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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Heft 4 (Dezember 1913)
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Heyck, Eduard: Des Meeres und der Liebe Wellen
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0684

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Des Meeres und der Liebe Wellen
Von Prof. Or. Ed. Heyck

„Et rvassen twe Künnigeskinner,
De hadden enanner so leef,
De können tonanner nich kommen,
Dat Wader was vel to deef."
Das geliebteste Volkslied, weil jeder es
zu erleben schon vermeint. Eine herzzer-
schnürende Strophe, diese erste, und doch schon
ein so ferner, süßer, leise bestrickender Trost
darin, da immer am meisten das Volks-
lied mit seinen weichen Worten die Traurig-
keit poetisch macht und die Unpersönlichkeit
seiner Sprache den Sinn auf das allgemeine
Schicksal lenkt. Es liegt in ihm eine höchste
Kraft des Linderns, des Wiederaufrichtens,
des Versöhnens durch erleidende Gemein-
samkeit.
Wie viele Gedichte sind nur wegen einer
Strophe, eines Verspaars unsterblich ge-
worden! Gehören sie der Literatur an, so
muß auch das übrige in Anthologien und
Büchern dann immer mit, wie der Koffer mit
dem Hochzeitspaar. Nur das singende Volks-
lied wandert dahin und läßt sein Felleisen
achtlos unter fremden Leuten liegen, es
schleppt nichts mit, was es nicht mehr leiden
mag, und findet wie Hans im Glück das ihm
besser Gefallende überall. Deshalb hängen
ganze Ketten von Volksliedern durch eine
bestimmte Strophe, vielleicht nur eine Zeile
zusammen. Diese eben ist das unsterbliche
Verslein, unscheinbar geboren, das nun in
Jahrhunderten ein Stamm- und Ahnenbaum
der Lieder wird. Wer Volkslieder studieren
will, muß hierauf achten. In der Regel ist
ja jene Zeile auch der Inhalt. Wie sich sonst
dieser Inhalt wechselnd formt, in welche
Moden der Zeit und der Völkersitten er sich
kleidet, darin ist unser wanderndes, singen-
des Spielmannslied ebenso unbesorgt, wie
naiv klug: es hält es mit den Zuhörern, die,
wenn man ihnen die Herzen abgewinnen
will, nicht durch Nebensachen angefremdelt
werden dürfen.
„De können tonanner nich kummen" heißt
diese ewige Zeile. „Doch keins zum andern
kommen kund" heißt sie bei Hans Sachs.
Der wackere Nürnberger ist gewiß nicht der
Spielmann, der sie zuerst gefunden hat. Sie
schnitt ihm nur auch ins Herz, daß er sie,
als ein Schuhmacher und Poet, hernahm
und seine „Unglückhafft Lieb Leandri mit
Fraw Ehron" daran hing, um unvorsichtige
Leute zu warnen:
„Lieb sey ein Anfang vil Ungemachs
An Leib und Seel, so spricht H. Sachs."
Da sind wir nun schon bei Hero und
Leander, fast ehe wir's eigentlich gewollt,
und mögen denn sehen, wie es dem griechi-

schen Stoff erging, ehe wir ihn im deutschen
Volkslied wiederfinden.
Zu erzählen braucht man das alte, weh-
mütig süße Märchen der heroisch wagenden
Liebe ja nicht. Durch Schiller kennt es jeder
und wahrscheinlich auch aus Grillparzers
„Des Meeres und der Liebe Wellen". Schil-
lers Ballade orientiert über den Hergang
der Erzählung in der alleinigen Fassung, die
wir aus der Antike noch besitzen, der des
Musäos. Dieser Dichter gehört der spätesten
Zeit an, um 500 nach Christus, wurde jedoch
zu Schillers Zeit für altgriechisch im klassi-
schen Sinn gehalten. Der absolute Respekt
der Zeitgenossen vor den „Alten" wird für
den viel größeren Dichter zur Fesselung, daß
er nichts über jenen hinaus, nichts Selbstän-
diges wagt. Schiller hat übrigens nicht den
Musäos im griechischen Original benutzt,
sondern die Nacherzählung in einer der zu
seiner Zeit verbreiteten deutschen Enzyklo-
pädien. Dadurch werden ihm die besonderen
Plumpheiten des Musäos verdeckt, aber es
bleibt die innere Leere des Spätgriechen,
und Schiller füllt seine Strophen mit son-
stiger klassischer Sagengelehrsamkeit. So wird
er aber langatmig, und seine Hero und
Leanderballade bleibt die wirkungsschwächste.
Nur der unvergängliche Stoff und einige
persönliche Schillersche Prachtstellen haften
in unserem Gedächtnis.
Grillparzerhat dann eine außerordent-
lich hohe Kunst an die Unmöglichkeit gesetzt,
das verschwiegene Helldunkel des ursprüng-
lichen griechischen Volksmärchens in einen
personenreichen Mechanismus umzubilden,
wobei nun im vollen Lichte des Schauspiels
zu entwickeln war, was in der Volkserzählung
den Täglichkeiten mit poetischer Wirkung zu-
widerläuft. Auch ihn zwingt der Respekt vor der
vermittelnden Quelle, dem Musäos. Höchst be-
dachtvoll richtet er seine den Konflikt schürzen-
den Erfindungen so ein, daß er die Quelle mög-
lichst nicht korrigiert und sie ihn deckt, wenn
auch nur durch ein Wort, eine deutbare Wen-
dung. Anderseits aber muß er sich notwendig
selber helfen, und es entsteht über dem Märchen-
stoff ein psychologisches Drama, das vielleicht
vollkommener wäre ohne jedes andauernde
Zurückblicken, weniger ein Zwitter aus grie-
chischer und neuerer Gesinnung. Seine Hero,
Aphroditens Priesterin, ist eher eine strah-
lend schöne Abtissin, zum Amte bestimmt
aus erblichem Familienrecht, die sich am
Festtag ihrer Inthronisation verliebt und
elementar nun zu allem erwacht, das sie
bisher nicht gewußt, dem sie durch das Ge-
lübde entsagt hat. In ihrer jungweiblichen
Seele ist sie glänzend durchgeführt. Aber ge-
 
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