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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Brachvogel, Carry: Der Prinzgemahl
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Seidel, Ina: Abend und Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0181

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iLLLEN Ina Seidel: Abend und Morgen 141

rischen Strickstrumpf durchgehen, ist allseits
empört, wenn er, von dem man doch jahr-
aus, jahrein Verleugnung aller männlichen
Eigenschaften fordert, sich auf weibliche In-
trigen verlegt, und verlangt vielleicht gar von
ihm, daß er lieber offen eine Persönlichkeit sei
und sich als solche bekenne. Gnade ihm Gott,
wenn er je eine gewesen wäre! Dann wäre
sein Leben zur Hölle geworden, oder er hätte
es seiner Königin zur Hölle gemacht. Eine
Persönlichkeit als Prinzgemahl ist in der
Geschichte nie erlebt und nur ein einziges
Mal skizziert worden, — damals, als die
Väter eine Heirat zwischen dem jungen Fritz
von Preußen und der großen Erbtochter
Maria Theresia planten. Diese Ehe, die zu
den pikantesten historischen Einfällen gehört,
ist nie geschlossen worden, aber man kann
sich ungefähr denken, wie Fritz als Gemahl
neben der autoritativen Österreicherin ge-
wirkt und — — um sich geschlagen hätte.
Der Siebenjährige Krieg, den die beiden
später miteinander führten, wäre ein Kinder-
spiel gewesen gegen den häuslichen, aus dem
sie vermutlich beide besiegt und zerbrochen
hervorgegangen wären .. . Orloff und Po-
temkin, die Liebhaber ihrer Kaiserin, durften
wohl Persönlichkeiten sein, Banditen der
Macht, deren Räuberstücklein man mit dem-
selben bewundernden Grausen vernahm, wie
die des Rinaldo Rinaldini. Aber Se. Hoheit,
der Prinzgemahl, darf natürlich nie ein
Bandit sein, muß immerfort dastehen, wie
ein vertrauenswürdiger Kastellan, dem der
Schatz, der nur Armeslänge von ihm entfernt
ist, doppelt heilig sein soll, gerade weil er so
verführerisch nahe glänzt .. .
Was wird nun aus dem Prinzgemahl,
wenn sein Sommer vorüber ist und die Kö-
nigin stirbt? Die Frage läßt sich nicht mit
voller Sicherheit beantworten, denn die Ge-
schichte kennt kein Beispiel, daß ein Prinz-
gemahl zum Greis geworden sei; das Me-
tier scheint also doch nicht so gesund und
konservierend zu sein, wie man denkt. So
hat auch der Prinzwitwer in Maximilian l.
und Philipp II. nur vorübergehend Verkör-
perung gefunden, denn sowohl der Öster-
reicher wie der Spanier beeilten sich, ihren

toten Marien politisch wertvolle Nachfolge-
rinnen zu geben. Man kann also nur ver-
muten, nicht sagen, wie das Leben eines
modernen Prinzgemahls aussähe, dem Kö-
nigin und Jugend hinschwanden. Er stünde
dann eben neben dem Thron des Sohnes, wie
früher neben dem der Frau, lebte in einer
Familie, die nicht seinen Namen trägt, in
einem Land, an das er heute noch weniger
gebunden wäre als ehedem. Ihm bliebe nicht
einmal die patriarchalische Zufriedenheit des
ausgedienten Beamten, der immer noch das
Oberhaupt der Seinen ist und mit den
Söhnen, deren Karriere der seinen gleicht,
eine zweite Jugend erlebt. In der Familie
der verstorbenen Königin ist der junge Sohn
der König, das Oberhaupt; seinem Willen
untersteht sogar der väterliche Graukopf, der
ja auch nie die Laufbahn hat machen dürfen,
die dem Sohn schon in der Wiege bestimmt
war. Äußerlich nutzlos und innerlich unaus-
gelebt, beinahe so, wie in früherer Zeit die
alten Mädchen waren, würde der Prinzgemahl
dann, vielleicht von einer unbestimmten Sehn-
sucht erfaßt, in die Heimat zurückkehren, die er
solange verleugnete, zu der Familie, deren Na-
men er kaum mehr getragen hat, würde etwa
neben dem Thron des Bruders stehen, wenn
nicht gar schon neben dem des Neffen, und viel-
leicht prahlte er ein wenig mit der Bedeutung,
die er sich früher, da seine Königin noch lebte,
im fremden Land zu erringen verstand. Bei
allem Flunkern aber wird er gewiß nie im
Spiegel der Erinnerung seine eigene Ver-
gangenheit beschauen wollen, denn ihm graut
davor, daß dieser Spiegel, gleich dem Spie-
gel in Maupassants gespenstischem „Horla",
kein Bild zeigt, zeigen kann, weil nur ein
Phantom, nicht gelebtes Leben vor ihm
stand ...
Bete, du junger Prinzgemahl, bete zu den
Göttern, daß sie dich rufen, noch ehe deine
Königin ging und du mit graubereiftem
Scheitel, gebückt, in verjährter Eleganz, durch
die Straßen der Residenz schleichst, nur von
wenigen erkannt und gegrüßt und dem jun-
gen Geschlecht mit den melancholisch klingen-
den Worten erläutert: „Der alte Herr war
früher einmal der Prinzgemahl."


Abend und

LI



Morgen
Ich steige beim Morgenrot
Hinauf die erklingenden Stufen,
Des Traumes Fackel verloht,
Der junge Tag hat gerufen.
Ich trank mir Leben genug,
Um selig neu zu verschwenden,
Und trage den vollen Krug,

Ich schreite um Mitternacht
Hinunter die hallenden Stufen,
Mich hat aus dem dunkelen Schacht
Die ewige Stimme gerufen.
Ich komme elend genug,
Weiß nichts von Heimat und Eigen,
Und trage den leeren Krug „ , „
Hinunter in Demut und Schweigen ... Empor in gesegneten Händen.
Ina Seidel
 
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