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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Heft 3 (November 1913)
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Voss, Richard: Assuan: aus meinem oberägyptischen Reisebuch
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0451

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U Die Insel Elefantine. Nach einer Aufnahme der Photoglob Co. in Zürich Ul

Assuan. Von Richard Voß
Aus meinem oberägyptischen Reisebuch

Auf dem Dampfer „Germania" der Ham-
burg - Anglo - Amerika - Linie.
erklang mir die Musik des
Nils: das leise, leise Knarren
WMMM und Kreischen des Chaduf. Es
sind Mißtöne, und dennoch ist
es für mich — eben die Musik
dieses geheimnisvollen, wundersamen Stroms,
dessen Genius das Volk Ägyptens noch heute
Altäre erbauen und Standbilder setzen könnte;
denn er ist noch heute nicht nur der ewige
Schöpfer des Fabellandes zwischen den zwei
Wüsten, sondern sein ewiger Erhalter, Er-
zieher, Gesetzgeber. Auch sein Beherrscher.
Trotz des Wunderwerks des Staudammes
von Assuan regiert der Nil noch immer
Ägypten, und dieses zittert vor seinem ehr-
würdigen Strom. Denn wenn seine Fluten
im Sommer nicht hoch genug anschwellen,
die alljährlichen Überschwemmungen seine
Äcker bis zur Wüstengrenze mit seinen
wunderwirkenden Schlammengen nicht reich
genug düngen, so kommt ein mageres Jahr,
dafür eine weise Regierung während eines
fetten Niljahres Getreide aufspeichern
mußte.
Unausgesetzt erklingt an beiden Flußufern
die Nilmusik. Unausgesetzt reihen sich zu bei-
den Seiten des Stroms die Galerien leben-
diger Statuen. Es sind Männergestalten
wie aus Heller und dunkler Goldbronze ge-
gossen oder wie aus glänzendschwarzem
Ebenholz gebildet, aus düsterem Basalt ge-
meißelt. Und wie sie den Bildnissen der
alten Ägypter auf den Tempelmauern und
Grabwänden gleichen! In dieser Flußgegend
zwischen Luror und Assuan befindet sich
Schöpfbrunnen an Schöpfbrunnen. Jeder
dieser das Land am Leben erhaltenden
Wasserspender wird hier von sechs Mann

bedient: zwei Mann auf jedem der drei
Stockwerke das steile Ufer hinan. Bis auf
einen schmalen Schurz aus blauem oder
weißem Wollenstoff um die Hüfte sind sie
vollkommen unbekleidet; und sie sind häufig
von dem schlanken Ebenmaß eines Bildwerks
aus Griechenlands großer Bildhauerzeit. Alle
diese zumeist jugendlichen Gestalten machen
eine und dieselbe Bewegung ; immerfort nur
die eine: das rundlich tiefe Schöpfgefäß
aus hartem Büffelleder senken sie an der
mit einem ungefügigen Lehmkloß an der
entgegengesetzten Seite beschwerten Brunnen-
stange beständig hinab, schwingen es bestän-
dig hinauf, vom Morgengrauen bis zum
Abend, der Gluten über die gelb- und rot-
getigerte Wüste, über die Fellachendörfer aus
braunem Nilschlamm und die bläulich-grünen
Palmenwälder ausgießt, die unabsehbaren
Sandöden und das arkadische Fruchtland
überschwemmend mit Glorienschein.
In den Felsengräbern von Sakkarä und
Beni-Hassan befinden sich Darstellungen der-
artiger Schöpfbrunnen in Farbe und in Flach-
reliefs. Genau wie vor Jahrtausenden und
länger schöpft der Fellah von heute das
Wasser seines Wunderstroms, näßt er seine
Äcker, die sich als schmales, grünes Band
zwischen Wüste und Fluß hinziehen. Also
seit Jahrtausenden an beiden Ufern des
mächtigen Stroms jene lebendigen Statuen-
galerien; seit Jahrtausenden, Tag für Tag,
vom frühen Morgen bis zum späten Abend
jenes gleichmäßige Senken und Heben der
Becken, jenes eintönige, für mein Ohr melo-
disch klingende, leise Knarren der Brunnen-
stangen. Und so wird es an manchen
Strecken noch nach Jahrtausenden sein —
trotz des grandiosen Staudammes am ersten
Katarakt und all der modernen, durch Ma-
schinen getriebenen Schöpfwerke, diesen Wohl-
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