Velhagen & Klasings Monatshefte (Band 28, 1.1913/1914)

; Getötete Amazone. Figur aus dem Weihgeschenk des Königs Attalos I. von Pergamon auf die ;
! Akropolis von Athen. (Im Museo Nazionale zu Neapel) ;



Die Amazonen. Von Alfred Semerau


then war schon lange verfallen und
von seiner ehemaligen politischen
Machtstellung war ihm nichts
mehr geblieben, aber noch immer
war es die Stätte alter Kultur,

noch immer der Mittelpunkt und Sitz der
hellenischen Bildung. Als solchen ehrte man
es, und immer wieder bedachten es Kaiser
und Fürsten mit kostbaren Geschenken, die die
Verdienste der Stadt um Kunst und Wissen-
schaft anerkannten. Zu den wahrhaft könig-
lichen Gaben zählen auch die beiden monu-
mentalen Darstellungen der attischen Ama-
zonensage, die der König von Pergamon und
der Kaiser Hadrian stifteten. Wenn man von
dem durch Hadrians Künstler geschaffenen
Werk nichts mehr weiß, so haben wir von
der Gabe des Attalos eine Kunde und, was
mehr, eine Statue, die im Museum von Neapel
steht. Als Attalos den Sieg über die Gal-
lier erfochten hatte, weihte er an der südlichen
Mauer Athens, wie Pausanias erzählt, den
sogenannten Krieg der Giganten, die Ama-
zo'nenschlacht der Athener, die Tat bei Ma-
rathon gegen die Meder und die Vernichtung
der Gallier in Mysien. Von der Amazonen-
schlacht ist uns eine Statue erhalten: an
der rechten Brust zu Tode getroffen, liegt
auf Felsboden rücklings eine Amazone, mit
leicht nach links gewandtem Haupt, mit fast
geschlossenen Augen, mit offnen, schlaffen Lip-
pen. Es zuckt noch wie von letztem Kampf
und Schmerz über die Glieder. Die Waffen
sind den Händen entfallen, zwei Speere, einer
zerbrochen, liegen am Boden. Es ist eine ju-
gendschlanke, kräftige Gestalt, mit dem kurzen
Chiton bekleidet, das Haar wallt reich um
das Haupt, die rechte Brust liegt in typischer
Weise offen. Sie ist nach tapferem Kampf
gefallen, über ihr liegt die Ruhe des Todes.
Mit Vorliebe nahmen die großen Künstler
des Altertums die Amazonensage zum künst-
lerischen Vorwurf. Malerei und Skulptur

bemächtigten sich ihrer in gleicher Weise, und
zu den populärsten Monumenten Athens ge-
hörten Mikons Gemälde in der Stoa poikile
und Phidias' Relief am Schild der Athena
Parthenos. Auf diese beiden großen Werke
gehen die Nachahmungen der späteren Zeiten
zurück. Alles, was wir in den rot- und
schwarzfigurigen Vasenbildern, Terrakotta-
reliefs, Lampen, Sarkophagen, Gemmen fin-
den, gründet sich auf die Darstellungen durch
den großen Maler und den großen Bild-
hauer. Die Sagen von den kriegerischen
Heldinnen gaben Phidias Anlaß zu mannig-
fachen Verkörperungen: so sah man im Hei-
ligtum der Artemis zu Ephesus eine Ama-
zonenstatue von ihm, am Thron des olym-
pischen Zeus verherrlichte er nicht nur den
Kampf des Herakles und seiner Schar in
einer figurenreichen Reihe von Randwerken,
sondern er gab auch dem Reliefbild der
Schlacht in Athen den Platz, wo es jedem
dem höchsten Gott sich Nahenden in die
Augen fiel. Am berühmtesten aber und am
meisten nachgeahmt ward die Darstellung
der Schlacht auf dem Schild der Athene,
auf dem er sich als kahlköpfigen Alten, der
mit beiden Händen einen Stein hebt, und
Perikles, der gegen eine Amazone kämpft,
darstellte. Unter allen mythischen Kämpfen
bewahren die gegen die Amazonen die reichste
künstlerische Tradition, wie sie auch auf die
älteste griechische Dichtung zurückgehen und
dann überall, bei Rednern und Dichtern,
Geschichtsschreibern und Geographen, in mehr
oder minder genauer Schilderung sich finden.
Die glanzvollsten Namen der alten Sage
sind mit ihnen verknüpft: die Amazonen-
königin Penthesilea kommt Troja zu Hilfe
und stirbt in Achills Armen; Priamos be-
kämpft Amazonen in seiner Jugend am
Sangarios als Bundesgenosse der phrygi-
schen Könige; Herakles zieht an den Ther-
modon nach Themiskyra, um der Amazonen-