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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Münzer, Kurt: Die Kurkapelle
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Hesse, Hermann: Ohne dich
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0131

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WSLLLELLLLEELES Hermann Hesse: Ohne dich 99

Mann wird bescheiden verletzt, eine Kuh er-
säuft oder ein Schwein erstickt. Und dann
gibt es einen Wohltätigkeitsabend, ein Kon-
zert im Kurhaus, das der Kapellmeister
arrangiert. Um den Erfolg zu sichern, muß
alle Neugierde uud Klatschlust des Publikums
angestachelt werden. Und zu diesem Zwecke
wählt der Künstler aus der Gesellschaft zwei
Damen, eine, die spielt, und eine, die singt.
Zwei Damen aus der Provinz, die mit ihrem
musikalischen Talent daheim der Stolz der
Familie und die lärmendste Unruhe im Hause
sind. Nun treten sie hier öffentlich auf!
Sie fiebern acht Tage lang, probieren alle
Kleider und Bänder, die eine übt acht Stunden
täglich die Lisztsche Rhapsodie, die andere
singt ebensolange den „Asra". Und schließlich
ist der Abend da. Alles stürmt in den Saal,
um die Damen gönnerisch zu beklatschen.
Aber der Kapellmeister spielt Klavier, er
wandelt als „Franziskus auf den Wellen"
über die Tasten, daß es dröhnt. Dann kommt
der sanftere Schumann. Der Konzertmeister
spielt einige Airs und gibt Sarasates zu,
begleitet von seinem Kapellmeister, der auch
den „Asra" feinfühlig akkompagniert. Eine
Dame rezitiert noch, und dann bekommen
alle Blumen. Er, Rudolf, der Kapellmeister,
einen Lorbeerkranz!
Und noch einmal erhält er einen, an
seinem Benefiz. Das ist am Ende des

August, gerade wenn das Publikum sich zu
verlieren beginnt. Das sind jene wehmütigen
Abende — wer kennt sie nicht? — wo in
allen Kurgärten aller Welt plötzlich Melan-
cholie erwacht. Es ist Abend, die Laternen
geben milden Schein, viele Leute sitzen da,
stumm, oder sie schlürfen etwas Süßes oder
reden leise — und da kommt ein Moment:
die Musik spielt ein unbekanntes Stück,
alle schweigen auf einmal, die Laternen
flackern, eine Lokomotive pfeift fern, fern, und
eine Traurigkeit ist unversehens da, daß
alle Herzen erschauern. Da gellt eine Auto-
hupe grell und durchdringend in diese keusche
Stunde hinein. Und alle, alle, die Törichten
und Flachen auch, empfinden da plötzlich
die Nacht, die Stille, den ungeheuren Raum
der Welt, das Geheimnis des Lebens,
die Ewigkeit, den Schauer der eigenen
kleinen Existenz, die so verloren im Unend-
lichen ist.
In dieser Stunde ist der Herbst erwacht...
Und drei Wochen später ist das Bad still, die
Alleen sind verödet, das Brunnenhäuschen ist
leer. Im Musikpavillon stehen Stühle und Pulte
übereinander, kein Choral, kein Walzer tönt
mehr heraus. Das Häuflein Menschen ist zer-
stoben, mit ihm Sehnsucht, Liebe, Traum,
und in andere, winterliche Kapellen zerstreut,
singen die billigen Instrumente die Arien
der Toska und Margarete.


7*

Ohne dlch
Mein Kissen schaut mich an zur Nacht
Leer wie ein Totenstein;
So bitter hatt' ich's nie gedacht,
Allein zu sein.
Allein und nicht in deinem Haar gebettet sein!
Ich lieg' allein im stillen Haus,
Die Ampel ausgetan.
Und strecke sacht' die Hände aus,
Die deinen zu umfahn,
Und dränge leis den heißen Mund
Nach dir und küss' mich matt und wund,
Und plötzlich bin ich aufgewacht,
Und ringsum schweigt die kalte Nacht,
Der Stern im Fenster schimmert klar —
O du, wo ist dein blondes Haar,
Wo ist dein süßer Mund?
Nun trink' ich Weh in jeder Lust
Und Gift in jedem Wein;
So bitter halt' ich's nie gewußt,
Allein zu sein.
Allein und ohne dich zu sein!
Hermann Hesse
 
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