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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Heft 4 (Dezember 1913)
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Heyck, Eduard: Des Meeres und der Liebe Wellen
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Starken, Hans Caspar: Tritt ein
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0689

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H- C. Starken: Tritt ein ÜWLLL

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577

der Taufe. Das zurückgewiesene liebeskranke
Mädchen verweigert ihrerseits den Vorschlag
des standhaften Jünglings, daß sie Christin
werde, worauf er sie dann lieber heiraten
will, und sie ertränkt sich im tiefen, tiefen
Meer. In der schrecklichsten Verbesserung
dieser Versionen ist das Ende tatsächlich all-
gemeines Wohlgefallen und Christenhochzeit.
So münden unsere alten heidnischen Fäden
durch die Wirrsale der Volksbearbeitung hin-
durch hier gänzlich in die Kleingeisterliteratur.
Das Lied von der schönen Jüdin, das in
einigen Versionen helldunkel-schön ist, zusam-
men mit einer prächtigen Melodie, wird im
XVI. Jahrhundert niederländisch erwähnt —
,het was een JodendochteV —, und dortzu-
lande würde man die Entstehung ohnedies
am ehesten suchen. Die gleichzeitige Berüh-
rung des Hans Sachs mit den Königs-
kindern habe ich schon erwähnt. Demnach
waren sie damals auch schon im fränkischen
Gebiet bekannt, während sie sonst wesentlich
niederdeutsch verbreitet erscheinen. Die äl-
teste deutliche Spur, wohin wir sie ver-
folgen können, führt nun ebenfalls in die
Niederlande, zu einer Dichtung des hol-
ländischen Edelmannes und Baljuw des Haag,
Dirk Potter van Loo, von 1409. Diese Er-
zählung beruht auf Ovid und sonstigem an-
tikem Wissen, aber sie klingt überraschend
zugleich an die Volksfassung an. Sie geht
erstlich mit dieser Hand in Hand im Takt
des Nichtmotivierens. Sie hat ferner die
Figur der Amme, als Begleitung des Mäd-
chens an den Strand. Daß zwei Liebende
heimlich zusammenkommen, ist dem Volks-
lied naiv natürlich, aber ebenso hält es ohne
Zweifel und Überlegung die gute Sitte inne,
daß eine Juncfrouwe nicht allein spazieren
geht. Drum immer die Amme, die Hof-
damen, das Schwesterlein, der kleine Bru-
der, das Kopfschütteln auch der Mutter der
schönen Jüdin, daß diese allein gehen will.
Selbst in der Schweizer Fassung von den
zweu Liebi heißt es, sehr geschickt Personen
sparend: „Nimm du der alti Schiffmann,
Derselbig chaust de mit loh" (kannst du mit-
lassen). Er fischt dann zugleich den toten

Geliebten. — Doch nun die Hauptsache: Le-
ander und seine „Adonis", wie Hero bei
Potter sonderbarerweise heißt, sind Anno
1409 hier zwei Königskinder!
Aber Potter hat das nicht erdacht. Sie waren
in seinem Gesichtskreis vorhanden; davon
überzeugt die „innere" Kritik. Er kombiniert
sein gelehrtes Wissen mit seiner lebendigen
Kenntnis des erzählenden Volksliedes, was
er auch anderweit getan hat, und er tut es
mit erfreulich feiner Wahl, die ihn als ge-
schmackvoll uno mehr, als einen der besten
altniederländischen Dichter erweist. —
Der Hellespont, welcher Volkslied und
Kunstdichtung voneinander scheidet, ist im
allgemeinen gefahrenvoll, und unser suchen-
des Nachdringen überbrückt ihn im seltenen
Fall mit wirklich zuverlässiger Erkenntnis.
Wir stehen auch hier am letzten Erreichten:
vor Potter war die Volksballade schon da,
und sie mag denn wohl im Ursprung in die
Kreuzfahrerzeit hinaufreichen, wo wir ein
lesegebildetes mittelhochdeutsches Gedicht fest-
stellen konnten, das Kenntnisse über Ovid
hinweg besitzt. Kein Volkslied entsteht aber
ohne seinen ersten Dichter, der es formt. Ihn
vermögen wir hier nicht zu nennen. Nur sein
namenlos und Volkseigentum gewordenes
Werk kommt durch Potter und abermals
durch Hans Sachs noch wieder mit der
Kunstdichtung in Kontakt. Häufiger geschehen
solche Kombinationen aus Gelesenem und
Gehörtem sonst nur in der örtlichen Er-
zählung. So gibt es am Chiemsee mit den
beiden Jnselklöstern und ferner vom Kloster
am Traunsee sogenannte Sagen unbestimm-
baren Alters von einem liebenden und er-
trinkenden mönchischen Schwimmer, die auch
auf die doppelte Herkunftslinie weisen. Da-
mit wird uns dies oder Potters Verfahren
wie ein Sinnbild: daß trotz allem, was
Kunstpoesie und Volkslied an Art und Qua-
litäten trennt, Fühlungen verbleiben; deren
selten nachweisbare Vermittler sind die leben-
digen Menschen, der Teil der Leser und Hörer,
zu denen beide, Volkslied und Kunstpoesie,
gelangen. Sie wirken dann zur Fortdauer
dessen, was ihnen in beiden schön ist, weiter.

Tritt ein
8 8 Mir ist, als fände ich in allen Rahmen 8 8
2 8 Dein liebes Bild; 8 2
? tzg ° Mir ist, als ob der schönste aller Namen 8 «g 8
8 W ° Agein dir gilt, 8 W °
8 8 Mir ist, als ob die schönste Blume 2 8
8 8 Nur dir gehört, 8 8
8 8 Als ob in meines Herzens Heiligtums 8 8
8 8 Allein dein Schritt nicht stört. — 2 8
8 W 8 Tritt ein: Weit offen stehen dir die Türen. TW?
- 8 Ich bitte dich: tritt ein! 8 8
8 8 Ich möchte alle Seligkeit des Worts verspüren: 8 8
8 8 „Sieh, ich bin dein!" 8 8
° ° H. C. Starken 8 8
o o o o
Velhagen L Klasings Monatshefte, xxviii. Jahrg. 1913/1914. i. Bd. 37
 
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