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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Heft 4 (Dezember 1913)
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Neues vom Büchertisch
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0744

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K Neues vom Büchertisch G
Von Sarl Buffo
Rudolf Hans Bartsch, Die Geschichte von der Hannerl und ihren Liebhabern
(Leipzig, L. Staackmann) — Walter von Molo, Im Titanenkampf (Berlin,
Schuster L Löffler) — Emil Ertl, Der Neuhäuselhof (Leipzig, L. Staackmann) —
Hertha Koenig, Emilie Reinbeck (Berlin, S. Fischer) — Rudolph Stratz,
Stark wie die Mark (Stuttgart, I. G. Cottasche Buchhandlung Nachf) — Ewald
Gerhard Seeliger, Peter Voß der Millionendieb (Berlin, Ullstein L Co.)

MUWLMN«

. Und Friede auf Erden und den
Menschen ein Wohlgefallen."
Die alte, unausgesungene Erlösungsbot-
schaft. Es weihnachtet wieder im Lande.
„Allüberall auf den Tannenspitzen sah ich
goldene Lichtlein sitzen." Schöner als je singt
das Heimchen am Herde. Der hartherzigste
Sünder geht in sich und wird weich wie der
Geizhals Scrooge oder der Fabrikant Tackle-
ton in den Weihnachtsgeschichten des alten,
lieben Dickens. Der Wolf liegt friedlich neben
dem Lamm. Es lüftet sich ein Wolkenzipfel
überm Paradiese.
In solchen Zeiten nörgelt man nicht gern,
und wenn einer Kritiker ist, so stellt er den
Spieß am liebsten bis Neujahr in die Ecke.
Er möchte den Frieden nicht stören. Er
möchte keinem die Freude verderben. Er
möchte — bis auf weiteres — mit allen Dich-
tern Bruderküsse tauschen und aus seinem
Sack nur milde Gaben ziehen:
„Denn Äpfel, Nuß und Mandelkern
Fressen fromme Kinder gern."
Der gute Vorsatz ist also da. Milde soll in
weihnachtlicher Schonzeit aus dieser Feder
träufeln. Mir schwant dumpf, sie wird im
ganzen und im einzelnen sehr nötig sein.
So will ich immer an das Fest der Liebe
denken und mir bei jedem Buche leise vor-
sagen: Selig sind die Sanftmütigen!
Rudolf Hans Bartsch soll heute der
Reigenführer sein, denn er ist seiner ganzen
Natur nach einer der festlichsten Erzähler
— immer noch der selige Musikant, der heim-
liche Lyriker, der Grazer Lichtschwelg, der
schwärmerische Genießer von früher. Sein
frommes und frohes Herz ist voll Ehrfurcht
und Heiterkeit. Seine Bücher sind voll von
inbrünstigen Liebeserklärungen an die ver-
schiedensten guten Dinge. Mit überströmen-
der Zärtlichkeit spricht er nach wie vor von
alten schönen baumdurchrauschten Städten.
Als er in Wien wohnte, hat er in Heimweh
das grüne, naturbeseelte Graz gepriesen; seit
er in Graz wohnt, singt er Hymnen auf das
einzige Wien. Und immer ist eine heimliche,
ihn heftig stachelnde Angst in seiner Liebe,
die Angst, daß die grausame Erwerbsgier
der Gegenwart bald der „herrlich unnützen"
Schönheit, die ihm das ganze Herz erfüllt,
den Garaus machen wird. Vor den stillen
Winkeln, den schweigenden Palästen, den
alten Gärten Wiens fragt er sich leise: Wie

lange noch? Er kann nur anbeten und ver-
ehren, wo er Tradition sieht; sein Kultur-
gefühl ist so mächtig, daß ein schöner, stiller
Park noch stärker zu ihm redet, als der freie
Wald ; er ist im Herzen durchaus der Ro-
mantiker, dem vor der Zukunft graut, weil
er den Untergang alles dessen, was er liebt,
voraussieht. Spätere Geschlechter, sagt er,
werden uns einst beneiden. Und er kommt
sich im stillen wie ein letzter vor, wie der
Verkünder einer unrettbar versinkenden Welt,
die noch einmal vor dem Untergang einen
Dichter berauscht. Deshalb fühlt er sich so sehr
mit Mozart verwandt, dessen Süße um so
süßer ist, weil ein leises Abschiedsweh, ein
bittres Ahnen, ein Grollen naher Umwäl-
zungen schon von fern in den heiteren Tag
hineintönt. Deshalb genießt er alle Schön-
heit mit so namenloser Inbrunst und genießt
mit jeder dies wehe Angstgefühl mit „wie
ein liebes Gift, das, dem Vittermandel-
geschmacke gleich, unter viel Süßigkeit eine
seltsame Mahnung versteckt". Deshalb hat
er soviel „bittersüße Liebesgeschichten" ge-
schrieben und jetzt als neueste die bittersüße
„Geschichte von der Hannerl und
ihren Liebhabern" (Leipzig, L. Staack-
mann).
Als Kunstwerk und als Dichtung steht
dieses Buch gewiß nicht auf jener Höhe, die
Rudolf Hans Bartsch in seinen besten früheren
Werken erreicht hat. Aber es wäre möglich,
daß heißes und trauriges Erleben hier (wohl
leider zu früh) einen Notweg gesucht hat,
und es ist zweifellos, daß die eigentliche Ro-
mantikernatur dieses Dichters noch niemals
so deutlich sichtbar ward. Bisher war nur
seine Darstellungsart lyrisch-romantisch.
Jetzt aber beginnt er, wie wir noch hören
werden, mit der romantischen Weltan-
schauung zu liebäugeln.
Seine Hannerl — das ist eine neue
Abwandlung des süßen Wiener Mädels. Es
geht diesmal weniger ins Blonde, Füllige
und Sentimentale, als ins Schlanke, Bräun-
liche, Herbe. Im übrigen das Blümchen
vom Wegrand, in Wiener-Neustadt unter
Blumen aufgewachsen; ein Geschöpfchen, das
wie ein leichter, schöner Schmetterling in der
Sonne gaukeln will; undenkbar als Frau
und Mutter, aber die geborene Geliebte.
Amoralisch wie ein junges, schönes Tier, nach
eigenen Worten nicht ganz echt im Metall,
 
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