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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Heft 2 (Oktober 1913)
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Hart, Hans: Wunderkinder [2]: Roman : (Fortsetzung)
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Rheinhardt, Emil Alphons: Der Greis spricht
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0348

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282 LLLELLLL Emil Alphons Rheinhardt: Der Greis spricht:

hohe Wogen schlug. Die hatten alle keinen
Geschäftsgeist! Nachdenklich betrachtete er
den jungen Karl Maria und fluchte still in
sich hinein. Wenn man den Jungen vor
vier oder fünf Jahren in langen Locken
und kurzen Samthöschen hätte spielen
lassen, — die Leute hätten gerast vor Ent-
zücken. Hunderttausende hätte man ver-
dient.
Seufzend klopfte er Karl Maria auf die
Schulter. „Laß dich nichts anfechten und
denk an deine Geige!" Er rieb die roten
Handflächen langsam aneinander. „Merk
dir, meinSohn,dubisteinfrüherFisch. Die
Miriam ist ein früher Fisch. Aber was tut
Gott? Er macht Fische und Fische."
Da flammte ein dunkles Rot über das
Knabenantlitz, als mahnte jemand an un-
bezahlte Schuld. Schnell schlich er davon.
Giacomo und Gundl suchten ihn dann.
Er saß im Garten, der bunt und grell sein
Narrengewand trug, ehe der Tod alle Lich-
ter ausblies. Und als Gundl hoch und
schön herankam, die verweinten Augen sor-
genvoll auf Karl Maria gerichtet, sagte er

trotzig: „Laßt mich doch!" Der starke Gia-
como aber griff nach der Hand seiner
Schwester. „Er hat es zwar nicht verdient,
aber da ich ihn einst in den ,Blauen Herr-
gott geholt habe, muß ich schon weiter für
ihn sorgen. Behalte ihn im Auge, Kundry!"
Ein ganz seltsamer Ausdruck huschte
über das Gesicht der Sechzehnjährigen.
Die Lippen schlossen sich fest, in den Augen
schimmerte ein warmes Leuchten. So hüllte
sie den Mantel ihrer scheuen und treuen
Liebe um Karl Maria Tredenius, der ihr
Herz leichter wog als seine Geige. Und
Karl Maria wußte, daß er dem „Blauen
Herrgott" und seinen Kindern in Pflicht
und Dankbarkeit stand. In jäher Freude
begriff er, daß er stets, wenn er müde hier-
herkäme, in diesen starken Mädchenarmen
Ruhe und Rast finden würde. Giacomo
Williguth aber sprach zum Abschied:
„Bleib fest in deinen Schuhen und schlage
mit dem Absatz um dich! Merk dir das!"
Gundl stand still und glücklich und dachte:
,Jch will alles tun, ihn froh und reich zu
machen/

Der Greis spricht:
Und hab' mich doch dareingefunden.
Wie hab' ich erst den Weg verflucht
Und schwer gestöhnt durch diese Stunden
Und bange einen Sinn gesucht.
Zuweilen brach das wunderbare
Aufglänzen ferner Welt herein
Und trieb mich, trug mich durch die Jahre:
Und dieses Glänzen war mein Sein.
War in die Kette eingezwungen,
Hab' schon nichts mehr von Traum gewußt.
Da plötzlich war ein Lied erklungen
Und kam und schrie in meine Brust.
Und neu ist alles aufgestanden:
O Lied, o Qual, o Pilgerschaft!
Da sucht' ich wieder nach den Landen
Und hört' das Weltmeer wieder branden
Und fühlte wieder Wunsch und Kraft.
Und wollte meine Kinder führen
In jenes Land, das ich verlor. ..
Nun sitzen sie auch vor den Türen;
Schaut keines mehr zum Licht empor.
Der Abend kam. Die Äste biegen
Sich schwer von Früchten erdenwärts.
... Die Kinder mußten unterliegen ...
Doch Enkel wuchsen aus den Wiegen
Zu Deiner Sehnsucht, Du mein Herz.
Emil Alphons Rheinhardt
 
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