Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

DOI Heft:
Heft 4 (Dezember 1913)
DOI Artikel:
Hart, Hans: Wunderkinder: Roman : Schluß
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0702

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Hans Hart:



590
den größten Geiger der Gegenwart halte,
frischweg Hans Geßner nannte, ohne zu
bedenken, daß der größte Geiger einfach
der Mann sein wollte, mit dem er zu
sprechen gerade die Ehre hatte.
Als Karl Maria in die Heimat kam,
war es Dezember, ein sonniger, fast war-
mer Weihnachtsmond, ohne Schnee und
Sturm, da unser Herrgott auch schon die
Romantik an einen goldenen Himmels-
nagel gehängt hat. In einem billigen
Gasthause stieg er ab und begann mit ver-
zweifelter Hartnäckigkeit wieder die Suche
nach einer bescheidenen Stelle in einem
Orchester oder als Hilfe bei einem Regens
chori, alles nur, weil er nicht mit leeren
Händen antreten und neuerlich das Brot
des Onkels essen wollte. Der kleine Unter-
schlupf, um den er so heißhungrig warb,
sollte das Weihnachtsgeschenk für seine
Mutter sein. Aber wieder blieb ihm das
Pech treu.
Nur einmal erwischte er das Glück bei
einem Endchen, ließ es aber freilich nach
seiner Art wieder los. Mit harter Mühe
war er bis zu einem Kapellmeister der
Oper vorgedrungen, verbeugte sich kurz
und bat um die Erlaubnis, auf seiner
Geige etwas vorspielen zu dürfen. Der
Gewaltige nickte, und als das Stück zu
Ende war, kratzte er sich nachdenklich
hinter dem Ohr und fragte nach der Pro-
tektion. Einen Augenblick zögerte der
Junge, ob er den Namen Achaz Rothen-
wolff nennen sollte. Aber nein! Dazu hatte
er kein Recht. Schamrot schüttelte er den
Kopf. „Ich habe keine." Der Kapell-
meister lächelte ungläubig, lobte Ton und
Strich, ließ sich Karl Marias Abenteuer
erzählen und geleitete ihn selbst zur Tür,
versprach auch, bald etwas von sich hören
zu lassen. Natürlich blieb alles still.
Nun verkroch sich Tredenius wieder in
seine Menschenscheu und selbstsichere Be-
scheidenheit, die wartete, immer wartete,
die Hände in Plage und Arbeit marterte,
statt durch geschickte Griffe das Glück zu
packen. Jetzt hielt ihn die Scham dem
„Blauen Herrgott" fern und ein dummer
Trotz auch dem Hause der Trix. Von
neuem gewann der Haß wider alle Welt
in ihm Gewalt. In der Zeitung las er, d aß
Miriam Italiener, die jetzt sehr prunkvoll
Lippa Lippi hieß, an die hiesige Oper en-

gagiert war, und wie geheimer Groll stieg
es in Karl Maria auf. Was war aus
ihm geworden? Er saß in einem schmut-
zigen Einkehrgasthause und verzehrte die
armen Pfennige, die er auf der sonnen-
frohen Herbstfahrt sich zusammengegeigt
hatte.
Dann fiel etwas Schnee, als hätte Gott-
vater doch Mitleid mit den Weihnachts-
erzählern und wollte sie nicht gar so arg
Lügen strafen. Und dieser Schnee entschied
das Schicksal des Geigers Tredenius. Ein
Junge bückte sich, ballte das weiße Zeug
zu einem Wurfgeschoß, um es dem unbe-
fangenen Karl Maria in den Nacken zu
schleudern, weil diese gottähnliche Versun-
kenheit den Zorn des gesunden Schulbuben
erregt hatte. Leider oder richtiger zum
Glücke verfehlte er den Musikus, und der
Schneeball saß platschend auf einem brand-
roten Plakat mit schwarzer Schrift. Dies
schien auch Karl Maria merkwürdig, und
er besah den Schneeball gar nachdenklich.
So fiel sein Blick auf das rote Plakat. In
Rot und Schwarz wurde da der Ruhm
von einem verkündet, der das Glück mit
festem Griff auf die Knie oder auf die
Schultern gezwungen hatte. In der Mitte
prangte ein Bild des Körperstarken, dick
und massig, blond und helläugig. Karl
Maria atmete schwer, als er Giacomo
Williguths Konterfei erkannte, und mit
einemmal war das Heimweh wieder da
und warf allen Stolz und Trotz in die
Rumpelkammer. Dazu kam noch die heim-
liche Sehnsucht der Schwachen und Pfuscher,
die es den sonnenhellen Menschenkindern
gerne abgucken möchten, wie diese das Leben
zu ihrem Vorteil und Wohlbefinden hand-
haben. Ein Stückchen Hochmut kroch auch
mit unter, weil Karl Maria, der der feinen
und stillen Musik diente, mit leisem Lä-
cheln auf die rohe Muskelkraft Giacomos
hinabschaute.
So saß er am Abend im Zirkus hoch
oben auf der Galerie, eingepfercht zwischen
fragwürdigen Gestalten aus der Vorstadt,
die den Wert praller Muskeln und schneller
Fäuste gar wohl abzuschätzen wußten und
mit rauher Stimme die heutigen Kämpfe
besprachen, Partei wider Partei, Anhänger
des tonr äs banebs wider solche des tour äs
dras. Das Orchester lärmte seine Blechmu-
sik, gelber Staub hing in d er Luft, der Geruch
 
Annotationen