, es träufelt von Buchen,
Gelb wurden die Blätter und gelber:
Da fand er sich selber.
Fritz Müller
 
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