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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Heft 3 (November 1913)
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Dreyer, Max: Müte und sein Freund
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0444

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Müte und sein Freund
Von Max Dreyer


ieder bin ich im Mai über die
M Hörster Heide gewandert, habe
das stille, mittäglich verformte
und versonnene Dorf durch-
schritten und dann über die Wiesen den
mir vertrauten Fußsteig genommen zudem
schattigen Knickbusch, von wo man über
das Moor blickt und in dem schwarzen,
kleinen See die geblendeten Augen kühlt.
Hier war es, wo ich vor vier Jahren
meinen kleinen Freund gefunden, Müte
Lührs, den Gänsehüter. Links von mei-
nem Mittagslager zog sich auch damals
Brachfeld hin wie heute; dies war sein
und seiner Schutzbefohlenen Reich gewesen,
hier hatte er gethront in ihrer Mitte.
Barhäuptig saß er da, sein gelber Schopf
leuchtete, man hörte die harte Heidesonne
knistern in seinem strohernen Haar. Und
ganz war er das Bild eines achtung-
gebietenden Herrschers, stolz war sein
Nacken, hoheitsvoll jede Bewegung seines
Kopfes, der die Getreuen mit ihren seit-
wärts blinzelnden Äuglein achtsam Folge
gaben. Kein Laut kam aus der Herde, fast
alle ruhten sie, einzelne hatten gar zu regel-
rechtem Schlaf den Kopf unter den Flügel
gesteckt. Nur ein paar von den kleinen,
gelben Gösseln machten sich wichtig mit er-
wachsener Gefräßigkeit und rissen gewaltig
an den Kräutern.
Der Herr und König hatte sich einen
neuen Herrscherstab geschnitten, eine lange
Weidenrute. Von ihrem unteren Ende
entnahm er sich jetzt ein Stück zu beson-
derem Zwecke. Er schnitzte Pfeifenlöcher
hinein und klopfte es mit dem Messer, da-
mit die Schale sich löse. Dazu summte er
einen Zauberspruch. Dieser half ihm, daß
das Werk gelang.
Er setzte das fertige Instrument an den
Mund und ließ es sprechen, erst in leise
tastenden Tönen, die zu einer Volksweise
den Weg suchten, dann, als sie ihn nicht
zuverlässig fanden, sich mit munterer Eigen-
heit in die Büsche schlugen. Und hier wur-
den sie laut und froh wie die Singvögel.
All das gefiel mir so, und es zog mich
zu dem kleinen Herrn dieser Lande. Zuerst
bemerkten mich einige von seinen Vasallen,

als ich näher kam. Diese, die die könig-
liche Musik ob aus Verständnis, ob aus
Liebedienerei mit leisem Geschnatter be-
gleitet hatten, stießen nun gellende War-
nungsschreie aus, und gleich erhoben sich
drei Granden des Reiches, drei mächtige
Gänseriche, strichen mir entgegen in wacke-
lig fliegendem Lauf. Zornig flammten ihre
roten Augenlider, und zischend wollten die
Schnäbel mir ins Beinwerk fahren.
Der Gebieter hatte sich halb mit lässiger
Erhabenheit umgewandt, die Stupsnase
zeigte wenig Entgegenkommen, und die
grauen Augen blieben kühl. Er ließ sich
Zeit, dem Ungestüm seiner Wächter zu weh-
ren. Erst als ich selber scheltend die Glieder
brauchte, verstand er sich zu einem Befehls-
ruf, dem allerdings auf der Stelle gehorcht
wurde. Doch blieben die Hälse der Wach-
samen schlängelnd um meine Beine.
Es war ganz so, wie ein beargwöhnter
Fremdling zu dem geheimnisvollen Herr-
scher eines weltfernen Reiches geleitet wird.
Als ich dann in erwartungsvoller Höf-
lichkeit vor ihm stand, geruhte der Macht-
haber so nach und nach andere Saiten auf-
zuziehen. Es gab zwischen uns einen Klang,
und wir hatten uns was zu sagen. Aus
seinen grellen Jungenaugen schwand das
trotzige Mißtrauen, ich setzte mich .eben
ihn ins Gras, und wie wir so denselben
Boden unter uns hatten, gab er auf offene
Fragen offene Antwort.
Ich sprach mit ihm über seine Unter-
tanen. Er hatte einen Liebling unter ihnen,
Liesch, für mich eine Gans wie die an-
dern auch, die ich beim besten Willen von
den übrigen nicht hätte unterscheiden kön-
nen. Als er sie beim Namen rief, kam sie
herangewackelt, nicht eben eilig und gar
nicht freundlich.
Als sie vor ihm stand, griff er jach und
hart in ihren Schwanz und riß ihr eine
Feder aus, sie aber biß ihn in den Dau-
men , daß das Blut kam. Nach Zartheit
schmeckten die Liebkosungen derbeiden nicht.
Nun sollte sie ihre Besonderheit zeigen:
er hielt ihr den Stecken vor, unwillig
schnappte sie danach und schnatterte grim-
mig, dann aber tat sie, was sie sollte, sie
 
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