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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Heft 3 (November 1913)
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Neues vom Büchertisch
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Schaffner, Jakob: Verdruß
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0568

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474 Jakob Schaffner:

ein gerade heiratsfähiger Rechtsanwalt, der
einen „ganzen Kerl" zur Frau haben möchte,
verliebt sich sofort in die mutige Retterin.
Er hat auch wirklich das Glück, die Braut
heimzuführen, aber in der Ehe gibt es bald
allerlei Enttäuschungen. Weil sie einmal
einen unglückseligen Buben aus der Ostsee
gefischt hat, wird an die junge Frau der
Anspruch gestellt, gleichsam als eine Art Hohe-
priesterin aller weiblichen Vollkommenheiten
durchs Leben zu schreiten, und wenn sie sich
an dem alltäglichen Kleinkram wundscheuert,
heißt es stets: Aber ich bitte dich . .. eine
Frau wie du! Doch der große Mut des
Augenblicks bedeutet hier wenig, auf den
kleinen Mut für den Alltag kommt es an.
Und unter der „Furchtbarkeit des Kleinen"
erliegt die Heldin fast. Sie empfindet „die
zerstörerische Gewalt, die in einem Dienst-
botenärger verborgen sein kann", den ver-
heerenden Lawinencharakter kleiner Mißver-
ständnisse, das Demütigende heimlicher Geld-
sorgen; ihr Leben will in Kleinigkeiten zer-
brechen, dasselbe rasche Temperament, das
sie zu kühnen und großen Taten hinriß, reißt
sie auch zu Unbesonnenheiten hin, kurz, es
kriselt in der Ehe ganz bedenklich. Mit Hurra
und Neigung zur Gartenlaube wird zum
Schluffe dies und anderes wieder ins rechte
Geleise gebracht — wie es in guter Unter-
haltungsliteratur eben zu geschehen pflegt.
Auf dem gleichen Niveau stehen auch die Ge-
stalten, aber mit Ausbuchtungen nach oben
und unten. Wenn der Gymnasialprofessor,
der erschüttert die Dankrede an die Retterin
seines Kindes hält, sich nachher kränkt, weil er
dreimal kurz hintereinander das unregel-
mäßige Verbum,dürfen^ im Inäieatik imparkait
benutzte, so ist der Stift der sonst so gescheiten
Erzählerin satirisch ausgerutscht. Doch dieser
Karikatur hält auch wieder eine solche Voll-
gestalt wie Frau La Motte die Wage. Das
Wichtigste aber ist, daß viel kluge Lebens-
beobachtung und reife Erfahrung sich immer

Verdruß
wieder zu knappen Sentenzen verdichten.
Ich könnte mir denken, daß viele Ehe-
männer diesen Roman schon allein wegen
seiner treffenden Bemerkungen und seiner
praktischen Weisheit ihren Frauen mit-
nehmen: Lies einmal und lerne! Man soll
auch das nicht unterschätzen.
Der andere Roman, „Die tolle Her-
zogin" von Nanny Lambrecht (Berlin,
E. Fleische! L Co.), behandelt das Schicksal
der Jakobe von Baden, die den letzten
„Schwanenritter", den Erbprinzen von Jülich
und Cleve, heiratet, im päpstlichen, spani-
schen und kaiserlichen Sinne den Ketzern am
Niederrhein den Garaus machen soll, aber
im Kampfe der Parteien zugrunde geht
und elendiglich umkommt. Ich weiß nicht,
wieviel dabei Historie und wieviel Phantasie
ist. Das Buch beginnt zuckend lebendig —
etwa wie einer der historischen Romane von
der Handel-Mazzetti —, aber artet bald in
Manier, Unklarheit und weiblicher Über-
hitzung aus. Da es das erste ist, was ich
von Nanny Lambrecht lese, möchte ich ein
allgemeines Urteil noch vermeiden. Doch in
der „Tollen Herzogin" wird ein großer Auf-
wand von Begabung am Ende nutzlos ver-
tan, und es sollte mich nicht wundern, wenn
das überhaupt der Fall dieser Erzählerin
wäre. Sie ist wohl nicht weit von Joseph
Lauff zu Hause, sie scheint ähnlich zwischen
Sinnenbrunst und Seelenfrieden zu schwan-
ken und ein zu Effekt und Unruhe gestachel-
tes Talent zu betätigen — ein Talent, das
sich durch Mangel an Nüchternheit und Aus-
geglichenheit jede tiefere Wirkung unterbin-
det. Ein Kunstwerk soll nach Nietzsches be-
rühmtem Vergleich so ruhig daliegen wie die
Kuh auf der Weide. Es soll aber nicht in
so verrückten Sprüngen Herumrasen, wie ein
von Bremsen gemarterter Gaul. Aufgeregt-
heit und Leidenschaft sind nicht dasselbe,
wenn sie von unseren schriftstellernden Damen
auch allzu leicht verwechselt werden.

Verdruß
Es donnern leis und dröhnen dumpf
Die Hufe und die Räder;
Vom Silberhelm des Generals
Weht wild die blaue Feder.
Es leuchtet bang die Straßen vor
Der Mond den langen Zügen.
Durch deinen Baum vorn: Fenster stößt
Der Sturm in barschen Flügen.

Du hast den Laden zugetan;
Das ist mir recht verdrießlich.
Nun sinn' ich hin und sinne her
Und nichts ist mir ersprießlich.
Ich spüre in die Nacht hinaus,
Wo Horizonte blühen,
Und sehe des Gewitters Train
Her durch die Ebne ziehen.
Ich wollt' es führ' ein Blitz herab
Aus jenem goldnen Wetter
Und zündete dein Häuschen an,
Und ich, ich wär' dein Retter.
Jakob Schaffner
 
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