DOI article:
Hegeler, Wilhelm: Das Wittumspalais in Weimar
DOI Page / Citation link: https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0107
Mit fünfzehn Abbildungen nach teilweise farbigen, für die Monatshefte angefertigten Auf-
nahmen von Hofphotograph Louis Held in Weimar
Herzogin Anna Amalia
Ausschnitt aus einem Gemälde im Wittumspalais
ch nein, Weimar ist nicht ganz
. das poetische Idyll, als welches
so manche großstadtmüde Phan-
tasie es sich träumt. Ich erinnere
mich noch,wie im vorigen Winter eine Dame
es mir schilderte. Ich hatte sie zum Tanz
aufgefordert. Sie aber sagte — mit so spitz-
bübischem Lächeln, daß ich nicht wußte,
sollteich beleidigt oder geschmeichelt sein —:
„Wollen wir
nicht lieber plau-
dern?" Und auf
dem lustigen
Rauchgewölk ih-
rer Zigarette
malte sie die
Dichterstadt, wie
sie sie sich dachte.
Flachgiebelige
Biedermeierhäu-
ser in freund-
lichem Ockerton,
mit Gärten da-
vor voller Maß-
liebchen, Lilien
undJmmergrün,
und darin junge
Mädchen und
Frauen, die mit
verteilten Nollen
bald Iphigenie,
bald Dasso lesen.
Daneben ein
Viergärtlein,wo
die Spießbürger
beim Qualm der
langen Pfeifen statt Skat Dichterquartett
spielen. Ein schauderhaftes Pflaster, so
daß man vom Rasseln der Wagen taub
würde, — wenn Wagen rasselten. Aber
nur eine einsame Droschke rumpelt vorbei,
deren Kutscher dem Fremden die Sehens-
würdigkeiten in fünffüßigen Jamben er-
klärt. Und auf der Schillerstraße viel
freundliche, weißbärtige Herren: Goethe-
_und Schillerphi-
lologen, die sich
ohne Ausnahme
mit der Heraus-
gabe der Liebes-
briefe des einen
und mit der Zu-
sammenstellung
der Sinnsprüche
des anderen be-
schäftigen. Und
die alten Da-
men, deren es
ebenfalls nicht
wenige gibt, lau-
ter Exzellenzen,
die zu Haus eine
Kaffeetasse oder
ein Stühlchen
haben, das nach-
weislich einmal
einem der Dich-
terheroen zum
Gebrauch ge-
dient hat. Was
diese alten Ex-
zellenzen dann
Velhagen L Klasings Monatshefte, xxvm. Iahrg. 1913/1914. I. Bd.
6
nahmen von Hofphotograph Louis Held in Weimar
Herzogin Anna Amalia
Ausschnitt aus einem Gemälde im Wittumspalais
ch nein, Weimar ist nicht ganz
. das poetische Idyll, als welches
so manche großstadtmüde Phan-
tasie es sich träumt. Ich erinnere
mich noch,wie im vorigen Winter eine Dame
es mir schilderte. Ich hatte sie zum Tanz
aufgefordert. Sie aber sagte — mit so spitz-
bübischem Lächeln, daß ich nicht wußte,
sollteich beleidigt oder geschmeichelt sein —:
„Wollen wir
nicht lieber plau-
dern?" Und auf
dem lustigen
Rauchgewölk ih-
rer Zigarette
malte sie die
Dichterstadt, wie
sie sie sich dachte.
Flachgiebelige
Biedermeierhäu-
ser in freund-
lichem Ockerton,
mit Gärten da-
vor voller Maß-
liebchen, Lilien
undJmmergrün,
und darin junge
Mädchen und
Frauen, die mit
verteilten Nollen
bald Iphigenie,
bald Dasso lesen.
Daneben ein
Viergärtlein,wo
die Spießbürger
beim Qualm der
langen Pfeifen statt Skat Dichterquartett
spielen. Ein schauderhaftes Pflaster, so
daß man vom Rasseln der Wagen taub
würde, — wenn Wagen rasselten. Aber
nur eine einsame Droschke rumpelt vorbei,
deren Kutscher dem Fremden die Sehens-
würdigkeiten in fünffüßigen Jamben er-
klärt. Und auf der Schillerstraße viel
freundliche, weißbärtige Herren: Goethe-
_und Schillerphi-
lologen, die sich
ohne Ausnahme
mit der Heraus-
gabe der Liebes-
briefe des einen
und mit der Zu-
sammenstellung
der Sinnsprüche
des anderen be-
schäftigen. Und
die alten Da-
men, deren es
ebenfalls nicht
wenige gibt, lau-
ter Exzellenzen,
die zu Haus eine
Kaffeetasse oder
ein Stühlchen
haben, das nach-
weislich einmal
einem der Dich-
terheroen zum
Gebrauch ge-
dient hat. Was
diese alten Ex-
zellenzen dann
Velhagen L Klasings Monatshefte, xxvm. Iahrg. 1913/1914. I. Bd.
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