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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Heft 4 (Dezember 1913)
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Stegemann, Herbert: Der fromme Gaukler
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0651

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Z Der fromme Hauber. Von Hecöert Stegemann

Er war ein Bursch von siebzehn Jahr,
Mit schlanken, starken Gliedern,
Den Kopf voll blondem Lockenhaar,
Den Mund voll frohen Liedern.
Er zog einher in Stadt und Land,
Die Welt war ihm zu enge,
Und wo er ging und wo er stand,
Da drängte sich die Menge.
Des Marktes Treiben tobte laut
Dort auf dem alten Platze,
Manch Mädchen war von ihm erbaut
Und wünscht' ihn sich zum Schatze.
Und wenn er seine Schalkheit trieb,
Dann klopfte manches Mieder —
„Ach, wär' der Bursche nur mein Lieb —
So klang es hin und wieder.
Einst lief er lachend auf dem Seil,
Das in der Luft sich spannte,
Und alles staunt' und lauscht', derweil
Die Mittagsonne brannte.
Ein Ruck — er schwankt — er schwebt —
er fliegt,
Und alle Herzen stocken —
Ein dumpfer Fall — ein Schrei — er liegt
Mit blutbefleckten Locken.

n „Ja, wie man's treibt, so eben geht's,"
! So nickt ein hagrer Schreiber,
!, „Die Seelen nimmt der Satan stets,
Bald nimmt er auch die Leiber."
„Der arme Bub — so jung und stark" —
„Sei still, du lose Dirne —"
Der Gaukler zuckt bis tief ins Mark,
Blut rinnt ihm von der Stirne.
Da plötzlich, horch, welch Heller Klang?
Vom hohen Kloster droben
Auf einmal Glocken und Gesang,
Den Herrn der Welt zu loben.
Sie ziehn in bunter Prozession,
Die Hostie in der Mitten,
Bei Gott und seinem heil'gen Sohn
Um Gnad' und Huld zu bitten.
Das glänzt und scheint so bunt und klar
Und spielt in reichen Farben —
Was kümmert es die wilde Schar,
Ob hundert Gaukler starben?
Sie drängt sich zu dem goldnen Glanz
Mit schaurig süßem Beben,
Und sieht die leuchtende Monstranz
In blauen Lüften schweben.

Und alles rennt in wilder Hast,
Den Sterbenden zu schauen —
Er zuckt, er lebt — und alle faßt
Ein fürchterliches Grauen.
Ein Raunen wie ein leiser Wind —
Doch niemand hilft dem Armen
Und neigt sich zu dem Gauklerkind
In liebendem Erbarmen.

Doch schnell erspähn der Brüder zwei,
Welch Unglück dort geschehen.
Sie eilen ungesäumt herbei,
Dem Ärmsten beizustehen.
Blutüberströmt, ein sterbend Kind,
Auf steinern hartem Pfühle —
Sie tragen leise und geschwind
Ihn fort aus dem Gewühle.
 
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