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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Heft 3 (November 1913)
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Gottberg, Otto von: Der Hotelportier
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0482

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W

trat er uns beim Betreten
des Gasthauses in dunklem Rock
LMW mit blanken Knöpfen entgegen,
lüftete eine Mütze, die eine breite
goldene Tresse trug, und zog die
Schnur einer Glocke, die durch das Haus
schrillte, um Wirt und Personal herbeizu-
rufen. Das war die für den Gast gute alte
Zeit des Hotelbetriebs. Das Gasthaus hatte
stets einen Herrn, dessen eigenstes persön-
liches Interesse Befriedigung aller Wünsche
seiner Kundschaft heischte, und es hatte An-
gestellte, die namentlich den häufigen Be-
sucher mit allen Eigenheiten und Sonder-
wünschen bald kannten und die versuchten, ihm
das Leben behaglich zu machen. An die
Stelle des von einem Wirt und Besitzer
geleiteten Gasthauses tritt mehr und mehr
das Haus der Aktiengesellschaft. Es ersetzt
den Eigentümer durch einen Direktor mit
allerhand Gehilfen. Bezahlte Angestellte aber,
die von Haus zu Haus wandern, leisten
nie gleiche Arbeit wie ein Hausherr, dessen
Kräfteanspannung den eigenen Wohlstand
mehrt. Jemand, der einen großen Teil jedes
Jahres in Hotels verbringt, wählt darum als
Quartier stets eins der ja noch bestehenden
Hotels, die vom Wirt in Person verwaltet
werden. Hat ihm dort etwas nicht gefallen
oder geschmeckt, dann kann er dem Besitzer
Vorwürfe machen und erhält von ihm mit
einer Bitte um Entschuldigung die Antwort:
„Darf ich Ihnen anderes schicken?" oder:
„Ich werde dafür sorgen, daß Sie zufrieden-
gestellt werden." Der junge Mann im Geh-
rock der Aktiengesellschaft hat weniger Inter-
esse am Behagen des Gastes und sagt:
„Ich werde die Sache untersuchen lassen."
Das sind Beispiele praktischer Erfahrungen.
Sie erklären, warum der wirklich durch-
schlagende Erfolg im Hotelgewerbe stets
mit ganz bestimmten Persönlichkeiten, mit
Namen wie Adlon, Sendig und Uhl, also mit
Wirten verknüpft ist, die in Person ihren
Gästen gegenübertraten und in Person ihre
Wünsche zu befriedigen versuchten. Diese
Großen des Handwerks können weißhaa-
rig werden, aber sie gehen doch von Tisch zu
Tisch, um sich vor ihren Gästen zu ver-
beugen. Sie bekunden dadurch neben Ver-
ständnis für gute Sitte auch Geschäftsklug-
heit. Dem jungen Mann der Aktiengesell-
schaft fehlen nicht selten Geschäftsklugheit
und Verständnis für das erwählte Gewerbe.
Dann und wann nur hat einer die wohl-
erzogene und wohlgeschulte Lebensart der
älteren Generation, die wußte, daß der Gast-
wirt gastlich sein muß. Zu bedauern ist
darum, daß er dem Hotelportier einen
Teil seiner Pflichten abgenommen hat. In der

erwähnten guten alten Zeit brachten wir näm-
lich unser Verlangen nach einem Zimmer beim
Portier an, und das war gut, denn wenn
er endlich dem durch die Glocke gerufenen
Oberkellner den Schlüssel, dem Pikkolo die
Handtasche und dem Hausdiener den Koffer
einhändigte, um die übliche Prozession nach
dem damals nur in dieser Stunde des Ein-
zugs benutzbaren Fahrstuhl in Bewegung
zu setzen, hatte er sich genau überlegt, wie
er am besten den Wünschen des Besuchers
Rechnung tragen könne. Dafür wurde er
beim Abschied nicht vergessen, und für den
Gast ist es immer ein Vorteil, mit Emp-
fängern von Trinkgeld zu tun zu haben.
Der junge Mann im Gehrock vergibt die
Zimmerschlüssel augenscheinlich nach anderen
Grundsätzen als der Portier von einst. Ver-
mutlich macht es auf die Gesellschaft einen
guten Eindruck, wenn er recht teuere Zim-
mer vermietet, und darum drängt er sie
Leuten auf, deren Wunsch vielleicht nach den
billigsten geht. Wer ihm mit ganz bestimm-
ten, nicht von jedermann geäußerten Wün-
schen oder Ansprüchen kommt, findet sie ge-
meinhin erst nach längerem Palaver und
oft mit sichtlichem Widerstreben befriedigt.
Ein Mann von großer Reiseerfahrung will
stets so hoch als möglich und in der Stadt
nach hinten heraus wohnen. Im ersten
Stock weckt ihn nachts der Gast, der im
zweiten die Stiefel auszieht. Dort hat er,
zumal, wenn das Zimmer in einer engen
Straße oder im Hof liegt, schlechtes Licht für
seine Arbeit. Ferner ist er dem Staub und
Straßenlärm am nächsten, und da es heut-
zutage überall Fahrstühle gibt, kann er, ohne
sich zu plagen, allen Widerwärtigkeiten in
einer Stube im obersten Stockwerk entrinnen.
Aber die Zimmer, die er bevorzugt, sind in
Deutschland die billigsten, und darum kostet
es lange Erörterungen mit dem jungen
Mann, ehe er sie erhält. Wo aber noch in
Kleinstädten der Portier der alten Schule
die Schlüssel vergibt, wird sein Verlangen
sofort und ohne Widerrede befriedigt. Wer
für Wochen als einsamer Wanderer in Hotels
herumliegt, sitzt gern in der Halle, wo der
junge Mann sein Pult hat. Man liest die
Zeitung oder sieht neue Gäste ankommen.
Die große Masse der Menschen betritt ja
ein Hotel an und für sich mit unverständ-
licher Scheu und Zaghaftigkeit. Die Leutchen
fühlen nicht, daß sie die Bezahlenden und
darum die Herren im Hause sind; sie spüren
vielmehr in der fremden Umgebung eine be-
tretene Verlegenheit, die sie manchmal zu
Wachs in der Hand des jungen Mannes
macht. Scheu errötend flüstert eine offen-
sichtlich anspruchslose, einfache Dame: „Bitte
 
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