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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Heft 4 (Dezember 1913)
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Leiningen-Westerburg, Josephine zu: Allerlei aus Altmünchen: Erinnerungen
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Leiningen-Westerburg, Josephine zu: Allerlei aus Altmünchen: Erinnerungen
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VomSchreibtisch und aus dem Melier
Allerlei aus Altmünchen
Erinnerungen von Josefine, Gräfin zu Leiningen-Westerburg, geb. von Spruner

bin neunundsiebzig Jahre alt und
lebe mehr in der Vergangenheit
als in der Gegenwart. Was gestern
oder vor einem Jahre geschehen
ist, vergesse ich bald. Mir geht es
wie anderen Menschen auch: das Wesent-
liche meines Daseins hat sich in den Zeiten
ereignet, da ich jung und empfänglich war.
Was nun geschieht, berührt mich kaum. Es
ist farblos, verglichen mit dem, was meine
ungetrübten Augen nicht gesehen haben.
Mein Vater, der bekannte Kartograph
und Historiker Generalleutnant von Spruner,
war Generaladjutant dreier bayrischer Kö-
nige: Ludwigs!., Maximilians und Lud-
wigs II. So hatte ich Gelegenheit, vieles zu
sehen und zu hören, was anderen entgehen
mußte, weil sie den Menschen und Ereig-
nissen dieses langen Zeitraums bayrischer
Geschichte nicht so nahestanden wie ich. In
bunter Folge will ich jetzt dies und jenes
aus dem Schatzkästlein meiner Erinnerungen
hervorholen. Wenn ich weitschweifig werde
oder bei Unbedeutendem allzulange verweile,
halte der Leser diesen Fehler meinem Alter
zugute. Das Alter wiederholt ja so gern.
Mein Vater war, schon von der Schule
her, mit dem ebenso hochverehrten wie leiden-
schaftlich angefochtenen Stiftspropst Döllin-
ger aufs innigste befreundet. Eines Tages
kam der Onkel, wie wir ihn nannten, recht
verdrießlich zu uns und gewann erst nach
und nach seinen trockenen Humor wieder.
König Ludwig II., der bekanntlich die Nacht
zum Tage machte, hatte sich an einer der
Akademiereden Döllingers begeistert und be-
fohlen, dem Herrn Stiftspropst zum Dank
sofort einen schönen Blumenstrauß zu bringen.
Döllinger aber pflegte gleich seiner höchst
kanonischen Haushälterin Ursula Schlag
zehn Uhr sich zur Ruhe zu begeben. Da
hatte es nun um eins oder zwei in der
Nacht geschellt. Die Urschel muß sich unter
Schelten notdürftig anziehen, entreißt dem
Lakaien durch die halbgeöffnete Haustür den
Strauß, schlägt sie ihm mit Nachdruck vor
der Nase wieder zu, rennt ins Schlafgemach
ihres Herrn, wirft ihm die Blumen aufs
Bett und zieht sich dann unter währendem
Brummen in ihre Kemenate zurück. Dieser
Vorfall hatte sich wiederholt, und die Urschel
erklärte ihrem Herrn, über den sie kräftig
den Pantoffel schwang, sie müsse in ihrem
Alter eine ungestörte Nachtruhe haben, und
er solle das Schreiben lassen, damit der
nächtliche Blumenregen seine Endschaft be-
komme. „Was tue ich nun?" seufzte Döl-
linger kläglich und ging erst getröstet heim,

als ihm mein Vater versprach, gelegentlich
beim König dahin zu wirken, daß er nur
des Tages an seinen geistlichen Freund Blu-
men der Verehrung schicke. Döllinger war
ein ungewöhnlich häßlicher Mensch mit un-
geheurer Rüsselnase und ganz kleinen Äug-
lein. Als seine mürrische Urschel starb, fühlte
er, der mit seiner Energie eine Welt in Be-
wegung gesetzt hatte, sich haltlos wie ein
verlassenes Kind und folgte ihr bald im
Tode nach.
Gleich Döllinger war auch Lachner, der
Komponist der „Katarina Cornaro", ein
Schulfreund meines Vaters. Vor seiner
Kunst gewann ich gewaltigen Respekt, als
ich eines Abends mit ihm und der berühm-
ten Mallinger im Theater saß. Die Sängerin
sagte zu Lachner: „Ich möchte gern eine
neue, schöne Rolle studieren. Raten Sie mir
doch zu einer." Darauf er: „Ei, lernen Sie
meine Catarina Cornaro." Aber ganz er-
schrocken rief sie: „Die habe ich mir schon
angesehen! Die ist mir zu schwer!" Von
dem Tage an betrachtete ich Onkel Lachner
mit großer Ehrfurcht. Was mußte er für
ein Mann sein, wenn er Noten schrieb, die
für die Mallinger zu schwer waren!
Oft war ich mit meinem Vater in Wil-
helm von Kaulbachs Atelier. Eines Tages
bemerkte ich etwas vorlaut zu ihm, seine
Kohlenentwürfe gefielen mir besser als seine
fertigen Ölgemälde. Papa erschrak ob dieser
Kundgebung seiner naseweisen Ältesten, Kaul-
bach aber versicherte zu meiner großen Ge-
nugtuung: „Das Kind hat einen ganz rich-
tigen Blick. Ich habe ja deshalb meine bei-
den Söhne zu Piloty, dem Meister der Farbe,
gegeben."
Ludwig I. trug eine ziemlich große Balg-
geschwulst mitten auf der Stirn — das Horn,
wie es die Münchner nannten — und lief
immer in einem so schäbigen, auf der Schul-
ter ganz grünen Röckchen umher, daß man
ihn leicht für einen verschämten Armen hal-
ten konnte. Er, der München groß gemacht
und Unsummen für seine Bauten ausgegeben
hatte, war im kleinen geradezu geizig und
knickerig. Mein Vater hörte einmal, wie er
bei Tafel zum Hofmarschall sagte: „Saporta,
es bleiben täglich bei Tisch so viele halbe und
ganze Semmeln übrig; ich habe gehört, das
gebe gute Knödel." Saporta verneigte sich
und schwieg. Ungefähr vierzehn Tage spä-
ter war ein exotischer Fürst zur Tafel ge-
laden. Da bemerkte mein Vater, wie des
Königs Augen immer größer wurden und
ganz entsetzt auf dem fremdländischen Gaste
ruhten. Dieser junge Mann bediente sich
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Velhagen L Masings Monatshefte, xxvm. Jahrg. I9I3/I9I4. Bd. I.
 
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