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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Zobelitz, Fedor von: Mein Bruder Hanns
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Mein Bruder Hanns. Von Fedor vonZobeltitz

ein Bruder Hanns ... das ist
nämlich Hanns von Zobeltitz,
also ein guter Bekannter der
Leser dieser Hefte, in deren Re-
daktion er seit ihrer Begründung
tätig ist und für die er auch eine ganze Reihe
von Romanen geschrieben hat. Besagter
Herr feiert nun im September laufenden
Jahres seinen — ich muß es schon ausschrei-
ben: sechzigsten Geburtstag, und da ist sein
Freund und Mitherausgeber Paul Oskar
Höcker auf den unglücklichen Gedanken ver-
fallen, mich zu bitten, an dieser Stelle etwas
Nettes über ihn zu Papier zu bringen. Ich
gestehe, daß ich mich anfänglich dagegen ge-
wehrt habe. Ich wollte erst den achtzigsten
Geburtstag meines Bruders abwarten, weil
ich selbst dann fünfundsiebzig sein würde.
Aber Höcker meinte, es sei doch immerhin
die Frage, ob wir diesen Tag noch erleben
würden — und dann drohte er, wenn ich
bei meinem Nein verbliebe, würde er einen
geaichten und beruflichen Literarhistoriker
über das Geburtstagskind schreiben lassen —
und da gab ich denn nach. Das wollte ich
nicht. Kein kritisches Richtfest an solchem
Tage . .. lieber versuche ich selbst, „etwas
Nettes" (so lautet der Auftrag) über ihn zu
plaudern. Man verzeihe gütigst, daß ich
dabei auch zuweilen von mir sprechen muß:
das ist nicht zu ändern .. .
Also zuerst die Familie. Sie ist immer-
hin alt. „Meißnischer Uradel mit gleich-
namigem Stammhause unweit Großenhain,
der mit Henricus de Zabulotez 1207 bis 1210
zuerst erscheint" — so steht im Gothaer. Ein
Pastor Schmidt hat auch eine dickleibige
Familiengeschichte der Zabeltitz - Zobeltitz
geschrieben, aus der ich mit schmerzlichem
Empfinden ersehen habe, daß das Geschlecht
noch um die Wende des sechzehnten und
siebzehnten Jahrhunderts fabelhaft begütert
gewesen ist. Aber es muß viel verläppert
worden sein, wie das die Ahnen so an sich
hatten. Die Vettern in Schlesien und in der
Lausitz haben das Wirtschaften jedenfalls
besser verstanden; dem neumärkischen Zweige
ging der Hauptbesitz Topper 1874 verloren,
und es blieb nur noch das benachbarte kleine
Gut Spiegelberg übrig, das 1693 als Jo-
hanniterlehn an die Familie kam und heute
mir gehört.
An Spiegelberg knüpfen sich unsere ersten
gemeinschaftlichen Erinnerungen. Es liegt
sehr hübsch zwischen Wäldern und Seen und
hat ein freundliches Herrenhaus mitten im
Parke, dessen Berühmtheit eine tausendjäh-
rige Eiche ist, auf die eine Treppe hinauf-
führt. In diesem Herrenhause, in einem
Zimmer, das jetzt als Bibliotheksraum dient,
wurde mein Bruder Hanns geboren. Da-

mals lebte mein Großvater noch, der so-
genannte „alte Rittmeister", ein kleiner, knur-
riger Herr, der natürlich herbeigerufen wurde,
um sich das Mustereremplar eines Enkels
näher anzuschauen. Das tat er und sagte
hierauf mit Überzeugung: „Der wird einmal
einen tüchtigen Schnurrbart kriegen, der
Junge ..." Meinem Bruder ist später noch
häufiger etwas prophezeit worden: von sei-
ner Amme Beate, von Zigeunern und auch
einmal von einer berufsmäßigen Wahrsage-
rin. Es ist aber nur die Schnurrbartprophetie
eingetroffen, sonst nichts. Aus den ersten
Lebensjahren des jungen Hanns kann ich
nicht viel berichten, zumal ich selbst erst
fünf Jahre später zur Welt kam und zwar
auf genau derselben Stelle, auf der er
geboren worden war. Sinn für die so-
genannte Dichtkunst entwickelten wir un-
gewöhnlich früh. Unsere Großmutter war
eine geborene Gräfin Schmettow und in
ihrer Jugend einmal mit Körner bekannt
gewesen. Seitdem dichtete sie nicht nur
selbst, sondern hielt auch ihre nähere Ver-
wandtschaft zu dieser ersprießlichen Tätigkeit
an. Ähnlich fo machte es unsere gute Mut-
ter, die aus einem Torgauer Patrizierhause
stammte, in dem man den Musen immer
hold gewesen war. Unter der Obhut dieser
beiden lieben Frauen mußten wir Kinder
schon in zartem Alter uns der Poesie er-
geben und beglückten alle Tanten und Onkel
mit Geburtstagsgedichten. Unter alten Pa-
pieren im Spiegelberger Archiv fand ich ein-
mal die Abschrift eines solchen Poems, das
Hanns an seinen Paten, den Fürsten Wil-
helm Radziwill, gerichtet hatte und das mit
den Worten begann: „Durchlauchtiger Onkel
und Pathe, Wer schreibt Dir heute, nun
rathe..." In späteren Geburtstagsbriefen
formte er auch die Prosa poetisch; er hatte
da eine Wendung gefunden: „Möge der
Himmel das Füllhorn seiner Gnade über
Dich ausschütten ..." Dies „Füllhorn" kehrte
häufig wieder, was ich als Beweis dafür
anführe, daß er schon zwischen seinem sieben-
ten und zehnten Lebensjahre auf Schönheit
des Stils hielt.
Im übrigen wuchs er heran wie andere
Jungen seiner Zeit. Wir wurden durch Haus-
lehrer erzogen, lernten teils mehr, teils we-
niger, prügelten uns und vertrugen uns
wieder und kamen um Sechsundsechzig nach
Berlin in die Knabenschule des vr. Döbbelin.
Awei Jahre später trennten sich unsere Wege;
ich wurde in das damals neugegründete
Kadettenhaus zu Plön gesteckt, und er setzte
in Berlin seine Studien fort, um einmal ein
ausgezeichneter Ingenieur zu werden. Es
kam aber anders. Seine Einsegnung erfolgte
in Spiegelberg, das mein Vater verpachtet
 
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