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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Heft 4 (Dezember 1913)
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Hart, Hans: Wunderkinder: Roman : Schluß
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0701

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Wunderkinder
Roman von Hans Hart
(Schluß)




n diesem Abend also kam die Guar-
neri mit einigen Zeilen von der
Hand der Trix in das Dachstüb-
chen, wo Karl Maria in Schöp-

ferwonne schwamm, wenn auch die erste
Hitze schon verflogen war. Aber sonst ru-
morte es noch ganz gewaltig hinter seiner
eigenwilligen Musikerstirn, so daß die
Freude über die wiedererlangte Geige nicht
gleich Platz fand.
Heim in den „Blauen Herrgott"! Ja,
dazu hatte auch Andreas Katzenkopf ge-
raten. Dort hatte man Geduld mit einem

armen Tropf, der groß und stattlich ge-
worden und doch noch immer ein Stern-
gucker war. Aber sein Trotz war dawider,
der letzte Schutz der Schwachen. Der Habe-
nichts Karl Maria hatte immer und jeder-
zeit verschwendet und verschenkt und ver-
wundert den Kopf geschüttelt, wenn dann
kein Dank kam. In Weimar hatte er das-
selbe Spiel getrieben. Arm und allein
blieb er jetzt zurück. Die Miriam aber
marschierte durch das Tor des Glücks. So
zuckte das Weh in Karl Maria. Graue
Schatten sanken über den Glanz der Dinge.
Der Brief der Trix knisterte in seiner Hand.
Da schlug die Stimmung um. Langsam
strich er mit den schlanken Fingern über
das Papier. Treue Menschen sorgten sich
um ihn. Das gab ihm Kraft. Jetzt hätte
er seine Armut wider keinen Reichtum ge-
tauscht, so tief innerlich selig war er, daß
er seine Geige wieder hatte, ein Brieflein
der lieben Frau noch obendrein und zwei
Manschetten, mit Noten bekritzelt.
In heißem Stolz versuchte er sein Werk
auf der Guarneri. Rot brannten die Wan-
gen, die Lippen schürzten sich, als schlürften
sie köstlichen alten Wein. Und doch war
es nur ein Notenchaos, das aus Karl Ma-
rias blutendem Herzen aufgedämmert war.
Plötzlich packte ihn wildes Heimweh,
als müßte er seinen Schatz möglich schnell
in den „Blauen Herrgott" bringen und
dort sich sein Glück schaffen. Alte Bilder
tauchten wieder in Farbe und Licht, ver-
klungene Stimmen summten altvertraute

Lieder. Als er tags darauf hörte, daß die
Gräfin Rothenwolff allein abgereist sei,
faßte er einen kühnen Entschluß. Er brach
alle Brücken hinter sich ab. Seine Schulden
zu bezahlen, brauchte er freilich den Rest
seines Geldes und mußte noch Wäsche und
Kleider dareingeben. Die übrige Herrlich-
keit ging in den Ranzen, worin auch die
Geige des Katzenkopf noch Raum fand.
So zog er nun los, warf allen Schmerz in
den Wind und stellte sich auf die eigene
Kraft.
In Dörfern und Flecken strich er die
Geige, in rußigen Wirtszimmern und unter
breitästigen Linden, bei fröhlichen und bei
traurigen Leuten, bei solchen, die ihm die
Hand mit Münzen füllten, und bei andern,
die bloß ein mißvergnügtes Greinen für
seine unbekümmerte Jugend hatten. In
den Nächten aber schlichen schlimme
Träume heran, die brannten wie die Küsse
der Miriam und tranken Karl Marias
Blut. Und doch war ihm, als wachte er
erst jetzt recht aus seinem Himmelsgucker-
tum auf, und mit dem fallenden Laub,
das von Baum und Strauch sank, glitt
auch manches Welke und Dürre von Karl
Maria Tredenius. Er wanderte in die
Heimat wie in eine Pflicht, die ihm früher
lästig gewesen war und ihn jetzt beinahe
lockte. Es lag ihm gar leicht auf, daß er
mit leeren Händen kam und seinen Reich-
tum, den er heimlich in der Tasche hatte,
keinem weisen konnte, ohne Lachen oder
mitleidiges Kopfschütteln zu erregen. Aber
er hatte auch Menschen und Dinge in
Morgen- und Abendbeleuchtung gesehen
und seinen Ranzen mit allerlei nützlichen
Kenntnissen gefüllt. Zum Exempel pro-
bierte er seine Weltklugheit hie und da
gleich mal praktisch, fuhr jedoch stets ziem-
lich jammervoll die Treppe hinab. Ein
alter Musikprofessor hatte genug von ihm,
als er Brahms pries, ein anderer verlangte
Papiere, sichere, dickbestempelte Papiere,
weil sonst alles aufs Vagabundentum hin-
ausliefe, ein dritter kanzelte ihn ab, als
Karl Maria auf die Frage, wen er für
 
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