372 Richard Voß:
tätern des Nillandes, die zugleich die Zer-
störer der Nilpoesie sind. ..
Langsam, langsam gleitet die „Germania"
stromaufwärts. Mich freut's, auf diesem
schönen Dampfer einer deutschen Gesell-
schaft die Nilfahrt zu machen. Er zeichnet
sich aus durch saubere und bequeme Kabinen,
elegante Salons, behagliche Aussichtsplätze
und die Tafel eines „grand Hotel". Die
Beamten der Gesellschaft in den Bureaus
der Nilstädte sind von ausgezeichneter Auf-
merksamkeit für die Passagiere, die allen
Nationen angehören; und zu so vielem Gu-
ten befindet sich auf der „Germania" ein
wahres Juwel von einem Dragoman, der
auch die holdselige Kronprinzessin, des Deut-
schen Reiches zukünftige Kaiserin, auf der
„Mayflower" durch die Tempelwunder Ober-
ägyptens begleitete. Es ist ein ehrwürdiger
Syrer, der sich in den Faltenwurf seines
abendlichen prunkvollen Festgewandes so de-
korativ zu hüllen versteht, wie einstmals ein
Senator des alten Roms in seine purpur-
streifige Toga.
Zu beiden Seiten des Stroms laufen
hoch aufgeführte Dämme — sie durchqueren
das ganze Land —, darauf die Nilvölker un-
ausgesetzt hin- und herziehen: zu Fuß, auf
Kamelen und Eseln, mit Büffeln und Her-
den in allen Geschäften des Ackerbaus und
Handels von Dorf zu Dorf. Diese Leute
gehen nicht, sondern sie schreiten, sie wan-
deln. Mit solcher souveränen Haltung kön-
nen nur Menschen sich bewegen, die seit un-
übersehbaren Generationen lange Gewan-
dungen tragen.
Bei den Dörfern steigen aus den Palmen-
wäldern und Zuckerrohrfeldern Kinder und
Frauen das steile Ufer herab. Sie haben
Tonkrüge, die antiken Amphoren gleichen,
und sie kommen zu dem Fluß, um Wasser
zu schöpfen. Die Frauen des Landes sind
biblische Gestalten. Schwarze oder tiefblaue
Falten umhüllen sie, und das feierliche
Schleiertuch schleppt auch bei dem ärmsten
Fellahweibe wie die Gesellschaftsrobe der
Dame durch Kehricht und Staub. Die im
Flusse gefüllten hohen Krüge tragen sie auf
dem Haupt, als wären es Kronen.
An beiden Ufern begleiten den Strom
Dattelpalmen, die mich erst jetzt lehren, was
Palmen sind, wie ich erst auf dem home-
rischen Korfu den silberblütigen Baum der
weisen Göttin in seiner ganzen Herrlichkeit
erkennen lernte. Die Stämme erheben sich
im Sonnenglanz gleich Bronzesäulen, die
als lebendige Kapitäle ihre leicht gebogenen
königlichen Blattwedel tragen. So wird
jeder Palmenwald zu einem Baumtempel,
und so brauchten die alten Ägypter ihre Pal-
menkapitäle diesen architektonischen Vor-
bildern nur einfach nachzuschaffen — wie
den Gipfeln der Wüstenfelsen und den
Sanddünen ihre Grabpyramiden. Zwischen
dem bläulichen Palmengrün leuchten blü-
hende Euphorbien, Oleander und Glycinen,
steigen Sykomoren auf mit gewaltigen silber-
grauen Stämmen und schwärzlichen Laub-
massen, wie Urwald so dicht.
Wenn in den Zeiten, da noch Götter
diese schöne Erde bewohnten, ein Baum des
glühenden Südens seligen Geistern heilig
galt, so mußte es die Sykomore sein. Bei
Heliopolis steht noch eine Uralte ihres Ge-
schlechts. Sie erhebt sich unweit eines Obe-
lisken — des letzten — aus der Stadt des
großen Sonnengottes und wurde ein christ-
liches Sanktuarium, denn unter ihrem greisen
Wipfel soll auf der Flucht nach Ägypten
die heilige Jungfrau mit dem göttlichen
Knaben von langer, ermüdender Wüsten-
wanderung geruht haben.
Jetzt bereitet die Natur den Reisenden
auf das Schauspiel vor, welches da kommen
soll. Es ist das Vorspiel zu einer Tragödie.
Ode und öder werden die Ufer. Nah und
näher drängen die Wüsten mit ihren gelben
und roten Sanddünen, ihren orange- und
honigfarbenen Klippen. Rechts ist es die
vielfarbige libysche, links die fast düstere
arabische Wüste, die nilaufwärts bis dicht
an den Strom reicht. Sein von Wirbeln
aufgewühltes gelbliches Gewässer hat in dem
glühenden Schein der Sonne Ägyptens einen
Glanz, der Morgens und Abends in das
Farbenspiel des Opals überfließt. Dann ist
der Nilzauber vollkommen.
Sandbänke schieben sich weit vor in die
Strudel; fremdartiges Vögelvolk kauert auf
dem angeschwemmten Grund: Marabus und
Fischreiher, Seeadler und Geier und der
einstmals heilige Ibis. In dichten Schwär-
men bedeckt schwarzes winziges Wasser-
geflügel die Flut, schwimmendem dunklem
Lotos gleich. Auch ein Wüstenwolf schleicht
sich bis zum Flußbett heran. Tempelruinen
hart am Strom, dessen Damm davor eine
natürliche Terrasse bildet. Von den Pylonen
und Vorhallen des Heiligtums haben Erd-
beben große Teile in die Tiefe gerissen.
Gigantisch, wie nicht von Menschenhand er-
baut, erheben sich die Säulen.
Unter der Regierung der Ptolemäer ent-
stand der Tempel von Kom Ombo, und seine
Säulen, Decken und Mauern tragen noch
heute Farben von solcher Frische, als hätten
die Künstler den auf pharaonischen Befehl
unvollendet gebliebenen Bau erst vor kurzem
verlassen.
Ode und öder, wild und wilder wird die
Landschaft, von einer unsäglichen Schwer-
mut wie von purpurnen Schleiern umwebt.
Dabei wächst ihre Größe von Augenblick zu
Augenblick. Es sind die Wüsten das Schönste
und zugleich Schrecklichste der Natur, die wir
nilaufwärts an beiden Ufern durchschiffen.
Jetzt aber — wiederum bläulich - grüne Pal-
menwälder unter einem gelb-roten Wüsten-
gebirge. Plötzlich schwärzliche Klippen und
Riffe inmitten der schimmernden Flut: Gra-
nit! Die Granitfelsen des ersten Katarakts
wie durch ein Elementarereignis aus den
Tiefen der Erde emporgeschleudert, mitten
hinein in den Strom; ein Felsgewirr, als
tätern des Nillandes, die zugleich die Zer-
störer der Nilpoesie sind. ..
Langsam, langsam gleitet die „Germania"
stromaufwärts. Mich freut's, auf diesem
schönen Dampfer einer deutschen Gesell-
schaft die Nilfahrt zu machen. Er zeichnet
sich aus durch saubere und bequeme Kabinen,
elegante Salons, behagliche Aussichtsplätze
und die Tafel eines „grand Hotel". Die
Beamten der Gesellschaft in den Bureaus
der Nilstädte sind von ausgezeichneter Auf-
merksamkeit für die Passagiere, die allen
Nationen angehören; und zu so vielem Gu-
ten befindet sich auf der „Germania" ein
wahres Juwel von einem Dragoman, der
auch die holdselige Kronprinzessin, des Deut-
schen Reiches zukünftige Kaiserin, auf der
„Mayflower" durch die Tempelwunder Ober-
ägyptens begleitete. Es ist ein ehrwürdiger
Syrer, der sich in den Faltenwurf seines
abendlichen prunkvollen Festgewandes so de-
korativ zu hüllen versteht, wie einstmals ein
Senator des alten Roms in seine purpur-
streifige Toga.
Zu beiden Seiten des Stroms laufen
hoch aufgeführte Dämme — sie durchqueren
das ganze Land —, darauf die Nilvölker un-
ausgesetzt hin- und herziehen: zu Fuß, auf
Kamelen und Eseln, mit Büffeln und Her-
den in allen Geschäften des Ackerbaus und
Handels von Dorf zu Dorf. Diese Leute
gehen nicht, sondern sie schreiten, sie wan-
deln. Mit solcher souveränen Haltung kön-
nen nur Menschen sich bewegen, die seit un-
übersehbaren Generationen lange Gewan-
dungen tragen.
Bei den Dörfern steigen aus den Palmen-
wäldern und Zuckerrohrfeldern Kinder und
Frauen das steile Ufer herab. Sie haben
Tonkrüge, die antiken Amphoren gleichen,
und sie kommen zu dem Fluß, um Wasser
zu schöpfen. Die Frauen des Landes sind
biblische Gestalten. Schwarze oder tiefblaue
Falten umhüllen sie, und das feierliche
Schleiertuch schleppt auch bei dem ärmsten
Fellahweibe wie die Gesellschaftsrobe der
Dame durch Kehricht und Staub. Die im
Flusse gefüllten hohen Krüge tragen sie auf
dem Haupt, als wären es Kronen.
An beiden Ufern begleiten den Strom
Dattelpalmen, die mich erst jetzt lehren, was
Palmen sind, wie ich erst auf dem home-
rischen Korfu den silberblütigen Baum der
weisen Göttin in seiner ganzen Herrlichkeit
erkennen lernte. Die Stämme erheben sich
im Sonnenglanz gleich Bronzesäulen, die
als lebendige Kapitäle ihre leicht gebogenen
königlichen Blattwedel tragen. So wird
jeder Palmenwald zu einem Baumtempel,
und so brauchten die alten Ägypter ihre Pal-
menkapitäle diesen architektonischen Vor-
bildern nur einfach nachzuschaffen — wie
den Gipfeln der Wüstenfelsen und den
Sanddünen ihre Grabpyramiden. Zwischen
dem bläulichen Palmengrün leuchten blü-
hende Euphorbien, Oleander und Glycinen,
steigen Sykomoren auf mit gewaltigen silber-
grauen Stämmen und schwärzlichen Laub-
massen, wie Urwald so dicht.
Wenn in den Zeiten, da noch Götter
diese schöne Erde bewohnten, ein Baum des
glühenden Südens seligen Geistern heilig
galt, so mußte es die Sykomore sein. Bei
Heliopolis steht noch eine Uralte ihres Ge-
schlechts. Sie erhebt sich unweit eines Obe-
lisken — des letzten — aus der Stadt des
großen Sonnengottes und wurde ein christ-
liches Sanktuarium, denn unter ihrem greisen
Wipfel soll auf der Flucht nach Ägypten
die heilige Jungfrau mit dem göttlichen
Knaben von langer, ermüdender Wüsten-
wanderung geruht haben.
Jetzt bereitet die Natur den Reisenden
auf das Schauspiel vor, welches da kommen
soll. Es ist das Vorspiel zu einer Tragödie.
Ode und öder werden die Ufer. Nah und
näher drängen die Wüsten mit ihren gelben
und roten Sanddünen, ihren orange- und
honigfarbenen Klippen. Rechts ist es die
vielfarbige libysche, links die fast düstere
arabische Wüste, die nilaufwärts bis dicht
an den Strom reicht. Sein von Wirbeln
aufgewühltes gelbliches Gewässer hat in dem
glühenden Schein der Sonne Ägyptens einen
Glanz, der Morgens und Abends in das
Farbenspiel des Opals überfließt. Dann ist
der Nilzauber vollkommen.
Sandbänke schieben sich weit vor in die
Strudel; fremdartiges Vögelvolk kauert auf
dem angeschwemmten Grund: Marabus und
Fischreiher, Seeadler und Geier und der
einstmals heilige Ibis. In dichten Schwär-
men bedeckt schwarzes winziges Wasser-
geflügel die Flut, schwimmendem dunklem
Lotos gleich. Auch ein Wüstenwolf schleicht
sich bis zum Flußbett heran. Tempelruinen
hart am Strom, dessen Damm davor eine
natürliche Terrasse bildet. Von den Pylonen
und Vorhallen des Heiligtums haben Erd-
beben große Teile in die Tiefe gerissen.
Gigantisch, wie nicht von Menschenhand er-
baut, erheben sich die Säulen.
Unter der Regierung der Ptolemäer ent-
stand der Tempel von Kom Ombo, und seine
Säulen, Decken und Mauern tragen noch
heute Farben von solcher Frische, als hätten
die Künstler den auf pharaonischen Befehl
unvollendet gebliebenen Bau erst vor kurzem
verlassen.
Ode und öder, wild und wilder wird die
Landschaft, von einer unsäglichen Schwer-
mut wie von purpurnen Schleiern umwebt.
Dabei wächst ihre Größe von Augenblick zu
Augenblick. Es sind die Wüsten das Schönste
und zugleich Schrecklichste der Natur, die wir
nilaufwärts an beiden Ufern durchschiffen.
Jetzt aber — wiederum bläulich - grüne Pal-
menwälder unter einem gelb-roten Wüsten-
gebirge. Plötzlich schwärzliche Klippen und
Riffe inmitten der schimmernden Flut: Gra-
nit! Die Granitfelsen des ersten Katarakts
wie durch ein Elementarereignis aus den
Tiefen der Erde emporgeschleudert, mitten
hinein in den Strom; ein Felsgewirr, als