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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Heft 3 (November 1913)
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Hoffensthal, Hans von: Marion Flora [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0393

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XXVIII. Jahrgang 1913/1914

Heft 3. November 1913 H

W

8

kl

BelhagmMlasings
k Monatshefte z
Hemusgebcr Hanns vonZobelrip )
ß undPaul Oskar Hocker -z



Marion Flora. Roman von Hans von Hoffensthal
(Fortsetzung)

Kuckucke hatten die dunklen
Waldtäler verlassen, flogen
nun oben auf den Lärchenwiesen
ihre Liebesflüge, und Tag für
Tag und in so mancher Nacht klang froh-
gemut ihr süßer, sehnlicher Ruf.
Die Lärchen waren nun alle grün, hatten
ein ganz zages, rührendes, rötlich schim-
merndes Grün auf allen ihren jungen, zar-
ten Zweigen, und wenn Wind ging —
ach, immer in dieser Zeit lief so ein fröh-
licher Auferstehungshauch über die Höhen
— wippten und wiegten sie sich um die
Wette mit den Birken, die in ihren weißen
Stämmen beieinander standen wie junge
frohe Mädchen, als gelte es jeden Augen-
blick einen Reigen.
In den Wäldern, oben in den Gabe-
lungen der Bäume und am Boden da und
dort im Gestrüpp waren neugegründete
Kinderstuben; ein paar Elternfamilien
waren hoch erfreut, und ebenso kam aus
einem struppigen, schlecht aufgeräumten
Bett, in dem sich längere Zeit eine Rabin
eingerichtet hatte, ein so gottsjämmerlich
hungriges vierstimmiges Kräh-Kräh, daß
man schon gratulieren durfte. Bei den
Hasen war es nicht so hoch hergegangen;
du meine Güte, zwei wollige Bälge mit
Riesenohren, die bei jedem Laubrascheln
vor Angst zitterten und bebten, war so der
gute Durchschnitt, den sich eine Häsin für
dieses Frühlingswochenbett erlaubte. Und
wenn sie dachte, daß Frau Fähin im M»g-
lertal vier junge Füchse und Frau Grau-
bart, die fettp Dachsfrau, drei solche Freß-
Velhagen L Klasings Monatshefte. XXVIII. Jahrg. 1913/1914.

säcke in ihren Bauen hatten, die alle ein-
mal wieder ihren Jungen nachstellen wür-
den, nun, da zitterte sie auch.
Übrigens waren schreckliche, wahrhaft
beängstigende Gerüchte im Umlauf.
Oben im Pemmererwald, in einem Wind-
bruch, hieß es, habe ein Bär überwintert,
ein richtiger brauner Bär, der im Herbst
über die einsamen Sarner gelaufen war
und dann müde und schläfrig sich hatte
einschneien lassen. Ein Rabe war Zeuge
geworden, wie das Ungeheuer erwachte,
und hatte atemlos mit neugierig vorgestreck-
tem Kopf das fremde Schauspiel begafft.
„Ah," machte es, und das klang wie ein
Rasseln und Grunzen, und war dann ein
Brummen und Schnauben und Prusten
und Sichschütteln und Trampeln, gerade
so als wäre da ein Stück Erdboden mit
allem,was dran ist, lebendig geworden. Und
da erhob sich dieses braune Pelzstück zu
halber Höhe und blinzelte aus kleinen Äug-
lein umher (uh, auch zum Raben hinauf,
aber der saß ja genügend hoch!), und nun
kam eine rote Zunge aus dem Pelz her-
aus, und es schlürfte so, als habe da je-
mand außerordentlich Durst oder einen sehr
bösen Hunger, und das Blinzeln der kleinen
Augen wurde stärkerundanzüglicher (aber
der Rabe saß ja wirklich genügend hoch),
und nun war es da unten wie ein Lutschen
und Saugen und Lecken und Schmatzen.
Das kam davon, daß der Pelzklumpen seine
eigenen Pfoten in das Maul nahm und
daran sog. Aber dann hörte das auf, und
das Ungeheuer rutschte, wie es saß, durch
I. Bd. Copyright 1913 by Nelhagen L Klasing. 21
 
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